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Vom Döner zur New Economy

Gutachten sieht enormes Wachstumspotenzial für türkischstämmige Unternehmen in Deutschland. Zahl der Selbständigen soll sich bis 2010 verdreifachen. Türkischer Bund: Zahlen sind unzuverlässig, viele der 300.000 Jobs sind „Selbstausbeutung“.

aus Berlin MARIUS ZIPPE

In der Diskussion um die Einwanderung haben sich gestern die türkischstämmigen Unternehmer zu Wort gemeldet. Einwanderer würden als Last und nicht als Bereicherung für Deutschland gesehen, monierte Esref Ünsal vom Verband Türkischer Unternehmer und Industrieller in Europa (ATIAD), dabei leisteten die türkischen Migranten einen „wichtigen Beitrag für den Wohlstand in diesem Land“.

Seine Aussage untermauerte der ATIAD mit einem Gutachten der Unternehmensberaterfirma von KPMG. Die Experten sehen für türkische Unternehmen in Deutschland enorme Wachstumschancen. So setzten die Firmen 1999 insgesamt 55 Milliarden Mark um, im Jahr 2010 sollen es bereits 192 Milliarden Mark sein. Die Zahl der Selbständigen werde sich von 55.000 auf 106.000 erhöhen.

Ünsal forderte die Bundesregierung auf, den Beitritt der Türkei zur EU zu unterstützen. Deutschland müsse von „schädlichen Vorurteilen“ gegen Türken Abschied nehmen.

Die Studie sieht die türkischstämmige Bevölkerung in Deutschland bis 2010 von 2,5 auf 3 Millionen anwachsen. Die Zahl der Arbeitsplätze in türkischen Unternehmen in Deutschland, die 1999 noch bei 293.000 lag, soll bis auf 650.000 steigen.

Kenan Kolat vom Türkischen Bund Berlin-Brandenburg warnt allerdings davor, diesen Statistiken zu trauen. „Höchstens 30 Prozent“ der Jobs würden richtig bezahlt. Viele andere würden etwa in Familienunternehmen „in Selbstausbeutung“ erbracht. Auch von den offiziell 5.500 türkischen Betrieben in Berlin seien etwa die Hälfte Karteileichen.

Die Struktur der türkischen Wirtschaft ändere sich, so der ATIAD. Die Unternehmen verlassen demnach ihre typischen Nischen im Einzelhandel und im Gaststättengewerbe und bewegten sich nun ins produzierende Gewerbe, ins Handwerk oder in die Baubranche. Kolat hat beobachtet, dass sich junge Türken viel eher als ihre deutschen Kollegen selbständig machten, „vor allem in der New Economy, bei Dienstleistungen rund um Computer und Internet.“ Nach Informationen des ATIAD expandieren türkische Unternehmen darüber hinaus mit deutschen Partnern ins Ausland wie Kasachstan, Turkmenistan und die Kaukasusrepubliken.

Besonders wichtig sind laut ATIAD bessere Ausbildungsmöglichkeiten für türkische Jugendlichen. Mehr Betriebe müssten ausbilden, aber vielen jungen Türken fehle der Schulabschluss. Nach Informationen des Türkischen Bundes Berlin haben 90 Prozent der 20.000 türkischen Arbeitslosen keine Ausbildung. die Arbeitslosigkeit in der türkischen Gemeinschaft beträgt 40 Prozent.

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