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Videoüberwachung an britischen SchulenMal sehen, was die 4-Jährigen machen

Mit Überwachungsmaßnahmen werden in Großbritannien ständig neue Rekorde erzielt. Jetzt werden sogar schon die kleinsten ABC-Schützen bespitzelt.

Auch vor Klassenräumen machen Kameras heute nicht mehr halt. Bild: dpa

„Das Leben ohne Classwatch ist total undenkbar für eine Schule im Zentrum Londons.“ Damit wirbt die britische Firma Classwatch auf ihrer Webseite. Der Anbieter von Videokameras hat die Stockwell Park High School in London komplett vernetzt. Schulleiterin Judette Tapper ist begeistert: „Die Kameras haben eine wichtige Rolle bei der Verbesserung der Schule gespielt.“ Sie hätten die Schule ruhiger gemacht. An einer High School mag das im kameraverliebten Großbritannien noch normal erscheinen. Doch jetzt berichtet die Daily Mail, dass selbst 4-jährige Vorschüler bereits mit Kameras beobachtet werden.

Inwiefern Schulen davon profitieren, wenn sie ihre jüngsten Schüler aufzeichnen, erschließt sich nicht sofort. Vandalismus, Mobbing und Diebstahl, kurz: anti-soziales Verhalten – das sind die Stichworte, mit denen Classwatch seine Technik anbietet. Wenn Lukas den Lolly von Frida klaut, kann der Täter wenigstens im Nachhinein überführt werden. Auch sonstiges Fehlverhalten kann ein Lehrer mit Kameras schneller ausmachen und den oder die Übeltäterin identifizieren. „Unterbrechungen – die sonst bis zu 20 Prozent einer Stunde ausmachen – lassen sich so drastisch reduzieren“, meint Classwatch. Lohnt das die entstehenden Kosten? Eine dauerhafte Installation kostet etwa 3.000 Pfund (rund 3.000 Euro), pro Klassenzimmer. Mieten geht auch, für 50 Pfund pro Monat und Raum.

An 85 Schulen ist das System der Firma Classwatch installiert: Videokameras und sogar Mikrofone. „Die Antwort auf effektives Klassenraum-Management“ – so lautet ein weiterer Werbespruch der Firma. Den ganzen Tag zeichnen die Kameras alles auf, was im Klassenraum vor sich geht. Für den Fall, dass es Konflikte in der Klasse gebe, stehe gleich klärendes Filmmaterial zur Verfügung, preist Classwatch sein Produkt an. Ganz offen wird mit „Verhaltensmanagement“ geworben.

Freilich stehen auch weniger verfängliche Anwendungen auf dem Programm der Schulen. Lehrer können ihren Unterricht aufzeichnen oder die Technik kreativ zum Lehren verwenden. Die Überwachung von Mitarbeitern sei vom Hersteller natürlich nicht vorgesehen. Und die Überwachung der jüngsten Schüler? Braucht es wirklich vor Gericht verwertbare Aufnahmen von Vierjährigen?

Das fragt sich jetzt auch die staatliche Datenschutzbehörde Großbritanniens und warnt davor, dass die Überwachung in diesem Fall illegal sein könnte. Ein Sprecher sagt, die Behörde wolle nun von Schulen, die die Technik gebrauchen, eine „angemessene Rechtfertigung“ für den Einsatz verlangen. Insbesondere das Aufzeichnen von Gesprächen stelle aus Sicht der Datenschutzbehörde einen massiven Eingriff in die Privatsphäre der Schüler dar.

