Volkswirtin über Zeitarbeit: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit
Volkswirtin Claudia Weinkopf über nötige Reformen in der Zeitarbeit und den Fall Schlecker. Und wie schwierig es ist, die Auslagerung von Beschäftigten zu verhindern.
taz: In der Diskussion um Zeitarbeit wird Schlecker als Einzelfall behandelt. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen?
Claudia Weinkopf: Nein. In dieser Extremform ist Schlecker womöglich ein Einzelfall, der den politischen Handlungsbedarf ganz deutlich macht. Aber die Tendenzen, über die wir sprechen, gibt es seit Jahren. Darüber wurde in der Presse immer wieder berichtet. In fast allen Branchen werden mittlerweile eigene Zeitarbeitseinheiten gegründet, um tarifliche Standards zu unterlaufen.
Wie leicht ist es, als Unternehmen eine eigene Zeitarbeitsfirma zu gründen und Beschäftigte auszulagern?
Die 47-jährige Volkswirtin ist stellvertretende geschäftsführende Direktorin des Instituts Arbeit und Qualifikation und leitet dort die Abteilung Flexibilität und Sicherheit.
Es ist relativ einfach, grob gesagt. Man braucht eine Anmeldung bei der Bundesagentur für Arbeit, muss gewisse Statistikpflichten erfüllen und finanzielle Sicherheiten bieten. Aber das ist für ein bestehendes Unternehmen in der Regel ja kein Problem. Die Möglichkeiten, dies durch rechtliche Änderungen zu unterbinden, sind aus meiner Sicht begrenzt. Denn wenn man größere Hürden aufbaut, wird wahrscheinlich wieder über Bürokratieaufbau geklagt - und darüber, dass man Existenzgründern zu viele Steine in den Weg legt.
Trotzdem will Arbeitsministerin Ursula von der Leyen gegen extremen Missbrauch bei der Zeitarbeit vorgehen. Was wäre zu tun?
Die theoretisch einfachste Lösung wäre es, dem Equal-Pay-Grundsatz Geltung zu verschaffen. Dann würden Leiharbeitskräfte eben nicht weniger verdienen als diejenigen, die als Stammbelegschaft vergleichbare Arbeit in den Betrieben leisten. So hätten Unternehmen keinen Anreiz, Personalkosten durch Auslagerung zu sparen. Doch derzeit erlaubt das 2003 unter Rot-Grün reformierte Arbeitnehmerüberlassungsgesetz die Umgehung des Equal-Pay-Gebots.
Seit 2003 ist es möglich, Leiharbeiter zeitlich unbegrenzt in einem Betrieb einzusetzen. War diese Reform ein Fehler?
Ja. Man kann heutzutage dieselbe Person als Leiharbeiter dauerhaft zu schlechteren Bedingungen in einem Betrieb beschäftigen. Eine Befristung der Höchstüberlassungsdauer könnte die Attraktivität des Schlecker-Modells - eigene Leiharbeitsunternehmen zu gründen - zumindest begrenzt beschränken.
Welche Entwicklungstrends gibt es in der Zeitarbeit?
Sie unterliegt einem Funktionswandel. Zeitarbeit ist in den letzten Jahren in etlichen Bereichen nicht nur zum Ausgleich von Produktionsspitzen eingesetzt worden, viele Unternehmen nutzen sie als Kernbestandteil ihrer Personalpolitik ganz unabhängig von Produktionsschwankungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was