: Völkische Chronik des Erntedankfestes
1931: Die Gesamtverschuldung der deutschen Landwirtschaft liegt bei mehr als zwölf Milliarden Reichsmark.
1931/32: In die Vorstände der Landwirtschaftskammern ziehen nach großen Wahlerfolgen die Nationalsozialisten ein.
Sommer 1933: Zeitungen berichten erstmals, dass ein großes Bauernfest zum Erntedank geplant ist. Wo es stattfinden soll, ist noch nicht bekannt.
16. September 1933: Reichspropagandaminister Josef Goebbels und Reichsbauernführer Richard Walther Darré erklären in einem gemeinsamen Aufruf, dass das Reichserntedankfest als Staatsakt auf dem Bückeberg bei Hameln gefeiert werden soll.
1. Oktober 1933: Das „Reichserbhofgesetz“ tritt in Kraft. Es verbietet den Bauern, ihre Höfe zu verkaufen, zu teilen oder zu belasten. Erbberechtigt ist jeweils nur der älteste Sohn. Am selben Tag kommen zum ersten Reichserntedankfest fünfhunderttausend Menschen nach Hameln.
Dezember 1933: Alle bäuerlichen Interessenvertretungen sind im „Reichsnährstand“ aufgegangen. Die Preise für landwirtschaftliche Produkte werden festgesetzt, Importe wegen Devisenknappheit strikt kontrolliert.
1934: Die Stadt Goslar am Harz wird neue „Hauptstadt des Reichsnährstandes“. Auf dem Reichsbauerntag im November wird die „Erzeugungsschlacht“ ausgerufen. Bauern werden aufgefordert, hauptsächlich Devisen sparende Öl- und Faserpflanzen anbauen.
30. September 1934: Der Hamelner Oberbürgermeister verleiht Adolf Hitler das Ehrenbürgerrecht.
März 1935: Das nationalsozialistische Regime führt die allgemeine Wehrpflicht ein.
26. Juni 1935: Der „Reichsarbeitsdienst“ wird gesetzliche Pflicht. Jeder Jugendliche von achtzehn Jahren an muss einen sechsmonatigen „Ehrendienst am deutschen Volk“ leisten.
1933 bis 1939: Landarbeiterflucht, 1,4 Millionen Beschäftigte verlassen ihren Arbeitsplatz auf dem Land. Die jungen Männer und Frauen des Arbeitsdiensts werden vor allem in der Landwirtschaft eingesetzt.
März 1936: Deutsche Truppen marschieren völkerrechtswidrig ins entmilitarisierte Rheinland ein.
30. September 1938: Das Reichserntedankfest wird zwei Tage vor dem Veranstaltungstermin abgesagt. „Transportmittelinanspruchnahme“ lautet die offizielle Begründung. Sonderzüge, die das Ziel Hameln hatten, werden zur tschechoslowakischen Grenze umgeleitet und mit Soldaten belegt.
4. Juni 1999: In Hameln präsentiert der Historiker und Gymnasiallehrer Bernhard Gelderblom nach jahrelanger Recherche erstmals eine umfassende Ausstellung mit dem Titel „Ein Volk dankt seinem Verführer“ über das seitens der Kommunen und der landwirtschaftlichen Verbände lang verdrängte Kapitel der Reichserntedankfeste.
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