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12 Kommentare

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  • R
    Radiolaria

    Folgende Ueberlegung:

     

    Eine Gesellschaft/Individuen verhalten sich anders, wenn sie das Gefuehl haben beobachtet zu werden. Daraus folgt eine Uniformierung der Menschen. Individualisten/ Persoenlichkeiten und Andersdenkende sterben aus. Dies ist der Naehrboden fuer Extremisten. Das dritte Reich laesst Grueßen. Vielen Dank

  • K
    Krylon

    Ihren Kommentar hier eingeben

     

    @ Pinguin

     

    Wenn Sie als „Pädagoge“ die Videoüberwachung zur Selbstdarstellung benötigen, so bleibt es Ihnen unbenommen, eine häusliche Peep-Show zu veranstalten. Das geht schnell, Sie brauchen keine „überflüssigen“ Genehmigungen einzuholen, und selbst die Kleiderfrage dürfen Sie selbst bestimmen.

     

    Wären Sie an der Schule meiner Kinder, wäre ich Ihr schärfster Gegner im Elternrat. Da können Sie sicher sein!

  • J
    jakob

    Spezialpersonal für die anwesenheitskontrollen in der oberstufe? An was für schulen unterrichtest du, pinguin???

  • K
    karla

    liebe frau/herr pinguin,

     

    ihren kommentar lese ich mit entsetzen, sie würden ihre "schutzbefohlenen" einer überwachung aussetzen um eine neue form der kontrolle zu haben? sie meinen wirklich das sie damit mehr erreichen könnten? einen livestream im netz mit ihrem (scheinbar sehr vorbildichen) unterricht, ins netz zu übertragen? dass auch jeder sieht wie wunderbar sie unterrichten und wie grausam sich ihre schüler ihnen gegenüber verhalten? oh ja, klar, damit man die unzüchtigen, nicht dem system entsprechenden schüler danach maßregeln kann - hier würde ich ein schüler "guantanamo" empfehlen, dies ist doch sicher in ihrem interesse, oder nicht?

    entschuldigen sie bitte, aber ziehen sie doch nach england, dort scheinen sie besser aufgehoben zu sein!

     

    mit freundlichen grüßen, eine sich an den kopf greifende karla

     

    p.s.: es ist erschreckend wer in unseren klassenzimmern unterrichten darf!!!

  • K
    Kenny

    Da fragt sich doch,wozu brauchen wir überhaupt noch Schulen?

    Unnützliches relikt aus einer anderen Zeit.

    Jedes Kind bekommt im Kinderzimmer eine Cam dann

    Livestream ins Virtuelle Klassenzimmer,Fussfessel und fertig.

  • I
    interessant

    in meiner heimat, einem kleinen ort in niedersachsen, gibt es seit ein paar monatenzwei kameras, die über den gesamten grundschulhof scauen. nun wüsste ich gern, ob das ein einzelfall ist oder ob es so etwas auch andernorts in deutschland gibt.

    wer kann mir helfen??

  • P
    Pinguin

    Ich kann dieses Entsetzen nicht verstehen. Als Lehrer an bisher sechs verschiedenen Schulen habe ich immer schon erwogen, meinen Unterricht - nach vorheriger schriftlicher Einverständniserklärung von Eltern und Schülern - aufzeichnen bzw. als Livestream in das Netz übertragen zu lassen. Aufregend ist das nur dann, wenn es lediglich eine oder zwei Schulen oder Unterrichtsübertragungen gibt. Stellen Sie sich aber vor, das wird zum Standard, dann ist Klassenöffentlichkeit gleich Schulöffentlichkeit gleich Öffentlichkeit - wo ist das Problem? Es sollte mehr Gelassenheit von Dienstleistern im Bildungsbereich im Umgang mit Transparenz geben.

    Überlegen Sie mal, hinsichtlich der Beliebigkeit mündlicher Notengebung: hier könnte archiviertes Material für Gewissheit sorgen, wenn es Diskussionen gibt. Anwesendheitskontrolle, gerade in der Oberstufe eine ermüdende Veranstaltung, könnte so langfristig (durch automatische Bilderkennungssoftware) maschinell gewährleistet werden, wenn Geldgeber (also die Wähler und Steuerzahler) nach Durchsicht von heutigem Unterricht zu der Auffassung kämen, dass da teures Spezialpersonal für Arbeitsabläufe bezahlt werden muss, die sich einsparen ließen.

