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Vinyl boomt wiederEs dreht sich

Max Gössler und Alex Terboven hatten einen Traum: ein eigenes Vinylpresswerk in Berlin. Sie kündigten ihre guten Jobs, wagten es – und gewinnen gerade.

Max Gössler (links) und Alex Terboven mit Pressen und Extruder in ihrer kleinen Fabrik Foto: André Wunstorf

Berlin taz | Vom Berliner Ortsteil Marienfelde lässt sich nicht gerade behaupten, dass dort im Jahr 2017 die Dinge passieren. Eher wirkt die Gegend im Süden der Stadt ein bisschen vintage. Gaststätten heißen hier „Landhaus Alt-Mariendorf“ oder „Alte Dorfschänke“; das Adjektiv „Alt-“ ist in Mariendorf in.

Es passt also, wenn man nun im Hinterhof eines Klinkerbautenareals auf zwei Menschen trifft, die ihr Leben einem Medium mit Retrocharme widmen. Alex Terboven und Max Gössler, bislang hobbymäßig Musiker, DJs und Labelbetreiber, öffnen die Tür zu einer kleinen Fabrikhalle. Hier haben die beiden jungen Männer, 31 und 34 Jahre alt, vor ein paar Wochen ein neues Presswerk für Schallplatten eröffnet. Eine der ersten Neueröffnungen seit der Renaissance des Vinyls, die Deutschland in den vergangenen Jahren erlebt. Und im Moment das einzige Presswerk Berlins. Es heißt „intakt!“.

Max Gössler hat eben noch mit einem Kunden gesprochen, jetzt steht er neben einem Gerätewagen. Ein paar frisch gepresste schwarze Scheiben liegen darauf, sie müssen abkühlen. „Die Nachfrage nach Vinylpressungen ist zuletzt enorm gestiegen“, sagt Gössler. „Die Labels mussten oft wochenlang warten, bis sie einen Termin im Presswerk bekamen. Vor allem die kleinen Firmen hatten darunter zu leiden. Deshalb wollen wir nun auch hauptsächlich für Independent-Labels pressen.“

Ein paar Zahlen erklären den Engpass: Vor zehn Jahren wurden in Deutschland gerade noch 400.000 Schallplatten verkauft. Umsatz pro Jahr: 8 bis 9 Millionen Euro. Der Tod der schwarzen Scheibe schien nur noch eine Frage der Zeit. Aber dann ging’s bergauf, im vergangenen Jahr wurden schon wieder 3,1 Mil­lio­nen Exemplare verkauft. Umsatz: 70 Millionen Euro. Steigerung im Vergleich zum Vorjahr: gut 40 Prozent.

Warmes Knistern, leises Knacken

Vinyl boomt weiter. Die Gründe: Nostalgie, Leidenschaft, Sammlertum. Die Schallplatte ist das Medium, mit dem Rock und Pop groß wurden, und viele Musikfans lieben bis heute das Ritual des Plattenauflegens: Warmes Knistern. Leises Knacken. Kaum wahrnehmbares Rauschen der Nadel, wenn sie durch die Rille gleitet. Ausgerechnet die Störgeräusche der Nadel sind in der Ära der digitalen Musikproduktion mit die meistgesampelten Tracks überhaupt.

Die Liebe zum Medium, zur Musik war es, die Max Gössler in diese sterile Fabrikhalle in Randberlin gebracht hat. „Es steckt viel Herzblut hier in dem ganzen Ding“, sagt er. Gössler hat als Produzent schon zwei EPs veröffentlicht. Er trägt ein rotes Baseball-Cap, Sneakers, kurze Hosen. Die Fabrikhalle haben Gössler und sein Geschäftspartner Alex Terboven mit eigenen Händen gestrichen: rot, gelb und grau. In einer beleuchteten Ecke stehen drei nigelnagelneue Maschinen. Glänzender Stahl, blaue Kunststoffverkleidungen. Es sind zwei Pressen und ein Extruder, eine Art Schmelze für Vinylgranulat. Drum herum: Schläuche, Hy­drau­lik. Ein paar folienummantelte Paletten mit dem Rohstoff PVC-Granulat stehen auch noch herum.

Unser Produkt ist sexy und romantisch

Max Gössler

Alex Terboven erklärt: „Ungefähr 25 Sekunden dauert es, bis aus einem schwarzen Gummiklumpen eine Schallplatte wird.“ Terboven und Gössler stammen beide aus Hamburg, man hört es ihrer Sprache an. Terboven gibt einen Crashkurs zur Plattenherstellung. Er greift ein Häufchen Granulat – es sieht aus wie Rollsplitt aus Gummi – und schüttet es in den Extruder. Darin wird es heiß, und heraus kommt eine Scheibe wie ein Eishockeypuck. Terboven legt den Rohling auf eine kleine Waage: „152 Gramm. Okay.“

Wie ein Waffeleisen

Der Puck kommt nun in die Presse. Die funktioniert wie ein Waffeleisen, bei 180 Grad Temperatur brennt eine Matrize die Rillen in das Plastik. Es macht ein paarmal „klack“, Sekunden später sieht der Puck schon fast aus wie eine Platte. Wie bei einer Waffel wird nun der Rand abgeschnitten. Die Platte ist noch warm, aber man riecht nichts. Terboven fasst sie mit Spezialhandschuhen an, er wirft einen fachmännischen Blick auf die Rillen, legt die Scheibe dann zwischen zwei Kühlplatten.

