Volksentscheid Baum in Berlin: Schwarz-Rot will Bäume pflanzen
Überraschende Wende im Umweltausschuss: Die Regierungskoalition unterstützt die Inhalte des Baumentscheids. Bedenken gibt es noch wegen der Kosten.

Vermutlich hätte Berlin sonst sowieso für den Gesetzesentwurf der Initiative gestimmt. Über 80 Prozent der Berliner Wähler:innen befürworten ihn – sagen die InitiatorInnen. Selbst unter den AfD und CDU Wählern seien knapp 70 Prozent dafür, heißt es. „Wir haben es geschafft, ein Thema auf die Agenda zu setzen, das vor zwei Jahren nicht so viele Menschen interessiert hat“, sagt Strößenreuther. Das mache ihn ein bisschen stolz.
Die Frage bleibt nur: Warum lenkt der Senat plötzlich ein? Hieß es doch noch im Juni vom Regierenden Bürgermeister Kai Wegner und Umweltsenatorin Ute Bonde (beide CDU), sie würden zwar „das grundsätzliche Ziel des Begehrens“ teilen, müssten das Gesetz allerdings wegen der damit verbundenen Kosten von „mindestens 7,2 Milliarden Euro“ ablehnen. Voller ist die Berliner Haushaltskasse seitdem nicht geworden.
Ist Kai Wegner nun also doch als Berlins oberster Baumliebhaber über seinen Schatten gewachsen? Benedikt Lux, umweltpolitischer Sprecher der Grünenfraktion, glaubt das nicht. „Es ist natürlich parteitaktisches Interesse“, sagt er. Am Tag des Volksentscheids hätte Berlin schließlich auch für die Wahl des Abgeordnetenhaus vor der Urne stehen sollen. CDU und SPD hätten vermeiden wollen, das beide Termine sich kreuzen. Vielleicht solle die Gelegenheit auch dafür genutzt werden, am Gesetzentwurf herumzudoktern, glaubt Lux.
Dadurch könnte der aktuelle Entwurf aber auch gewinnen. Das zumindest denkt Verena Fehlenberg von der Umweltorganisation BUND Berlin: „Das Anliegen finden wir richtig und wichtig“, sagt sie. Einige Aspekte seien aber noch nicht ausgereift. So steht im aktuellen Entwurf, dass alle 15 Meter an einer Straße ein Baum gepflanzt werden soll. Von Art zu Art haben die laut Fehlenberg aber mal mehr und mal weniger Platzbedarf.
Der Entwurf von der Initiative klärt auch nicht, welche Baumarten gepflanzt werden sollen. Heimische Arten könnten aber Insekten dringend benötigten Lebensraum schenken. Das Gesetz interessiert sich aber nur für die kühlende Funktion von Bäumen. Der BUND ist laut Fehlenberg aber schon mit dem Baumentscheid über solche Feinheiten im Gespräch.
Geteiltes Anliegen
Am Samstag hatten sich nach einer Sondersitzung des Umweltausschusses, bei der die Initiative von den Parlamentarier:innen befragt wurde, sowohl SPD als auch CDU für das Anliegen des Volksentscheids ausgesprochen. „Das Kernanliegen der Initiative ist gerade aus bürgerlicher Sicht absolut richtig und verdient unsere Unterstützung: die gesetzliche Verankerung von Klimaanpassung und Stadtgrün“, sagte Dirk Stettner, Fraktionsvorsitzender der CDU.
Er kündigte weitere Gespräche mit Vertreter:innen der Initiative an. Das nächste Treffen findet schon am Mittwoch statt. Unter anderem soll eine Arbeitsgruppe mit Fachpolitiker:innen gebildet werden, die prüfen soll, inwieweit die Inhalte des Gesetzesentwurfs durch das Abgeordnetenhaus übernommen werden können.
Das Abgeordnetenhaus hat noch bis zum 4. November Zeit, den Gesetzesentwurf der Initiative anzunehmen, oder – so die wahrscheinlichere Variante – mit einem eigenen abgeschwächten Gesetz zuvorzukommen. Die letzte Möglichkeit, das Gesetz im Abgeordnetenhaus regulär zu beschließen, wäre die Plenarsitzung am 9. Oktober.
Ließe das Parlament die Frist verstreichen, ginge das Volksbegehren in die nächste Phase: Dann müssen 250.000 Unterschriften gesammelt werden, damit bei den Wahlen im September 2026 per Volksentscheid abgestimmt wird.
Streitpunkt Kosten
Größter Konfliktpunkt ist bislang die Finanzierung: „Kosten von 7 Milliarden Euro oder sogar mehr, die zu Einsparungen bei anderen freiwilligen Leistungen von zirka 500 Millionen Euro pro Jahr führen, sind im Kernhaushalt nicht darstellbar, ohne an anderer Stelle großen Schaden für die Berlinerinnen und Berliner zu produzieren“, schrieben die Koalitionäre in ihrer gemeinsamen Pressemitteilung am Montag.
„Es muss ja nicht alles aus dem Landeshaushalt kommen“, sagt Benedikt Lux von den Grünen. Es gebe verschiedene andere Wege, an Geld heranzukommen, etwa über Spenden an die Stadtbaumkampagne oder eine CO2-Bepreisung.
Eine weitere Hürde könnte die erhebliche Flächenkonkurrenz in Berlin sein. Bislang priorisiert Schwarz-Rot Neubau über den Erhalt von Grünflächen. In Neukölln soll etwa ein Waldstück auf einem ehemaligen Friedhof Eigentumswohnungen weichen, obwohl Bezirk und Berliner Forste dagegen sind. Ausgleichsflächen im Stadtgebiet gibt es kaum noch.
Der Gesetzentwurf der Initiative sieht vor, 300.000 neue Straßenbäume bis 2040 zu pflanzen. Außerdem sollen in besonders dicht bebauten „Hitzevierteln“ Flächen entsiegelt werden. Regenwasser soll mit der Umsetzung des Schwammstadt-Konzepts besser gespeichert und genutzt werden.
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