Völkerball unter Verdacht: Und jeder Treffer sitzt
Die Versuche, Völkerball als Spiel im Schulsport regelmäßig in Verruf zu bringen, zielen ins Leere. Das Duell macht einfach Spaß.
E ine minutenlange Tiefenrecherche hat ergeben, dass sich dieses Spiel immer noch größter Beliebtheit erfreut. Der Autor führte sie aus naheliegenden Gründen im engsten Familienumfeld durch. Und siehe da: Völkerball ist „nice“, fein, er fetzt und funzt (letztere Einschätzungen vom Autor).
Ein derart klares Bekenntnis zum Völkerball, der bisweilen irrigerweise und nur von Banausen Zweifelderball genannt wird, hätte der Autor nicht erwartet, leidet er doch auch unter dieser journalistischen Deformation professionelle, die twitteristische Welt für die wahre zu halten, also manchmal. Der Nachwuchs bekennt sich klar zum Völkerball, und das liegt nicht am ersten Teil des sportiven Kompositums, denn wie eine weitere Tiefenrecherche auf Google ergab, haben die Ahnen des Autors keineswegs dieses Spiel erfunden.
Das ist eigentlich schade, denn Völkerball wird immer noch überall in den Schulen gespielt. Es gibt bisweilen Turniere, der Turnerbund fördert es, Sportlehrer sowieso, der DTB teasert das Turnfest 2025 in Leipzig mit der Kachel an: „Völkerball geht immer.“ Er schreibt: „Völkerball ist ein geeignetes Spiel, um über die Spielfreude hinaus das Fangen des Balles in allen Situationen zu üben und reaktionsschnell Treffer zu erzielen. Es ist als Abschluss zur Gymnastik- und Turnstunde ebenso beliebt wie bei vielen Freizeitturnieren in Turnvereinen.“
Freude im tristen Schulalltag
Wenn früher in der Schule Völkerball gespielt wurde, dann war das beim Autor dieser Zeilen so beliebt wie das Topografie-Duell im Geografie-Unterricht. Oder Ausfall. Es war also ein Moment der Freude im tristen Schleiferalltag. Deswegen hat er nie verstanden, warum der Völkerball in den vergangenen Jahren regelmäßig am Pranger gouvernantenhafter Oberaufseher stand, warum er den Schülern madig gemacht werden soll.
2019 begann dieses Unterfangen. Kanadische Wissenschaftler hatten sich mit dem ähnlichen Dodgeball beschäftigt. Sie wollten erkannt haben, dass die Gefahr des Mobbings bestehe. Aggressive Schüler lebten sich aus, schwächere hätten zu leiden. Wer jemals Völkerball gespielt hat, und das haben wir ja wohl alle, der kennt natürlich diese Szenen: Männliche Pubertiere zielen auf die Mädchen, die sich im hinteren Bereich des Feldes sammeln, um den Schüssen, nun ja, auszuweichen.
Die Pubertisten tun das natürlich in der Absicht, den Gegner „abzuschießen“. Zumeist entwickelt sich ein juveniles Spiel der Geschlechter, es kommt zum leicht sexualisierten Austesten von Rollen, wobei niemand dazu verdammt ist, passiv zu sein. Ein Drittel der Mädchen stehe freilich nur doof herum, wird dem Autor im Zuge seiner Tiefenrecherche berichtet, und auch, dass ein Spiel Jungs gegen Mädchen einmal fast eskaliert wäre, weil sich die Jungs in einen Dominanzrausch hineingesteigert hätten.
Ja, es ist wie immer kompliziert, und bestimmt gibt es Mädchen (und Jungs), die dieses Spiel hassen. Aber verhasst sind auch das Geräteturnen, der Ausdauerlauf, Mathe und Chemie. Das alles steht nicht zur Disposition, natürlich nicht. Es sind Hürden, die man nehmen muss. Lebensaufgaben, die halt anstehen. Und nicht jede ist so spaßig wie Völkerball, das sei auch mal gesagt. Zuletzt hatte der Sender ZDFinfo auf Instagram gefragt, ob es sich beim Völkerball nicht um Mobbing handle.
Dieses Thema schießt so verlässlich aus dem Humus von Tendenzschichten wie der Steinpilz im Herbst, und zumeist kommen dann Sportpädagogen in den Medien zu Wort, die den kriegerischen, angeblich auch rassistischen Charakter des Spiels hervorkehren. Aber das Spiel, die Lust daran, scheint größer zu sein. Die Varianten sind mittlerweile so mannigfaltig wie das Leben selbst. Die Dynamik des Völkerballs ist zu stark, als dass sie eingehegt werden könnte. Der König ist tot? Ach was, es lebe der König!
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