Vom Dorf an die Schanze: Klassenverrat mit Aussicht

Unser Kleinstadt-Kolumnist hat seinen alten Kiez bereist und wäre fast wieder nicht ins Luxushotel gekommen. Die Polizei konnte diesmal nichts dafür.

backsteinturm hinter bauzaun

Der Bauzaun ist heute zwar weg, aber irgendwie halt doch noch da: Mövenpick Hotel im Schanzenpark Foto: Ulrich Perrey/dpa

Manche Geschichten lassen sich beim besten Willen nicht erzählen, ohne am Ende dumm dazustehen. Ich weiß das, weil ich es diverse Male versucht habe – und inzwischen bereits ins Schwitzen gerate, wenn sich jemand auch nur beiläufig erkundigt, wie die Hamburgreise neulich war. Denn auch blumigste Anekdoten über Zugausfälle und 9-Euro-Wahnsinn wollen einfach nicht so recht zünden, wenn das Publikum erst verstanden hat, worum es bei diesem Ausflug tatsächlich ging: um Klassenverrat nämlich. Meinen.

Zugegeben, etwas muffig roch die Unternehmung von Anfang an. Eine „Stadtreise“ zu unternehmen wäre früher schließlich auch mir nicht in den Sinn gekommen, obwohl ich’s natürlich ständig gemacht habe. Nach Berlin etwa zum Theatertreffen, zum postautonomen Konferenzwesen nach Frankfurt oder für Grünkohl nach Oldenburg. Nur ging es dann eben um Kunst, Revolution und fettiges Essen, aber eben nie um die jeweiligen Städte. Und so ändern sich die Dinge. Keine drei Monate Landleben hat es gedauert, diese Gewichtung zu kassieren und das urbane Grundrauschen selbst als Reiseziel anzupeilen.

Auch in Hamburg hatten wir gar nichts vor. Jegliches Programm wurde sogar ausdrücklich vermieden, große Bögen wurden geschlagen um Schauspielhaus, Szeneclubs und Konzerte – und übrigens auch um all die Freun­d:in­nen und Bekannten, die uns ganz ohne Murren ihre Schlafsofas frei gerümpelt hätten. Bezogen haben wir stattdessen das Hotel Mövenpick im Schanzenpark. Und wer jetzt noch keine einsetzende Schnappatmung verspürt, muss sich das erklären lassen.

Der historische Wasserturm mit Backsteinschick und Industriecharme ist ein Wahrzeichen des linksalternativen Quartiers – das vor ein paar Jahren eingezogene Luxushotel hingegen gilt größeren Teilen das Nachbarschaft als Schandfleck. Schon der Bau war ein Politikum, weil Mövenpick im Schanzenpark schwer nach Verdrängung klang. Es gab jedenfalls viel Protest und mitunter auch etwas heftigeren Krawall drum herum. Auch meine Versuche, die Baustelle aus der Nähe zu besichtigen, scheiterten damals an gar nicht mal wenig Polizei, die strategisch günstig im Weg stand. Wochenlang.

Obwohl die sich inzwischen weitgehend verzogen hat, ist es auch für Ex-Hamburger Ham­burg­tou­rist:in­nen gar nicht so trivial, ins Hotel zu kommen. Wer etwa aus alter Gewohnheit durch den Park zum Turm tingelt, merkt spätestens nach eineinhalb Runden um die Anlage, dass sie gar keine Tür hat. Jedenfalls keine, die sich öffnen lässt. Man muss dann ein paar Minuten betont beiläufig warten, damit es nicht zu peinlich aussieht, und wieder ganz runter vom Hügel – nur um dann unterirdisch wieder raufzufahren ins Gewölbe.

Der wenig diskrete Charme der Bourgeoisie

Ein paar Hundert Euro später ist drinnen alles wieder einfacher. Die Zimmer sind schick und das Frühstück so zauberhaft wie die Szenerie grotesk: Vor den breiten Fensterfronten des Restaurants schleicht ein Schanzenbewohner mit Kutte, Bier und Hund vorbei. Nachts wummern die Bässe aus dem Park bis hoch in den Turm. Raus geht hier heute kei­ne:r mehr. Höchstens zum Taxi am Fuß des Hügels. Verdrängung: vielleicht. Parallelwelten: ganz bestimmt.

Ich habe mich komischerweise nie so weit weg von meinem Stadtleben gefühlt wie hier oben am Turmfenster. Dabei ist alles so greifbar nah: die Party im Park, ein paar Dächer weiter die Rote Flora, irgendwo dahinter das grabsteinförmige Krankenhaus, in dem ich mal gearbeitet habe.

Und warum das Ganze? Keine Ahnung. Für ein bisschen Koketterie in dieser bestimmt nur vorübergehenden bourgeoisen Phase ist der Spaß jedenfalls zu teuer. Aber es hilft beim Runterkommen, beim Wohlfühlen in der Kleinstadt – aber auch beim verspäteten Abschied von Kiez und Lebensabschnitt. Und das Frühstück ist auch wirklich nicht so schlecht.

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Jahrgang 1982, schreibt aus dem Bremer Hinterland über Kultur und Gesellschaft mit Schwerpunkten auf Theater, Pop & schlechter Laune.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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