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Video der WocheKein Wintermärchen

Obdachlose werden zunehmend aus dem öffentlichen Raum vertrieben. Der Verdrängung aus dem Blickfeld folgt die Verdrängung aus dem Bewusstsein.

Erst kommt die Wut, dann die Tränen des Vertriebenen: Klaus Triebe vor dem Hamburger Hauptbahnhof Bild: screenshot: youtube.de

Die Verteibung der Obdachlosen aus den Zentren der Städte hat eine lange Geschichte. Grundlage der neuesten Verdrängungswelle seit Mitte der 90er ist die Broken-Windows-Theorie. Deren Autoren James Wilson und George Kelling machen keinen Hehl daraus, dass es darum geht, „antößiges Verhalten“ zu UxCdWbOA5qwJ:www.htw-saarland.de/sowi/Studium/studienangebot/sozialpaedagogik/materialien-sp-16-28-abweichendes-verhalten-und-gesellschaftliche-reaktion/wilson-kelling-polizei-und-nachbarschaftssicherheit-zerbrochene-fenster+&cd=1&hl=en&ct=clnk&gl=de&client=firefox-a:kriminalisieren, auch dann, wenn dabei kein anderer zu Schaden kommt.

Damit ist aus dem Kampf gegen Armut ein Kampf gegen Arme geworden. Und dass, obwohl die Broken-Windows-Theorie wissenschaftlich auf dünnen Stelzen steht: obwohl so beliebt, lassen sich kaum Studien finden, die einen direkten Zusammenhang zwischen Anwendung und Kriminalitätsrückgang vermuten lassen. Was regelmäßig steigt, ist das subjektive Sicherheitsempfinden. Es ist eine Sicherheit für den Augenschein – also Ideologie.

Die Konzepte gehen Hand in Hand mit der Privatisierung öffentlicher Orte. Der Verdrängung aus dem Blickfeld folgt die Verdrängung aus dem Bewusstsein. Es ist einfacher, unliebsame Personen per Hausverbot zu vertreiben, weil man dazu keine rechtliche Handhabe braucht, sondern nur einen privaten Sicherheitsdienst - eine Taktik, die gerade in Hamburg Anwendung findet.

Eines ihrer Opfer ist Klaus Treibe, 71, der jüngst aus dem Bahnhof geworfen wurde und prompt vor die Kamera des politischen Aktivisten Ulli Gehner lief. Gehner nahm gerade an einer Demo für mehr Obdachlosenunterkünfte teil und den Wutausbruch des Vertriebenen.

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Die Notunterkünfte sind heillos überbelegt

Der Hamburger Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) verweist generell die Obdachlosen der Stadt auf die Notunterkünfte, die aber sind heillos überbelegt, wie das Obdachlosenmagazin Hinz&Kunzt öffentlich macht. Auch in Berlin gibt es Engpässe.

Eben jene Öffentlichkeit, die Obdachlosigkeit durch Vertreibung und Verdrängung nicht mehr hat, wird inzwischen im Netz hergestellt – bekanntestes Beispiel ist die Geschichte von Ted Williams, dem Mann mit der goldenen Stimme. Der hatte, nachdem dieses Video über ihn viral im Netz kursierte, Job und Heim gefunden; ein modernes Märchen, wie sie Talentshows gerne erzählen, wenn die Hitze des Rampenlichts die soziale Kälte ausgleicht.

Klaus Triebe wird nicht vom Showbiz vereinnahmt werden. Seine Geschichte wird auf ganz andere Weise absorbiert, durch das Wohlmeinen des Gesprächspartners nämlich. Während er zu Beginn noch ins Erzählen kommt und seinem Frust, seinem Ärger Ausdruck gibt, liefert er später nur noch die Anknüpfungspunkte für eine Fortführung seiner Geschichte: seinen Namen, seine Adresse, alles was nötig ist, damit von jetzt an ein Anwalt den Vorgang fortschreibt. Man sieht hier in aller Kürze einen Entmündigungsvorgang, der zwar das Beste will und doch hat Klaus Triebe am Ende dem Sicherheitsdienst mehr erzählt als dem Helfer.

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5 Kommentare

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  • T
    Traurig

    "Man sieht hier in aller Kürze einen Entmündigungsvorgang, der zwar das Beste will und doch hat Klaus Triebe am Ende dem Sicherheitsdienst mehr erzählt als dem Helfer"

     

    Wohl wahr. Und das penetrante Duzen ist jawohl auch unter aller Kanone.

