Video der Woche: Con los Salafistas
Ein „Harlem Shake“ auf dem Pausenhof: Und schon droht Tunesiens Bildungsminister mit Schulverweisen. Andernorts stören Islamisten Videodrehs.
Hipstern im Westen entlockt der „Harlem Shake“ nur noch ein Gähnen. In Tunesien aber ist der Tanz zur Waffe im Kampf gegen die Versuche der Islamisten geworden, die Meinungs- und künstlerische Ausdrucksfreiheit einzuschränken.
An Unis und Schulen des Maghreb-Landes entstanden in den vergangenen Tagen mehrere, auf Youtube gepostete „Harlem Shake“-Clips – immer im weltweit gängigen 30-Sekunden-Format. Zu sehen sind: Menschengruppen, die zum gleichnamigen Track des New Yorker Produzenten D.J. Baauer kollektiv in spastische Bewegungen verfallen.
„Harlem Shake“-Videos wurden zum Beispiel am Lycée Pilote in Monastir und am INSAT (National Institute of Applied Sciences and Technologies) in Tunis gedreht.
Wie andernorts auch sind unter den tunesischen „Shakern“ einige nur mit Boxer-Shorts bekleidet. Zu ihnen gesellen sich aber Tänzer mit falschen Bärten und Tuniken, wie sie bei den Salafisten en vogue sind. Und die radikalen Gläubigen steigen voll auf diese eher albern wirkende Provokation ein, da sie schon die Moves des „Harlem Shake“, hierzulande kurz und knapp „Trockenfick“ genannt, als westliches Teufelszeug erachten.
Empfohlener externer Inhalt
Salafisten drangen laut der Nachrichtenagentur afp am Mittwoch auf den Hof des Bourguiba Language Institute in Tunis vor, als dort die Dreharbeiten zu einem „Harlem Shake“-Video in Gang waren. Es kam zu Scharmützeln zwischen den Radikalen und den filmenden Schülern und Schülerinnen. „In Palästina werden unsere Brüder von den Israelis ermordet, und was macht Ihr? Ihr tanzt!“, sollen die Salafisten gerufen haben, während die Schüler „Haut ab, haut ab“, skandierten. Letztlich mussten die Islamisten unverrichteter Dinge von dannen ziehen.
An einer Schule in Sousse, südlich der Hauptstadt Tunis, hatte das Direktorium einen „Harlem Shake“-Dreh von vorneherein verboten. Die herbeigeholte Polizei wurde von wütenden Jugendlichen mit Steinwürfen empfangen. Zwei Beamte erlitten Verletzungen. Die Sicherheitskräfte antworteten mit dem Einsatz von Tränengas.
Drohung mit Schulverweis und Kündigung
Schließlich stellte sich der Bildungsminister auf die Seite der Islamisten und Moralwächter und machte den „Harlem Shake“ damit endgültig zum Politikum. Laut dem Newssportal tunisialive hatte sich Abdellatif Abid insbesondere auf die Imam Moslem Oberschule in Tunis eingeschossen. Von dort stammt der am vergangenen Samstag produzierte Clip, in dem ein „Gangnam Style“-Tänzer von einem übergewichtigen „Harlem Shaker“ des Platzes verwiesen wird, bevor die gesamte Schülerschaft zappelt und zuckt. Auch hier: Fast-Nackte und Tunika-Träger.
Abid nannte im Radiosender Mosaique FM die Aktion an der Imam Moslem Oberschule einen inakzeptablen Affront. „Die Direktorin der Schule hat ohne die Erlaubnis der Verwaltung des Schuldistrikts oder des Ministeriums die Performance gebilligt“, kritisierte Abid. Er kündigte ein Ermittlungsverfahren an und drohte mit Schulverweisen und Kündigungen beteiligter Lehrer. Abid ist Mitglied der linksliberalen Ettakatol-Partei, die an der Regierung unter Führung der islamistischen Ennahda-Partei beteilligt ist.
Hafedh Mesrati, ein Lehrer der Imam Moslem Oberschule, entgegnete ebenfalls auf Mosaique FM, ein Schüler habe die Direktorin gefragt, ob die „Harlem Shake“-Performance stattfinden könne. Diese sei jedoch zu einem Begräbnis gerufen worden, bevor sie eine Genehmigung hätte geben können. Die Schüler hätten daraufhin eigenmächtig gehandelt. Mesrati bat den Bildungsminister, die Gemüter zu beruhigen. „Solche Fälle sollten intern vom Disziplinarrat gelöst werden.“
Manoubia Ben Ghadahem, eine tunesische Französisch-Professorin, äußerte gegenüber der französischen Tageszeitung „Liberation“, dass die Drohungen Abids nur vor dem Hintergrund des politischen Schwebezustands im Land zu verstehen seien. Innenminister Ali Laârayedh von der Ennahda-Partei bemüht sich um die Bildung einer neuen Regierung, nachdem Premier Hamadi Jebali zurückgetreten war. „Abid will sich wohl für den Verbleib im Kabinett empfehlen. Er sollte lieber die wirklichen Probleme in den Unis angehen als sich mit solchen Nebensächlichkeiten abzugeben“, kritisierte Ben Ghadahem.
„Seid Ihr verrückt?"
Die am Video beteiligten Schüler und Schülerinnen bekamen nach dem Wochenende Ärger mit der Schulleitung. Der Clip wurde zunächst von der Youtube-Seite entfernt, dann aber wieder von anderen Usern draufgestellt. Einige der Beteiligten weigerten sich am Montag am Unterricht teilzunehmen.
Nach der ministeriellen Bekanntgabe von Ermittlungen gab es am Mittwoch eine Protestkundgebung vor der Imam Moslem Oberschule. Und in der Nacht auf Donnerstag hinterließen laut tunisialive Hacker auf der Webseite des Bildungsministeriums einen Internet-Mem mit einem Trollgesicht, das fragte: „Seid ihr verrückt?“ Ihre Aktion widmeten die Hacker den Schülern der Oberschule.
Selbst eine Ennahda-Parlamentarierin verwahrte sich gegen die Politisierung des „Harlem Shake“. Ihr Sohn habe bei der Aktion an der Imam Moslem Oberschule mitgemacht, so Souad Abderrahim gegenüber dem Radiosender Shems FM. „Als Mutter und Politikerin glaube ich ans Tanzen als Form des Ausdrucks und der Kreativität“, sagte sie. Sie bedauere lediglich einige provokante Gesten im Video. Es sollte der Schulverwaltung überlassen bleiben, wie sie damit umginge.
Rasch wurde auf Facebook eine Unterstützungskampagne für die Schüler und Schülerinnen organisiert. In vielen Kommentaren wurde kritisiert, dass das Ministerium noch nie eine Untersuchung zu den aufdringlichen Missionierungsversuchen der Salafisten an Unis und Fachhochschulen angestrengt hätte.
Mehr als 4.600 Menschen kündigten an, am Freitag zum „Harlem Shake“-Flashmob vor dem Bildungsministerium in Tunis auftauchen zu wollen.
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