Völkermord an den Herero und Nama: Versöhnungsabkommen wackelt
In Namibia ist die geplante Versöhnung mit Deutschland umstritten. Die dortige Regierung will Nachverhandlungen – doch Berlin mauert.
Das Versöhnungsabkommen mit Namibia, das seit eineinhalb Jahren auf Unterzeichnung wartet, wackelt. Die namibische Regierung fordert Nachverhandlungen, sie steht unter Druck – wegen der im Mai 2021 veröffentlichten „Gemeinsamen Erklärung“ („Joint Declaration“), in der Deutschland erstmals „moralische Verantwortung“ für den Völkermord an den Herero und Nama übernimmt und die Zahlung von 1,1 Milliarden Euro über 30 Jahre verspricht. Ende voriger Woche erklärte Vizepräsident Nangolo Mbumba laut einer namibischen Zeitung, der Betrag könne nicht das letzte Wort sein: „Bislang ist keine Übereinkunft mit Deutschland erreicht und unterzeichnet.“
Ein Sprecher des Auswärtigen Amts erklärte am Sonntag, derzeit gebe es „konstruktive Gespräche mit der namibischen Regierung zu offenen Fragen der Umsetzung“. Nach taz-Informationen sollen Änderungen am paraphierten Text selber nicht Gegenstand der Gespräche sein.
In Namibia ist das Abkommen hoch umstritten. Als die „Gemeinsame Erklärung“ im Dezember im Parlament diskutiert wurde, kam es zu heftigen Auseinandersetzungen, die Regierung setzte daraufhin die Abstimmung aus. Die Herero und Nama, die im Genozid von 1904 bis 1908 einen Großteil ihrer Bevölkerung, etwa 100.000 Menschen, verloren haben, kritisierten die Verhandlungen von Beginn an – sie fordern einen Neustart. „Unser Argument war immer, dass wir direkte Verhandlungen zwischen den betroffenen Gemeinschaften und der deutschen Regierung brauchen“, sagte der oberste Vertreter der Herero, Paramount Chief Mutjinde Katjiua. Dies sei in einer Resolution des namibischen Parlaments von 2006 explizit festgehalten. Katjiua und weitere Vertreter*innen der Herero und Nama sind zurzeit in Berlin, wo am Wochenende eine Konferenz zum Völkermord und der Frage von Reparationen stattfand.
Begriff „Reparationen“ wird vermieden
Inhaltlich kritisieren Vertreter*innen der Herero, Nama sowie der San – eine Sammelbezeichnung für Indigene im südlichen Afrika – dass Deutschland mit der „Joint Declaration“ nur zugibt, dass die mit der Kolonisierung verbundenen Verbrechen „aus heutiger Sicht“ Genozid genannt werden würden. Zudem wird der Begriff Reparationen, der justiziabel wäre, vermieden.
Für die Nachfahren ist der Begriff besonders wichtig, nicht nur wegen des Geldes – für sie geht es um die erkennbare Übernahme von Verantwortung und Schuld. Kritisiert wird zudem, dass die 1,1 Milliarden Euro ausdrücklich für Entwicklungsprojekte – nicht etwa als eine Art Wiedergutmachung – ausgegeben werden sollen und dass damit „alle finanziellen Aspekte bezüglich der Vergangenheit“ geregelt wären. Spätere Nachforderungen sollen damit explizit ausgeschlossen werden.
Auch in Deutschland stößt die Erklärung auf Kritik. Offenkundig habe die Bundesregierung versucht, „sich aus einer umfänglichen und rechtlichen Verantwortung für seine koloniale Vergangenheit herauszuwinden“, bilanzierte das in Berlin ansässige European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) im Mai 2021. Auf der vom ECCHR organisierten Konferenz sagte deren Generalsekretär Wolfgang Kaleck, die Verhandlungen „hätten ein Vorbild sein können“, weil damit erstmals eine Kolonialmacht mit ihrer ehemaligen Kolonie einen Versöhnungsprozess begonnen habe, „doch Deutschland scheiterte“.
Deutlich wurde auf der Konferenz, welche Folgen die deutsche Kolonialbesatzung und der Genozid bis heute für die Nachkommen der Opfer haben. So führte der Verlust von Land – 70 Prozent des Farmlands in Namibia ist heute in Besitz der Nachkommen der deutschen Siedler – und die Zerstörung von Kultur und Lebensweise der Herero und Nama „zu weit verbreiteter Armut“, wie Katjiua, der oberste Vertreter der Herero, erklärt. Doch die namibische Regierung sei an einer echten Landreform ebenso wenig interessiert wie an echter Aufarbeitung des Genozids. „Dass sie nun Nachverhandlungen fordert, ist Populismus – nächstes Jahr stehen in Namibia Wahlen an.“
Klage am obersten Gerichtshof
Unter Druck ist die Regierung auch, weil namibische Juristen gerade eine Klage am obersten Gerichtshof vorbereiten, um das Abkommen zu stoppen – auch Katjiua ist darin beteiligt. Kern der Klage sei die Verletzung der Rechte des Parlaments, „weil die Debatte und die anstehende Abstimmung im namibischen Parlament im Dezember 2021 rechtswidrig abgebrochen wurden“, erklärt die deutsche Völkerrechtsexpertin Karina Theurer, die die Kläger unterstützt.
Auch auf deutscher Seite, findet sie, sollte der Bundestag beteiligt werden. „Etwas so wichtiges wie ein Versöhnungsabkommen müsste doch eigentlich vom Souverän beschlossen werden“, sagt Theurer. „Stattdessen gab es Geheimverhandlungen und am Ende eine Gemeinsame Erklärung, um einer gerichtlichen Überprüfbarkeit zu entgehen.“
Aus „Diplomatenkreisen“ erfuhr die taz: „Eine Regierungserklärung bedarf formal keiner Zustimmung durch den Bundestag.“ Die Frage, warum ein offiziell „Versöhnungsabkommen“ genanntes Dokument am Ende zur „gemeinsamen Regierungserklärung“ herabgestuft wurde, beantwortete das AA nicht.
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