  • FV
    Frederic Valin

    Lieber Herr Gehner,

     

    seien Sie versichert, dass ich höchsten Respekt vor Ihrem Engagement habe, und ich die leise Kritik am Ende des Artikels keinesfalls als Kritik an Ihrem Aktivismus verstanden wissen will. Nehmen Sie den Absatz als Hinweis darauf, dass ich mehr Interview, weniger Beratungsgespräch gewünscht hätte, und dass das mir, dem Zuschauer, mehr gegeben hätte - mehr Verständnis, mehr Einfühlung, mehr Empathie. Ich hoffe sehr, dass Sie weitermachen, und auch, dass Sie Ihre Arbeit weiter per Video dokumentieren - falls Sie mich besser ansprechen wollen, wissen Sie ja jetzt, wie.

     

    mfg

    Frederic Valin

  • RZ
    Ronny Zimmermann

    "Man sieht hier in aller Kürze einen Entmündigungsvorgang, der zwar das Beste will und doch hat Klaus Triebe am Ende dem Sicherheitsdienst mehr erzählt als dem Helfer"

     

    Was hat denn der Klaus Triebe dem Sicherheitsdienst mehr erzählt als dem Helfer ? Interessant, dass der Autor dem Leser es vorenthält.

  • UG
    Ulli Gehner

    Klaus Triebe hat seinen Namen und "Adresse" genannt, weil der Filmer ihn danach gefragt hat, und er ihn auch im Nachhinein ausfindig machen will, um mit einem Rechtsanwalt diesen Vorgang zu erörtern. Warum soll man, was in der Öffentlichkeit passiert, nicht öffentlich machen? - Ich habe das Kernstück des Videos übrigens gar nicht selbst gedreht, sondern der Kollege Dierk-Eckhard Becker, ich habe ein paar begleitende Bilder beigesteuert, das Ding geschnitten, aufbereitet und veröffentlicht. So richtig informiert ist der Autor dieses Artikels nicht: da war keine Demo, sondern ein Treffen von einer handvoll Leuten, die sich jeden Donnerstag um 18 h auf dem Bahnhofsvorplatz einfinden, um die Auseinandersetzung mit der Bahnsicherheit zu suchen und den Obachlosen beizustehen. Und wir werden das weiter tun, solange, bis dieser bescheuerte, asoziale, menschenverachtende, peinlich-provinzielle Senats-Beschluss wieder vom Tisch ist!

  • L
    Lenze

    Interessant in diesen widrigen Zusammenhängen: Die Studie "Deutsche Zustände" von Wilhelm Heitmeyer et.al.: Die geht zwar nur bis 2010, stellt aber eine sinkende Akzeptanz von Obdachlosen bei der deutschen Bevölkerung fest; gut ein Drittel der Befragten im letzten Erhebungsjahr sprach sich dafür aus, Obdachlose aus Innenstädten zu vertreiben.

     

    Was steckt dahinter? Ignoranz, und Ausgrenzung vermeintlich niedrig gestellter Menschen um selbst ein positives Selbstbild zu erhalten. Verständnis für die schwächeren gibt es nicht mehr, das zeigt sich nicht nur in solchen Beiträgen, nicht nur in dieser erwähnten oder auch anderen Studien, sondern an vielen anderen sozialen Orten: Medien, in denen die vermeintlich dummen und hässlichen vorgeführt werden, gegenwärtige Biedermeier-Popmusik die das erstickende Normale verherrlicht und ein Wirtschaftssystem, in dem von unten nach oben verteilt wird.

     

    Was tun? Juristische Sachlagen schaffen? Gt gemeint, und sicher auch das mindeste was getan werden muss, aber die Beschwerdemacht der Betroffenen ist gering, gegenüber einem Mann wie dem im Video werden Sicherheitskräfte einfach BEHAUPTEN, sie hätten eine Rechtsgrundlage, selbst wenn dem nicht so ist. Der Privatisierung des öffentlichen Raums entgegenwirken? Sinnig, aber nur schwer möglich.Mehr Obdachlosenheime schaffen? Das bedeutet mehr Exklusion schaffen. Das Problem ist auch eines der Exekutive, und muss auch durch die Exekutive gelöst werden: Die Beauftragung der Polizei, solche Leute vor der Willkür von Sicherheitsbeamten zu schützen, wäre ein Anfang. Aber auch nicht aller Weisheit Schluss: Das wäre nämlich die Integration benachteiligter Personen wie Obdachlosen oder Drogenabhängigen in den Alltag der verrohten Bürger - nur wo Kontakte entstehen, werden Vorurteile abgebaut