Volkswirtin zur Euro-Krise: "Deutschland braucht eine Inflation"
Noch fünf Jahre bleiben dem Euro, wenn es so weitergeht - mit verheerenden Folgen. Es fehlt eine europäisch koordinierte Lohnpolitik, meint die Volkswirtin Friederike Spiecker.
taz: Frau Spiecker, wird der Euro überleben?
Friederike Spiecker: Der Euro ist in fünf Jahren tot, wenn die jetzige Politik fortgesetzt wird. Ein solcher Euro-Crash hätte noch schlimmere Folgen als die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers.
Warum sind Sie so pessimistisch?
ist Volkswirtin und langjährige Koautorin des Unctad-Chefökonomen Heiner Flassbeck. Zuletzt haben sie gemeinsam im Juni-Heft des Wirtschaftsdienstes vor einem Euro-Crash gewarnt, falls die Löhne in Deutschland nicht deutlich steigen.
Inzwischen steigen sogar schon die Versicherungsprämien für französische Staatsanleihen. Irgendwann fliegen alle Länder aus der Euro-Zone - außer Deutschland und vielleicht noch die Niederlande, Österreich und Finnland.
Aber in Brüssel hat man doch gerade versucht, den Euro zu retten.
Die EU-Politiker diskutieren auf ihren Gipfeln immerzu das falsche Thema: Sie verengen den Blick auf die Staatsschulden und die Korruption.
Ist es etwa kein Problem, dass Griechenland auf einem Schuldenberg sitzt, der demnächst 160 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung ausmacht?
Es reicht nicht, nur auf die Schulden zu starren - sondern man muss sich fragen, wie sie überhaupt entstanden sind. Griechenland, Portugal, Spanien, Italien und sogar Frankreich haben ein Problem mit ihrer Wettbewerbsfähigkeit.
Kanzlerin Merkel hat auch schon erkannt, dass Griechenland nicht wettbewerbsfähig ist. Wieso liegt sie dann trotzdem falsch?
Angela Merkel hält es für ein reines Problem der Griechen, dass deren Waren zu teuer sind. Aber "teuer" ist kein absoluter Wert, der an und für sich gilt. Es ist eine relative Größe. Griechenland oder auch Italien sind zu teuer, aber gleichzeitig ist Deutschland zu billig. Seit der Einführung des Euros sinken die Reallöhne in Deutschland, wie eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in dieser Woche wieder bestätigt hat. Mit seinen zu geringen Löhnen unterbietet Deutschland alle anderen Euro-Länder. Selbst Frankreich kann nicht mehr mit den deutschen Preisen konkurrieren. Aber spätestens wenn Frankreich aus dem Euro fliegt, ist der Euro tot.
Was würden Sie den EU-Politikern also für den nächsten Gipfel empfehlen?
Sie müssen sich auf eine europaweit koordinierte Lohnpolitik verständigen. Die Löhne im Süden dürften nur ganz gering steigen - dafür müssten sie in Deutschland deutlich zulegen.
Steigende Löhne bedeuten steigende Preise. Sie würden Deutschland also eine Inflation verordnen?
Genau. Bisher hat Deutschland seine Löhne und Preise ständig gesenkt im Vergleich zu den anderen Euro-Ländern. Um das zu korrigieren, müsste die Inflation in Deutschland künftig über der Preissteigerung in den Krisenländern liegen - dann würden diese wieder wettbewerbsfähig.
Gerade Deutsche haben aber eine enorme Angst vor Inflation.
Die Inflation müsste gar nicht hoch sein: 3 Prozent würden schon völlig reichen, wenn der Preisauftrieb in den Krisenländern bei nur einem Prozent liegt. Dann wäre der Süden Europas langfristig wieder wettbewerbsfähig. Außerdem würde die Binnennachfrage in Deutschland angekurbelt, wenn endlich die Reallöhne steigen.
Aber die deutschen Exporte würden einbrechen.
Die deutsche Exportindustrie muss verstehen, dass es für sie noch die beste Option ist, wenn sie durch eine europaweit abgestimmte Lohnpolitik langsam an Wettbewerbsfähigkeit verliert. Die Alternative wäre der Crash des Euro. Dann würde die neue DM über Nacht um 30 bis 40 Prozent aufgewertet werden - und die deutschen Waren wären auf den Weltmärkten schlagartig so teuer, dass sie niemand kaufen kann. Wenn der Euro platzt, würde in Deutschland eine Wirtschaftskrise ausbrechen, wie wir sie nach dem Zweiten Weltkrieg noch nicht erlebt haben.
Haben Sie noch Hoffnung, dass sich ein Euro-Crash vermeiden lässt?
Eigentlich nicht, weil höhere Löhne hier ein Tabu sind.
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