Volksparteien in der Krise: Die Schwäche der Mitte
Die Wahlen in Sachsen und Brandenburg sind mehr als regionale Ereignisse. Sie zeigen: Der Osten ist die Zukunft des Westens.
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S achsen und Brandenburg werden weiterhin von Demokraten regiert. Also Entwarnung? Alles nicht so schlimm? Nichts wäre törichter. Dies ist der letzte Weckruf. Die SPD in Brandenburg und die CDU in Sachsen haben von taktischen Vernunftwählern profitiert, die im letzten Moment verhindern wollten, dass die AfD stärkste Partei wird.
Die Erfolge der SPD in Brandenburg und auch der Union in Sachsen sind gewissermaßen geliehen. Und weder SPD noch CDU haben für die Zukunft eine brauchbare Idee, wie das Bündnis von rechtsextremen und rechtskonservativen Kräften effektiv bekämpft werden kann.
Der zweite Irrtum lautet: Das war nur eine Ostwahl, Ausdruck von notorisch Beleidigten, die mittels AfD ihren Protest gen Westen adressieren. Dieses Motiv spielt zwar eine Rolle, doch das ist kein Grund für Selbstberuhigung.
Abgehängte Regionen und gefühlte Globalisierungsverlierer gibt es auch im Westen. Und der Osten ist, was Parteipolitik angeht, Avantgarde. Dort sind die Bindungen an die Parteien loser, man wählt eher mal Protest und situativer. Genau das lässt sich seit Langem auch im Westen beobachten – und zwar in zunehmendem Maße.
Die neuen Konfliktlinien
Die beiden Wahlen zeigen: Die neue Konfliktlinie verläuft, auch wenn die Grünen unter ihren Erwartungen blieben, zwischen weltoffenen, ökoliberalen Städtern und gefühlten Verlierern in der Provinz, die Heimat, Nation und Abschottung wollen. Die Mitte, der magische Ort bundesrepublikanischer Politik, der Ort, an dem Wahlen gewonnen und verloren werden, beginnt sich aufzulösen.
Die alten bundesrepublikanischen Volksparteien SPD und CDU werden in dieser Lage langsam zerrieben. Ihre einzige Chance, diesen schleichenden Prozess zu stoppen oder zu verlangsamen, ist: Sie müssen unterscheidbarer werden. Die Union muss konservativer werden, mit mehr Antennen für Provinz und kulturelle Verlierer. Die SPD muss statt dem routinierten „sowohl als auch“ deutlich linker auftreten.
Die Mitte, so die nur scheinbar paradoxe Botschaft dieser Wahl, muss sich polarisieren, um Mitte bleiben zu können.
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