Vom Sinn des Trainerzweifels: Dokumentation des Scheiterns

Die Personaldebatten im Fußball gehen wieder los. Aber ist es klug, schon jetzt die bisherige Arbeit eines Trainers in die Tonne zu treten?

ein Mann gestikuliert am Spielfeldrand

In Ingolstadt rausgeflogen. Stefan Leitl hat jetzt viel Zeit Foto: dpa

Der FC Ingolstadt geht in der Zweiten Liga voran. Wochenlange Saisonvorbereitung, die Zusammenstellung von Kader und Trainerteam, ein Jahr lang konzentrierte Arbeit – alles wurde nach dem 0:1 gegen den FC St. Pauli in die Tonne getreten, Trainer Stefan Leitl flog raus. Dabei deuten die fünf Punkte aus fünf Spielen ja an, dass nicht unbedingt alles falsch gewesen sein muss.

Es ist jedes Jahr das Gleiche. Darf man, wie Vizemeister FC Schalke aktuell, mit null Punkten nach vier Spielen starten? Wann muss ein Vorstand die Reißleine ziehen und den Trainer auswechseln? Und bringt das mehr als etwa hektisches Umstellen des Kaders, als disziplinarische Maßnahmen oder, sofern möglich, als die Verpflichtung von in der Regel überteuerten Verstärkungen?

Wer Ruhe bewahren will, hat Gründe: Gegen Bayern 0:2 zu verlieren, wie jetzt Schalke, passiert quasi jedem Team, warum sollte man dann am Trainer zweifeln? Oder Beispiele wie der SC Freiburg fallen einem ein, wo sich die Treue des Vorstands zu Christian Streich mehrfach ausgezahlt hat.

Aber wer hektisch wird, hat auch Gründe: Erinnert sich jemand an den 1. FC Köln in der vergangenen Saison? Erst im Dezember wurde Trainer Peter Stöger ausgewechselt – es folgte der Abstieg. Oder an die Saison 2015/16, als der VfB Stuttgart fest an die modernen Methoden des Fußballlehrers Alexander Zorniger glaubte, erst Ende November handelte? Auch hier folgte der Abstieg

Mehr als irgendeine Personalie

Eine Trainerentlassung dokumentiert ja nicht, wie es der jeweilige Vorstand gerne hätte, Handlungsfähigkeit und Stärke. Sie offenbart vielmehr das Scheitern dessen, was man mit viel Zeit, Geld und Vertrauensvorschuss der Fans aufgebaut hat. Gerade das Beispiel Schalke und Tedesco zeigt, dass ein Trainerwechsel mehr als irgendeine Personalie darstellte.

Ab welchem Spieltag also sollten die Zweifel, ob der Trainer noch der richtige ist oder ob er es jemals war, überhand nehmen? Nicht mal das mittlerweile sozialwissenschaftlich gesicherte Wissen, dass ein Trainerwechsel keinen Effekt hat, weil er nicht mit einer Kaderänderung und daher nicht mit einer Verbesserung der ­Spielstärke einhergeht, kann die Frage beantworten, denn: Mag sein, dass es im statistischen Schnitt nichts bringt, aber in unserem konkreten Fall hilft es vielleicht doch, denken sich Vorstände.

Dass Ingolstadt nach der Entlassung von Stefan Leitl Aufstiegsambitionen entwickeln kann, dürfte eher unwahrscheinlich sein. Ob Schalke mit oder ohne Domenico Tedesco noch ein Saisonziel wie das Erreichen der Cham­pions League avisieren sollte, ist ähnlich schwierig. Aber wie war das eigentlich bei anderen? In der Saison 2017/18 hat der FC Bayern München nach dem 6. Spieltag den Weltklassetrainer Carlos Ancelotti, mit dem der Klub gerade erst Deutscher Meister geworden war, auf Platz drei liegend entlassen. Folge: Bayern wurde Meister.

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