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Vom Leben als Aussteiger„Wir kommen ohne Geld aus“

Im „Kommune-Buch“ erzählen Autoren vom Leben im Kollektiv. Einer von ihnen ist der im Wendland lebende Hans Wenk.

Aussteigen und jenseits von Hierarchien leben: So kann es aussehen. Foto: Privat
Katharina Schipkowski
Interview von Katharina Schipkowski

taz: Herr Wenk, was bedeutet es für Sie, in einer Kommune zu leben?

Hans Wenk: Erst einmal geht es um gemeinsames Wirtschaften. Je nach Kommune ist das aber verschieden, man teilt entweder nur das Alltagsgeld oder auch die Vermögensökonomie. In der Kommurage teilen wir beides, sprich: all unser Geld. Darüber hinaus bestehen die Grundsätze unseres Zusammenlebens darin, dass wir herrschaftsfrei leben wollen und im Konsens entscheiden.

Heißt das, wenn jemand von Ihnen plötzlich 100.000 Euro erbt, wird das Geld sofort kommunalisiert?

Nicht sofort, aber doch komplett. Wir haben uns darauf geeinigt, dass jedes Vermögen innerhalb von zehn Jahren voll in die Kommune einfließen soll.

Und was ist, wenn man kurz darauf auszieht?

Wir haben Ausstiegsverträge: Beim Einzug in die Kommune legt man fest, was man braucht, wenn man auszieht. Das wird aber nicht darüber definiert, was man in die Kommune einbringt, sondern daran, was man braucht.

Von welchen Beträgen sprechen wir hier?

In meinem Vertrag stehen 15.000 Euro. Weil ich, wenn ich älter bin, mir ein bisschen was gönnen können möchte. Ich will nicht von Harz IV oder Mindestrente leben müssen.

Bild: Privat
Im Interview: Hans Wenk

61, hat im früheren Leben mal Betriebswirtschaft studiert. Seit zwölf Jahren lebt er in verschiedenen Kommunen, derzeit in der Kommurage im Wendland.

Sie sagten, Entscheidungen würden immer gemeinsam getroffen. Wie funktioniert das?

Wir haben einmal pro Woche Plenum, da besprechen wir, was so anliegt. Alltagsthemen, aber auch andere Sachen, die uns bewegen.

Und wie konsumieren Sie? Bauen Sie Ihr Gemüse selbst an?

Nein, wir haben keine eigenen Arbeitsbereiche auf unserem Hof. Alle sind freiberuflich oder angestellt in anderen Jobs tätig. Aber wir wirtschaften mit vier anderen Kommunen und einem Kollektivbetrieb zusammen.

Wie muss ich mir das vorstellen?

Wir haben uns die Frage gestellt, ob wir fair tauschen oder lieber alles frei fließen lassen wollen. Wir haben uns für den freien Fluss entschieden. Das heißt, wir tauschen Produkte und Arbeitskraft, ohne irgendetwas aufzuschreiben oder zu bezahlen.

Haben Sie ein Beispiel?

Wir arbeiten in der Mosterei mit und bekommen dafür so viel Saft, wie wir als Kommune brauchen. Aber wir sagen nicht ausdrücklich: Wir haben so viele Stunden gearbeitet, deshalb kriegen wir soundso viel Saft. Und donnerstags gehen wir umsonst im Kollektivbetrieb, dem Meuchefitzer Gasthof, essen. Wir kommen also innerhalb des Projekts ganz ohne Geld aus.

Läuft das immer gerecht?

Die meisten denken eigentlich, sie gäben zu viel Geld aus. Das heißt, sie glauben, sie gäben zu wenig in den freien Fluss hinein und können daher nicht so viel verbrauchen. Es ist wie eine innere Beschränkung. Man denkt immer: „Können wir uns das leisten?“ Anstatt zu sehen: „Wir haben doch genug, das klappt schon alles.“

Sind Sie eigentlich Weltverbesserer?

Nein. Bei dem Wort bin ich skeptisch. Aber wir wollen natürlich in die Gesellschaft hineinwirken und zeigen, dass man anders miteinander umgehen kann. Was wir hier praktizieren, ist ein Modell. Aber es gibt noch viele andere Möglichkeiten.

