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Vom Koch, der gern Kellner wär

Neu in der Substanz war der Anstoß, der Konvent möge über eine Europasteuer nachdenken

aus Freiburg PATRIK SCHWARZ

Hat irgendjemand Joschka Fischer gesehen? Seit einer Woche geht das jetzt schon so: Ende letzter Woche Lionel Jospin, Montag Jiang Zemin, Dienstag Wladimir Putin, morgen Tony Blair – und gestern eine grundlegende Rede zur Europapolitik. Praktisch jeder Tag ein großer Tag der Außenpolitik – aber der größte Außenminister, den die hessische Provinz je hervorbrachte, ist fast nicht zu sehen. Die Bühne beherrscht ein anderer, einer der sich anschickt, seinem einstigen Freund Joschka die Weltkarte aus der Hand zu nehmen: Gerhard Schröder, der Will-selber-Kanzler.

Man könnte all die Anzeichen für unverdächtig halten, wenn sie nur nicht so klar in eine Richtung deuteten: Im Wahljahr verschiebt sich das Kräftegleichgewicht zwischen dem roten Kanzler und seinem grünen Vize, Rivalität tritt an die Stelle von Rücksichtnahme.

Am wenigsten fällt da noch die achtlose Grobheit ins Gewicht, mit der Schröder gerade erst Fischers einziges Highlight der Woche abräumte. Weil der Kanzler auf einer Pressekonferenz am Montag nicht an sich halten konnte, wurde Fischers Initiative für einen Nahostfrieden von Schröders wilder Spekulation überlagert, ob deutsche Soldaten auch in Israel stationiert werden sollten. Berlin spekulierte tagelang, ob hinter Schröders Missgeschick nicht doch die Missgunst stand.

Am Freitagvormittag in Freiburg marschierte Schröder ungerührt auf Fischers zweites Stammgebiet neben Nahost: die Europapolitik. Hier ist der Außenminister besonders empfindlich, denn es ist nicht die erste Grenzverletzung des Kanzlers. Beim Streit über den Blauen Brief der EU bestand Schröder auf Protesten in Brüssel – gegen Fischers Rat. Bei der Subventionspolitik fordert Schröder mehr Entgegenkommen der EU-Kommission, trotz Fischers Skepsis. Mit dem Plan für einen eigenen Europaminister brüskierte Schröder seinen Europaexperten Fischer sogar vor laufenden Kameras.

Des Kanzlers Auftritt vor dem Deutsch-Französischen Institut der Freiburger Universität wird seinen Vize kaum beruhigt haben. Mit Details des deutsch-französischen Verhältnisses wollte sich Schröder nicht lange aufhalten. Nach einigen Allgemeinplätzen zum Beginn warf Schröder fünf Manuskriptseiten fort, um stattdessen mal eben die große Linie der Europapolitik darzulegen. In freier Rede skizzierte Schröder einen umfänglichen, aber allseits bekannten Aufgabenkatalog für den Europäischen Konvent: Verfassungsgebung, Kompetenzabgrenzung, Effizienzsteigerung für die Institutionen. In der Substanz war nur der Anstoß neu, der Konvent möge über eine Europasteuer nachdenken. Entscheidender war der Tonfall: Längst ist Schröder sich selbst sein liebster Europaminister.

Schon zu Beginn der rot-grünen Koalition hatte der Kanzler das Bild vom Koch und dem Kellner geprägt. Was auf das Verhältnis von großer SPD zu den kleinen Grünen gemünzt war, galt auch für den Kanzler und den Vize. Die ungleiche Balance bewährte sich, aus ihr wuchs Respekt und Sympathie. Inzwischen hat Fischer nach Ansicht Schröders in der Außenpolitik das verloren, was ihn so lange auszeichnete: den Vorsprung im Wissen und Denken.

Daher halten jetzt neue Töne Einzug: Der Koch will die Suppe nicht nur kochen – er will sie auch selber auftragen. Wozu es dann noch einen Kellner braucht? Gute Frage. Den Hilfskellner Michael Steiner, der sich als außenpolitischer Berater einen eigenen Kopf leistete, hat es schon erwischt – sein Nachfolger Kastrup beschränkt sich aufs Türaufhalten für den Chef. Und der Vertrag des Oberkellners Joschka Fischer ist erst mal bis zum 22. September befristet. Schlecht würde es Schröder wohl nicht passen, in einer anderen Koalition einen anderen, unerfahrenen Außenminister unter sich zu haben.

Auf Europa konzentriert sich die Konkurrenz der beiden Koalitionäre, weil deutsche Weltpolitiker nur dort etwas bewirken können. Dabei steht mehr auf dem Spiel als männliche Eitelkeit oder der Blick auf die Bundestagswahl. In der Freiburger Uni-Aula zeigten sich auch ein Unterschied in den Zielen des deutschen Engagements in der EU. Vor gut einem Jahr, am 30. Januar 2001, hatte Joschka Fischer just hier Grundkonstanten seiner Europapolitik formuliert: „Je europäischer Deutschland seine Interessen definiert, desto eher lassen sie sich verwirklichen. Je deutlicher sie national formuliert werden, desto sicherer werden sie Misstrauen und Ablehnung hervorrufen.“

Schröder wollte gestern am selben Ort im Eintreten für „wohl verstandene nationale Interessen“ nichts Schlechtes erkennen. Es sei ein Missverständnis, daraus eine „Abkühlung des deutsch-französischen Verhältnisses“ abzulesen.

Die Nuancen sind entscheidend: Fischer will mit seiner Politik Deutschland vor einer Wiederholung seiner Vergangenheit bewahren. Für ihn ist Außenpolitik Geschichtspolitik, darin ähnelt er Helmut Kohl mehr als dessen Nachfolger. Schröder dagegen nutzt die Europapolitik als Optionenpolitik. Sie ist ein Feld unter vielen, deutsche Interessen zu befördern – mal zum Wohle der Menschenrechte, mal zum Frommen der Autoindustrie.

Unüberwindbar könnte diese Kluft werden, wenn es um künftige militärische Operationen Deutschlands geht. Am 11. Oktober, exakt einen Monat nach den Anschlägen von New York und Washington, erklärte Schröder im Bundestag die Nachkriegszeit für beendet. Deutschland werde sich künftig nicht mehr darauf beschränken können, beiseite zu stehen, wenn andere Staaten die westliche Werteordnung verteidigten. Der Kanzler sieht deshalb den Einsatz militärischer Gewalt nicht unbedingt leichtfertiger als sein Vize – aber unkomplizierter: Militäreinsätze sind von praktischen Notwendigkeiten diktiert eher als von historischen Erwägungen. Schwer tun sich beide Politiker damit, aber aus unterschiedlichen Gründen: Fischer, weil er die Vergangenheit deutscher Militäreinsätze mit sich herumträgt, Schröder, weil Bundeswehroperationen immer Experimente mit ungewissem Ausgang sind. Im entscheidenden internationalen Konflikt dieses Jahres treffen sich diese zwei Sichtweisen freilich gut: Den US-Plänen für einen Krieg gegen den Irak können beide nichts abgewinnen.

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