Vom Ritual der Trikotübergabe: Heilige Hemden
Warum wird mittlerweile selbst Trainern zum Amtsantritt feierlich ein Trikot überreicht? Und was sollen eigentlich Politiker mit dem Textil anfangen?
E s ist Wechselzeit im Fußball. Klubpräsidenten präsentieren ihre Einkäufe und überreichen ihnen ein Trikot, frisch beflockt mit dem Spielernamen. Von Kylian Mbappé, dessen Wechsel von Paris Saint-Germain („mein Herzensverein“) zu Real Madrid („mein Lieblingsklub“) nun endlich feststeht, waren schon Bilder im Umlauf, die ihn im Real-Trikot zeigen – lange bevor ihm ein echtes Leibchen der Königlichen überreicht worden ist. Technik macht’s möglich. Andere Trikotübergaben haben wahrhaftig stattgefunden und sind fotografisch dokumentiert, ohne dass sich eine künstliche Intelligenz eingemischt hätte. Dennoch werfen die Bilder Fragen auf.
Warum nur hat es sich eingebürgert, auch neue Trainer mit einer feierlichen Trikotübergabe zu begrüßen, als würden sie selbst gegen den Ball treten? Gerade hat der FC Barcelona seinem neuen Coach ein Leibchen mit Namensaufdruck übergeben. Das hat dieser stolz in die Kameras gehalten hat, wohl um die letzten Zweifler davon zu überzeugen, dass fortan nun wirklich Hansi Flick beim katalanischen Großklub arbeitet. Auch José Mourinho hat man bei seiner Vorstellung als neuer Trainer von Fenerbahçe Istanbul mit einem Klubtrikot ausgestattet. Stolz hielt er es in die Höhe und sagte: „Dieses Trikot ist meine Haut“. Was einer halt so sagt, zu dem man „der spezielle Eine“ sagt.
Es gibt auch politische Trikotübergaben. Dass diese weitreichende Folgen haben können, zeigt der Fall Mesut Özil. Der ist bekanntlich aus der deutschen Fußballnation ausgeschlossen worden, nachdem er dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan ein Trikot des FC Arsenal überreicht hatte. Das Trikot von Manchester City, das İlkay Gündoğan beim gleichen Anlass Erdoğan überreicht hat, blieb weitgehend folgenlos. Gündoğan holte sich einen Anschiss bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ab, gelobte Besserung und ist heute Kapitän der Nationalmannschaft.
Wo Erdoğan in seinem Präsidentenpalast die ihm anvertrauten Trikots aufbewahrt, ist nicht bekannt. Immerhin taugen die Leibchen zum Angeben. Erdoğan könnte sie durchaus mal aus dem Schrank holen, wenn er jemanden zeigen will, welch tolle Typen er schon getroffen hat.
Blutrotes Textil aus Belarus
Was aber macht ein Politiker, wenn ihm jemand das Outfit der Nationalmannschaft von Belarus schenkt? Dieses Problem hat gerade der ungarische Außenminister Péter Szijjártó. Der ist in der vergangenen Woche nach Minsk gereist, um sich mit seinem dortigen Amtskollegen darüber auszutauschen, wie man Atomkraftwerke russischer Provenienz zum Laufen bekommt.
Dass Belarus seit dem von dem Land unterstützten Überfall auf die Ukraine von der EU diplomatisch weitgehend isoliert ist, hat ihn nicht gestört. Und als er das Trikot bekommen hat, hat er brav gelächelt, ganz so, als wäre es normal, sich über ein Trikot der Nationalmannschaft von Belarus zu freuen, die in der Fifa-Weltrangliste auf Platz 96 geführt wird.
Dass Lukaschenkas Kicker überhaupt – anders als Russland – am offiziellen Spielbetrieb teilnehmen dürfen, kann man getrost als Skandal bezeichnen. Vikor Orbáns Außenminister hat damit wahrscheinlich keine Probleme. Wir wünschen also viel Spaß mit dem blutroten Textil!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!