30.000 Schallplatten wollen die beiden Jungunternehmer pro Monat pressen. Dafür haben sie alles hingeschmissen, haben bei null angefangen. Max Gössler war bis vor einem Jahr noch Unternehmensberater, Terboven angestellter Maschinenbauer. Aber den Traum vom eigenen Presswerk träumten beide schon eine ganze Weile. Sie hatten das Problem der knappen Platten selbst erlebt. Max Gössler betreibt mit seinem Bruder das Label Somedate Records. Die ganze Clique gruppiert sich um die Plattenfirma und eine Konzertreihe gleichen Namens.

Die Idee vom eigenen Presswerk gedieh und reifte schließlich, Gössler und Terboven machten sich an den Businessplan. Sie rechneten hin und her. 500.000 Euro brauchten sie, mehr als die Hälfte kam über einen Bankkredit rein.

Gestalten statt verwalten

Keine Angst vor der Selbstständigkeit, vor Scheitern, vor Bankrott? Terboven: „Angst würde ich nicht sagen.“ Er ist Pragmatiker, norddeutsch trocken. „Natürlich war es ein angenehmes Gefühl, jeden Monat ein reguläres Gehalt zu beziehen. Aber das ist nicht alles. Als Maschinenbauer war ich am Ende zwar bei hundert Prozent Gehalt, aber bei null Prozent Spaß. Gerade ist es umgekehrt. Und ich liebe es.“ Nun gestaltet er, statt nur zu verwalten.

„In der Selbstständigkeit hat man selbst Einfluss darauf, welche Entwicklung der Betrieb nimmt. Man kann Fehler korrigieren und Dinge zum Besseren verändern.“ Freunde und Familie gaben Rückendeckung, und einen ordentlichen Vertrauensvorschuss: „Sie federn das finanzielle Risiko zwar nicht völlig ab, aber sie geben einem ein gutes Gefühl.“

Der Markt in Deutschland macht beiden Hoffnung. Die gesamte Plattenbranche wirkt wie wiederbelebt. Auch Plattenspieler verkaufen sich wieder besser: 106.000 waren es 2016, 33 Prozent mehr als im Vorjahr. Und in Alsdorf bei Aachen stellt ein Fünfmannbetrieb namens Newbilt Machinery neue Vinylpressen her. Einer ihrer ersten Kunden war übrigens Jack White, der Kopf der Band White Stripes und Gründer des Labels Third Man Records. Er hat jüngst in De­troit ein neues Presswerk eröffnet. Und auch Max Gössler und Alex Terboven haben ihre beiden Pressen für Berlin-Marienfelde von Newbilt Machinery gekauft.

Lange Wartezeiten

Die Plattenlabels freuen sich über mehr Vinyl. Thomas Morr, Chef von Morr Music in Berlin, erzählt: „Wir mussten zuletzt oft sechs bis acht Wochen warten, bis wir eine Testpressung bekamen, und dann noch mal so lange, bis man das fertige Produkt in der Hand hält.“ Produktionsverspätungen wurden zur Regel, die Folge: Plattenfirmen können ihre angekündigten Veröffentlichungstermine nicht mehr halten. Indie-Chefs klagen, dass die großen, zahlungskräftigen Labels privilegierten Pressenzugang bekämen. Für die kleinen bedeutet das: Sie können kaum noch planen.

Merkt auch Thomas Morr etwas vom Vinyl-Hype? Mmh. Zwar hat der Verkauf in seinem Onlineshop angezogen, aber der Verkauf der Eigenveröffentlichungen auf Vinyl bleibt fast gleich. Morr hat Zweifel an der Renaissance des Vinyls. Dieser Markt wachse vor allem, weil Re-Releases von Popklassikern den Markt überschwemmten. Da könnte etwas dran sein, Bestseller-Vinylalben im popbegeisterten Großbritannien zum Beispiel sind: die Beatles, die Smiths, Fleetwood Mac, Nirvana und David Bowie.

Vinylfans argumentieren gern, dass wir allein der Platte unser Musikwelterbe anvertrauen dürfen. Ein Soundästhet wie der Musiker Neil Young rebelliert gegen die Digitalspeicherung per MP3-Format. Der Musiker und Autor Jace Clayton alias DJ Rupture nennt Digitalformate in seinem Werk zur Musik im Internetzeitalter „fluide Medien“. Allein die physische Klangüberlieferung auf Platten erlaube der Musik, sie selbst zu bleiben.

Hundert Jahre Swingen

„Hundert Jahre alte Schellackscheiben können immer noch den Soul und den Swing der Musiker in sich tragen“, schreibt er. Das digitale Zeitalter dagegen wolle die Vervielfältigung des Datenbündels, fluide Codes, die in möglichst viele andere Formate überführbar sind. Für Clayton das Gegenteil von Musik, die sie selbst bleiben darf, und von toten Musikern, die weiterswingen.

Der Berliner Plattenpresser Alex Terboven schätzt einfach die Robustheit und Haptik der Scheiben. Er erinnert sich genau an den allerersten Schwung Schallplatten aus eigener Produktion: „Es ist ein tolles Gefühl, die fertigen LPs dann piekfein und sorgfältig in die Kartons zu packen. Und ein noch besseres, wenn der Kunde die Platten dann mit einem Lächeln entgegennimmt.“

In Marienfelde sind sie inzwischen bei Pressauftrag Nummer sechs. Die nächsten 30 Pressungen sind schon gebucht, meist Auflagen von 300 bis 500 Stück. In Terbovens und Gösslers Fa­brik­halle gehen befreundete Labelmacher ein und aus. Aus aller Welt kommen die Anfragen von Plattenfirmen. Gössler hat das nicht überrascht. „Das Produkt, das wir herstellen, ist sexy und romantisch“, sagt er. Für ihn und viele andere ist es einfach: eine große Leidenschaft.

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