    Dann gibt es an verschiedenen Schulen die Unsitte, bei unvorhergesehenem Lehrerausfall und Personalknappheit einzelne Lehrer zur "Nebenraumaufsicht" während des eigenen Unterrichts zu verdonnern. Das wird auch "Indischer Unterricht" genannt: links und rechts des Ganges. (Vorsicht, Kalauer!) Aufsichtsrechtlich und pädagogisch äußerst problematisch, aber so lange es keine besseren Ideen gibt, wird das weitergehen.

    Wenn mir jemand ein paar Kameras gäbe und die Softwareinstallation übernähme und die Schulleitung einverstanden wäre, dann würde ich sofort bei meinen Schülern und Schulereltern für die Durchführung eines Pilotprojektes werben.

    Beste Neujahrsgrüße

  • W
    willy

    War George Orwell nicht auch ein Brite? Das erklärt doch wohl alles. Oder?

    Manche Bücher lesen die Engländer und ein deutscher rollstuhlfahrender IM wohl als Gebrauchsanweisung, auch wenn es eher als dringende Warnung gedacht war!

     

    Für mich ist jede öffentliche Videoüberwachung pervers, aber die Videoüberwachung von Kleinkindern in öffentlchen Einrichtungen ist echt der Gipfel der Perversion!

     

    Und dabei verdienen perverse Firmen noch ihr Geld damit!

     

    Schöne Neue Welt!

  • J
    jemand

    Wieso argumentiert ihr mit vierjährigen?

     

    Es ist ungeachtet des Alters in jedem Fall ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Privatsphäre der Schüler, die diese im Klassenraum genauso haben wie sonstwo.

     

    Die Überwachungslobby sorgt einfach nur für Aufträge für Kameras, die keine Probleme lösen.

     

    Technik löst keien zwischenmenshclichen Konflikte. Tehcnik kann nur ein Werkzeug sein.

     

    Und diese Kameras sind kaum sinnvoll zu verwenden. Die Missbrauchsgefahr hingegen ist hoch.

     

    Mann, ich bin froh dass unser Rechtssystem nicht auf das britische commons law aufbaut.

    Die ham ja nichmal ne Verfassung!

     

    Die könnnen einem echt leidtun.

     

    Und zwar Schüler und Lehrer, ob vierjährig, vierzehnjährig, oder vierzigjährig. Gegen sie alle, und mehrheitlich gegen die Schüler ist diese Placebo-Maßnahme gerichtet.

     

    fjo

  • A
    antifaunited

    Bald auch bei uns? Ja klar, warum auch nicht...

     

    Versuchen Sie doch µal durch die Stadt zu gehen, ohne beobachtet zu werden! Unmöglich!

     

    eins steht jedenfalls fest: Die Kamera kommt nicht runter, um mir zu helfen, wenn was passiert! Und ich weiss nicht was mit den aufnahmen passiert!!

  • OW
    orwell was right

    Das ist wirklich gruselig. Schon die kleinsten werden an Überwachung gewöhnt, daran, dass jemand jedes Fehlverhalten sehen und bestrafen wird.

    Im Mittelalter gab's dafür einen abstrakten Gott, jetzt gibt es wirklich jemand, den Großen Bruder, der alles sieht.

    In diesem Sinne

    Einen guten Rutsch ins Jahr 1984!

  • W
    wespe

    Pervers! Ich könnte kotzen!

    Die Unfähigkeit der Eltern und Pädagogen wird kaschiert, indem BIG BROTHER zugeschaltet wird. Und wann finden wir die ersten verordneten Überwachungskameras in Privatwohnungen, damit Kindesmisshandlung oder Gewalt innerhalb der Ehe überwacht und geMANAGEt werden kann?

    Management? Was haben uns denn u.a. die Finanzmanager weltweit bewiesen?