SIEG DER FORTSCHRITTSPARTEI: ABER IN TAIWAN WIRD SICH WENIG ÄNDERN: Viel Konsens, kaum Taten
Der taiwanesische Präsident Chen Shui-bian darf aufatmen. Wäre seine Fortschrittspartei (DPP) aus den Parlamentswahlen auf Taiwan nicht als stärkste Kraft hervorgegangen, hätte er den zweiten Teil seiner Amtszeit genauso macht- und kraftlos verbringen müssen wie den ersten Teil. Tatsächlich entpuppte sich Chens historischer Wahlsieg vor eineinhalb Jahren, als erstmals ein aus der Demokratie- und Unabhängigkeitsbewegung stammender Politiker an die Spitze der Insel aufstieg, bislang als kostspieliger Flop. Inmitten einer verheerenden Rezession, der schlimmsten seit 50 Jahren, hatten die Taiwaner plötzlich keine handlungsfähige Regierung mehr, da sich der Präsident und ein von den Nationalisten der Kuomintang (KMT) kontrolliertes Parlament gegenseitig blockierten.
Nun haben die Taiwaner den Wandel im Präsidentenpalast auch im Parlament nachvollzogen. Allerdings fällt er dort weit weniger deutlich aus als bei einer Präsidentschaftswahl, die nur einen Sieger kennt. So verfügen die Nationalisten – obwohl nun gespalten – immer noch über eine knappe Mehrheit der Abgeordneten. Chen mag es zwar gelingen, Einzelne von ihnen für eine Koalition zu gewinnen und damit endlich handlungsfähig zu werden, aber der große Politikwechsel auf Taiwan wird auch diesmal ausbleiben.
Innenpolitisch ist das bedauernswert. Taiwan wird nicht nur sein viertes Atomkraftwerk weiterbauen, das Chen einst zu stoppen versprach. Er wird sich auch damit schwer tun, die klanhaft-mafiosen Wirtschaftsstrukturen abzuschaffen. Zum Beispiel müsste eine Finanzreform das Bankengestrüpp lichten, das unter der jahrzehntelangen KMT-Herrschaft wild wuchern konnte. Doch Präsdident Chens beschworene „Ära der Zusammenarbeit“ mit der KMT wird genau das nicht zulassen. Stattdessen droht eine Krisenpolitik nach japanischem Vorbild – viel Konsens, wenig Taten. Dabei könnte der derzeit nur konjunkturell bedrohte Wohlstand der Insel aufgrund falscher Politik auch langfristig gefährdet sein. Schon flieht das Kapital aufs Festland. Taiwan kann dem nur mit mehr Transparenz und weniger Korruption begegnen.
Außenpolitisch aber könnte sich der neue Zwang zum Kompromiss als Segen erweisen. Chen, der die Volksrepublik China von Herzen verachtet, ist bereits aus ökonomischen Gründen zur Annäherung umgeschwenkt. Nun könnten DPP und KMT zu einer gemeinsamen Chinapolitik finden, die für den Zusammenhalt in Taiwan so wichtig wäre. Denn nur ein chinapolitischer Konsens garantiert Sicherheit vor Spaltungsversuchen der Kommunisten. GEORG BLUME
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen