Vom DDR-Funktionär zum IOC-Ehrenmitglied: Eine „Störenfriedrolle“ vorwärts
Für den Sportfunktionär Günther Heinze setzte das Internationale Olympische Komitee seine Fahnen auf Halbmast. Aber wer war dieser Mann eigentlich?
D ie Überlegenheit des Ostblocks war 1976 im Grunde erwiesen. „Sportler sozialistischer Länder errangen 56,5 Prozent der Medaillen“, titelte das Neue Deutschland, Parteiblatt der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), über den Ausgang der Olympischen Sommerspiele von Montreal. Die sozialistischen Sportler errangen sogar 61 Prozent der Siege, bilanzierte das ND stolz. Der Kapitalismus war so gut wie bezwungen.
Die Statistik diente als Evidenz für den Erfolg im Systemwettstreit. 1980 in Moskau ging das so weiter mit dem Medaillenreigen für die von der Geschichte Begünstigten. Dumm nur, dass vier Jahre später der Westen in Los Angeles zurückschlug. Die DDR-Sportler konnten ja leider nicht teilnehmen, weil deren „Sicherheit, Ehre und Würde“ nicht garantiert gewesen sei.
Auch die Würde von Günther Heinze war dem Vernehmen nach in Kalifornien nicht garantiert, selbst wenn er einige Jahre später die Nichtteilnahme der DDR-Sportler als „schwersten Verstoß gegen die olympischen Prinzipien“ einstufte. Aber was sollte er machen? Man habe sich halt „dem Druck außerhalb des Sports stehender politischer Kreise gebeugt“.
Wir lernen: Die Würde des Menschen ist relativ und richtet sich stets aus an den Vorstellungen der Machthaber. Günther Heinze wusste, wovon die Rede ist. Er war sozusagen der Mister Olympia der DDR. Ein durchaus alerter Diplomat, der zwar für vier Jahre ein Parteibuch der NSDAP besaß, aber im neuen deutschen Staat trotzdem Karriere machte.
Der Basketballfreund stieg auf ins Staatliche Komitee für Körperkultur und Sport, wurde Vizepräsident des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB), später Generalsekretär und Vizepräsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) der DDR. In den Wende-Wirren war er sogar ein paar Monate lang NOK-Chef. Ihm zu Ehren setzte das Internationale Olympische Komitee (IOC) kürzlich seine Fahnen auf Halbmast; Heinze starb im Oktober im Alter von 97 Jahren.
IOC-Präsident Thomas Bach hatte ein paar warme Worte für Heinze übrig, verständlich, denn der Olympia-Ossi hatte ihm, den aufstrebenden Westler, 1991 Platz gemacht auf dem Olymp. Nach einem Deal rückte Thomas Bach als Mitglied ins IOC auf, und Heinze wurde nach einem Jahr nachhaltiger Überzeugungsarbeit mit einer IOC-Ehrenmitgliedschaft entschädigt.
In der veröffentlichten Geschichtsschreibung des Komitees klingt das dann so: Heinze, so Bach, habe der „Neuorganisation des deutschen Sports nach der Wiedervereinigung den Weg geebnet, in dem er seinen Rücktritt als IOC-Mitglied angeboten hat“. Alles fügt sich, alles wird gut, wenn Figuren wie Heinze, „den bundesdeutsche Journalisten als Rudiment des stalinistischen Sportsystems in der DDR“ (ND, 1990) angesehen haben, sich dem Willen des Zeitgeistes beugen.
Dass er sich einmal dem Klassenfeind, dessen „Störenfriedrolle“ er im Jahr 1967 noch wortreich anprangerte, unterwerfen musste, hätte Heinze wohl nicht gedacht. Damals sah er „Bonner Diplomaten als Gendarmen des Weltsports“, und der Sport sei im Westen nur ein Mittel „zur Durchsetzung ihrer Politik des kalten Krieges und des Revanchismus“. Er musste auch immer auf der Hut sein vor dem drohenden „Professionalismus und der Kommerzialisierung“ der Spiele, vor einer Verwässerung des „Zeremoniells“.
So schaffte es Heinze, dass die DDR-Hymne 1972 in München nicht nur 25 Sekunden lang für seine Olympioniken gespielt wurde, sondern volle 60. Das Zentralkomitee der SED und der Ministerrat dankten dem Handlungsreisenden in Sachen Olympia an dessen 60. Geburtstag herzlich dafür, dass er „jederzeit“ seine Aufgaben „mit hohem Verantwortungsbewusstsein“ erfüllt habe. Sport frei! Der Genosse hat’s bestimmt genossen.
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