Leben Sie also letztlich das Richtige im Falschen?

Ja. Zumindest ein Stück weit. Zum Beispiel, indem wir mit Ressourcen anders umgehen. Wir haben zu sechst zwei Autos, und das auf dem Land. Das ist schon ein anderes Leben, das im Falschen funktioniert. Und auch der Umgang miteinander ist ein anderer als in herkömmlichen Strukturen.

Was heißt das?

Wir gehen auf Augenhöhe miteinander um. Wir versuchen, wirklich gleichberechtigt zu leben. Dazu gehört zum Beispiel, zu gucken, was dahintersteht, wenn die Kommunardin so und so handelt. Dass man wirklich verstehen will und nicht nur sagt: „Wir sind aber fünf, die was anderes wollen, damit musst du als Einzelne jetzt leben.“

Was ist das Schwierigste am Kommunenleben?

Bei sich zu bleiben. Zu wissen, was man gerade braucht - und nicht in der Gruppe unterzugehen.

Tritt irgendwann eine Übersättigung ein? Ist man der Plena irgendwann müde und sehnt sich nach dem eigenen Reihenhaus?

Nach dem Reihenhaus nicht. Aber du bist immer in der Spannung: Tue ich etwas für mich oder für die Gruppe? Es ist nicht leicht, da immer das richtige Maß zu finden und sich mit seinen Bedürfnissen sichtbar zu machen.

Haben Sie ein Beispiel für eine solche Situation?

Als ich voriges Jahr 60 wurde, hatte ich den Wunsch, einen Fernseher in meinem Bauwagen zu haben. Das war natürlich ein komischer Wunsch. Bei uns guckt kaum jemand Fernsehen. Aber ich habe eben gesagt „Ich will das jetzt“, und dann war es klar: „Natürlich bekommst du das.“ Aber da muss man erstmal mit rauskommen, und nicht immer denken: „Das geht jetzt nicht.“

Wie ist es denn im Alter- haben Sie Generationenkonflikte?

Es ist nicht immer einfach, zu merken, dass man nicht mehr überall mithalten kann. In der Kommurage sind wir zwischen 30 und 61 Jahre alt. Da muss man schon ab und zu sagen „Nein, ich bin nicht dabei“, und das ist nicht immer leicht. Aber es wird von der Gruppe getragen. Der Reiz ist andererseits, dass man vieles mitbekommt. Viele Themen, wie zum Beispiel das Queer-Thema, würde ich in meinem Alter sonst nicht so nah mitbekommen.

Was hat sich über die Jahre verändert im Kommunenleben?

Die Form der Auseinandersetzung hat sich geändert. Wir haben jetzt eine ganz andere Art der Kommunikation: Man lässt sich ausreden, man hört sich zu. Man holt sich auch Hilfe, wenn man allein nicht weiterkommt: Mediation und Supervision sind keine Tabus mehr. Aber auch die Themen haben sich geändert. Früher ging es mehr um das Chaotische oder die Ordnung, auch um Mann-Frau-Themen. Aber was in der Gesellschaft passiert, kommt natürlich auch bei uns in der Kommune an. Es geht über binäre Geschlechterverhältnisse hinaus, „queer“ ist dafür jetzt ein Thema bei uns. Und die Rollen sind bei uns im Alltag gerecht verteilt, da ist eine große Selbstverständlichkeit reingekommen.

Inwieweit ist das, was Sie machen, eine Individuallösung, nach dem Motto: „Ich mach nicht mehr mit und steige aus“ - und dann gründet man eine Kommune im Wendland ...

Wir haben den Anspruch, nach außen zu wirken. Es ist also keine Individuallösung. Wir sind auch bundesweit organisiert, im Kommuja-Netzwerk. Darüber ist auch das Kommune-Buch entstanden.

Sie leben seit 16 Jahren im Bauwagen. Möchten Sie irgendwann wieder ein normales Mietverhältnis eingehen?

Nein. Dieses Verhältnis von Vermieter und mir als Mieter kann ich mir nicht mehr vorstellen.

„Das Kommunebuch utopie.gemeinsam.leben“ von Kommuja. Assoziation A, Hamburg 2014, 344 Seiten, 18 Euro

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