: Völkerfreundschaft im Keller
■ Bisher war der internationale Kulturaustausch in Berlin lediglich Dekor von Städtepartnerschaften. Seit kurzem aber versuchen ausländische Kulturinstitute und Berliner Institutionen intensiver miteinander in Kontakt zu treten
Neuerdings erfreut sich der Keller des Hebbel Theaters großer Beliebtheit bei den Kulturattachés: Die Botschaften von Norwegen und Portugal luden dort zum Empfang, nachdem Tanzcompagnien aus Oslo und Lissabon über die Bühne gefegt waren. Kopf einziehen und sich dünn machen hieß es da in den verwinkelten Räumen, die mit Fundstücken aus der Geschichte des Theaters dekoriert sind. Die Diplomatie taucht tief in den Berliner Grund und freut sich, das spezifische Aroma der Stadt zu schnuppern. Begierig greift sie die Netzwerke der Kultur auf.
Für das Hebbel Theater ist der internationale Kulturaustausch tägliches Brot. Seit seiner Eröffnung 1989 hat die Intendantin Nele Hertling ein Netz der Kooperationen mit Theatern und Tanzszenen in vielen Ländern geknüpft. Doch auch zehn Jahre nach dem Fall der Mauer hat sie noch immer das Gefühl, gegen die blinden Flecken der Vorwendezeit antreten zu müssen. „In der Kultur gibt es mehr Erfahrungen für die Zusammenarbeit als auf anderen Gebieten. Mit diesem Pfund muss man wuchern“, meint die Intendantin, „statt es als elitären Luxus zu betrachten.“
„Die Stadt hat es bisher nicht verstanden, aus der Einladung eines bedeutenden Ensembles aus China oder Argentinien mehr zu machen als nur ein Gastspiel“, kritisiert Hertling mangelnde politische Beachtung. Dabei ist die Kultur als Triebfeder der Zusammenarbeit in politischen Absichtserklärungen durchaus gefragt, wird sie doch nicht selten als „dritte Säule“ der Außenpolitik bezeichnet. „Dennoch wird gerade dort, wo man schon viele Erfahrungen gesammelt hat, zuerst gespart“, beklagt Hertling. Immer öfter fehlen ihr, besonders für Projekte mit den ärmeren Ländern Osteuropas, die Mittel, Künstler für einen Arbeitsaufenthalt nach Berlin einzuladen oder die Transportkosten für Bühnenbilder zu bezahlen.
Denn gerade die flexiblen Mittel trifft der Rotstift. Der Etat des Referates für Kulturaustausch im Berliner Senat, das bei solchen Aufgaben einspringt, hat unter den Haushaltskürzungen der letzten Jahre fatal gelitten. Von den 2,7 Millionen, die Mitte der Neunzigerjahre noch zur Verfügung standen, sind für das Jahr 2000 wahrscheinlich nur noch 1,1 Millionen Mark in der Kasse. Das reicht kaum, langfristig verabredete Programme, wie die Reihe „Grenzenlos“, einzuhalten.
„Eigentlich sollte in Budapest eine junge Generation Berliner Künstler vorgestellt werden, denn gerade in Ungarn hat man dafür offene Ohren und Augen“, erzählt Wilhelm Großmann, Programmdirektor des Podewil. „Doch jetzt wird ein viel kleineres Rahmenprogramm für eine Ausstellung der Berlinischen Galerie daraus“, bedauert er.
Beweglichkeit zu zeigen, wird immer schwieriger. Bisher ist es zwar gelungen, die zehn Stipendienplätze, die Berlin an junge Künstler in New York, Pasadena, London, Istanbul, Moskau und Paris vergibt, zu schützen. Doch dem Senat scheint eine Strategie zu fehlen, in den oft noch in Westberliner Zeiten wurzelnden Austauschprogrammen der veränderten politischen Geografie Rechnung zu tragen. Oft reduziert sich der „Kulturaustausch“ auf das dekorative Programm im Rahmen einer Städtepartnerschaft.
Knapp neunzig Botschaften gibt es bisher in Berlin. Fast die Hälfte von ihnen wurde erst in den letzten Jahren neu eröffnet. Geradezu unheimlich aktiv war eine Schweizer Botschaftsrätin, der Berlin immerhin sieben Gastateliers für Schweizer Künstler verdankt, die von Kantonen und Städten unterhalten werden. Fast zwanzig ausländische Kulturzentren wie das Finnland-Institut, Haus Ungarn oder das Istituto italiano di cultura arbeiten inzwischen in der Stadt. Sie alle suchen Partner für ihre Arbeit in Berlin.
„Damit sind die Erwartungen an Berlin gestiegen“, sagt Hans-Georg Knopp, Generalsekretär im Haus der Kulturen der Welt. Vor zweieinhalb Jahren begannen sich dort die ausländischen Kulturinstitute, die voneinander oft ebensowenig wissen wie von den Berliner Institutionen, zu treffen. Seit November 1999 klopfen in einem Arbeitskreis „Internationaler Kulturaustausch“ zwanzig Berliner Institutionen die komplizierte Maschine ihrer Betriebe auf Potenziale der Konzentration und Koordination ab.
Was notwendig ist, um den Austausch nicht nur punktuell, sondern kontinuierlich zu fördern, soll auf dieser Plattform erarbeitet werden, an der das Künstlerhaus Bethanien, das Podewil, der DAAD, die Ethnologischen Museen, die FU und weitere Häuser teilnehmen. Mit gemeinsamer Lobbyarbeit will man sich den Rücken bei Landes- und Bundespolitikern stärken. Aber auch an praktische Hilfe ist gedacht: „Uns fehlen zum Beispiel Wohnräume, Ateliers und Probenräume für Künstler, die hier arbeiten sollen“, stellt Knopp fest. Sich da mit dem Künstlerhaus Bethanien, das über 20 Ateliers und Werkstätten verfügt, abzusprechen, hält Knopp für eine realistischere Strategie als weitere Ateliers zu fordern. Zudem schlägt er die Einrichtung von Stipendien für Kulturarbeiter außereuropäischer Institutionen in den Berliner Häusern vor.
Bisher fehlte es an gegenseitigen Informationen für die Planung langfristiger Projekte. Erstes Ergebnis ist die Zusammenarbeit zwischen dem Haus der Kulturen der Welt und dem Ibero-Amerikanischen Institut, die 2002 den Weg der Moderne in der mexikanischen Kultur thematisieren.
Kulturaustausch ist nicht immer spektakulär. „Events, für die man Sponsoren gewinnen könnte, sind nicht das Ziel von Stipendienprogrammen“, sagt Ulrich Podewils, der das Berliner Künstlerprogramm des DAAD seit einem Jahr leitet. Wie wenig Interesse Berlin an den eingeladenen Künstlern zeigt, überrascht ihn oft, zumal von außerhalb eher Anfragen kommen. Als ehemaliger Kanzler der TU vermisst er Kontakte zwischen Kultur und Wissenschaft, die den Künstlern mehr Resonanz verschaffen und nachhaltigere Spuren hinterlassen. Deshalb setzt er sich für Gastprofessuren der Künstler ein: An der TU, die mit einem Tonstudio ausgerüstet ist, ist eine Gastprofessur für Computermusik in Vorbereitung. Schon begonnen hat der japanische Dichter Kenzburo Oe an der Freien Universität, die Grenzen der Literaturwissenschaft von innen her aufzubrechen. „Solange man das eigene Profil beibehält“, meint Podewils, „stärken solche Partnerschaften.“ Katrin Bettina Müller
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