VfL Bochum in der Krise: Glück ab!
Im DFB-Pokal kämpft der VfL Bochum auch um seine Existenz. Der klamme Zweitligist setzt auf einen ehemaligen Atommanager als Retter.
BOCHUM taz | Anfang November ist die Castroper Straße in Bochum eine Großbaustelle, die aus zwei Teilen besteht. Den ersten, kleinen Abschnitt sieht man gleich, wenn man vom Ostring gen Planetarium marschiert. Die linke Fahrbahn ist aufgerissen. Gegenüber leuchtet im fahlen Nachmittagslicht ein kleiner Stromkasten vor einem Mehrfamilienhaus blau und weiß. Ein Wappen prangt darauf. Zwei Jungs lehnen daran und rauchen. Sie schauen grimmig – als wollten sie jeden vertreiben, der ihnen und den Vereinsfarben zu nahe kommt. Eine Dose Bier wird geöffnet und wandert von der einen Hand zur anderen.
Tief im Westen,
wo die Sonne verstaubt!
Ist es besser,
viel besser, als man glaubt
Ein paar hundert Meter weiter erhebt sich, von grauem Beton ummantelt, der sportliche Teil der Großbaustelle Castroper Straße: das Ruhrstadion, der 1979 eingeweihte Kasten für 30.000 Fans. Hier trägt der VfL Bochum 1848 seine Heimspiele aus. Der 12. Spieltag ist gerade vorbei, 2:2 gegen Energie Cottbus, 9.571 Zuschauer, Platz 14, ein Punkt Abstand zu den Abstiegsrängen.
Die sportliche und wirtschaftliche Exekutive des Vereins ist im sattblauen Stadioncenter auf der anderen Seite des Stadions mit dem beschäftigt, was das Ruhrgebiet seit über einem Jahrzehnt versucht: dem Strukturwandel. Sechsmal ist der VfL in den letzten Jahrzehnten aus der Ersten Liga abgestiegen, immer gelang der direkte Wiederaufstieg – bis 2011. Da scheiterte man in der Relegation an Borussia Mönchengladbach. Bochum versank in den Niederungen der Zweiten Liga. Jetzt soll die Mannschaft verjüngt werden. Einfach ist das nicht.
Ende Oktober 2012 musste Strukturwandeltrainer Andreas Bergmann gehen – nach einem 1:6 in Aue. Seitdem ist Bergmanns früherer Co., Karsten Neitzel, Chefcoach. Weil er die Mannschaft gut kenne, heißt es, und sie erreiche. Was jeder denkt: Ein neuer Übungsleiter wäre schlicht zu teuer gewesen. Auf der Geschäftsstelle ist es ruhig.
An einer Wand in der Pressestelle lehnt ein Haufen Geschichte. Schwarz-Weiß-Fotografien. Sie zeigen die Zeiten von Hermann „Tiger“ Gerland, Jupp Tenhagen und Rekordspieler Michael „Ata“ Lameck, der 518 Bundesligaspiele nur für den VfL gemacht hat. Vorbei. Doch wofür die Namen stehen, findet sich heute in dem neunseitigen Leitbild wieder, das sich der Klub 2007 als erster Bundesligist überhaupt gab: „'Nicht unterkriegen lassen' ist unser Antrieb, 'immer wieder aufstehen' unser Prinzip, 'trotzdem' unser Motto!“ Auch das Ziel der Fans ist klar ausformuliert: sportlich und wirtschaftlich dauerhaft erstklassig zu sein. Erstklassig.
Hier, wo das Herz noch zählt, nicht das große Geld
„Zum VfL zu gehen ist, wie wenn dich jede Woche deine Frau verlässt“, hat es ein frustrierter Fan mal auf den Punkt gebracht. „Der VfL ist in den Augen einiger Fans ein gefühlter Erstligist“, übersetzt es Frank Goosen. Der Kabarettist und Autor ist Aufsichtsratsmitglied beim VfL.
Schulden: 6,8 Millionen Euro. Weitere 900.000 Miese kommen Ende der Saison laut Kalkulation dazu.
Bilanz: Die Gesamtbilanzsumme des VfL Bochum für 2012 liegt bei 15 Millionen Euro. Das Eigenkapital ist negativ und beläuft sich auf 2,4 Millionen.
Aussichten: Die Vermögenswerte (Immobilien wie das Stadioncenter) des Vereins können die bestehenden Schulden nicht ausgleichen. Negatives Eigenkapital gilt als Vorbote einer Pleite, wenn frisches Geld ausbleibt und ein Insolvenztatbestand eintritt.
„Bei jeder Entscheidung die wir treffen, denken wir auch an die soziale Komponente, an die Leute, die am VfL hängen“, sagt Hans-Peter Villis, seit September Aufsichtsratschef des Vereins. Der Mittfünfziger sitzt in der Vorstandsetage oben im Stadioncenter vor einem Laptop. Das Sakko hängt über dem Stuhl, die blaue Krawatte hat er noch um.
Neben unzufriedenen Fans hat Villis noch ein anderes dickes Problem: Die Zahlen des Zweitligisten sind schlecht. 6,8 Millionen Euro Schulden hat der Klub in den letzten Jahren angehäuft. Nach dem Lizenzierungsrichtlinien des Ligaverbandes DFL muss das, was Ökonomen das negative Eigenkapital nennen, innerhalb eines Jahres um fünf Prozent nach oben korrigiert werden, sonst drohen empfindliche Strafen bis hin zum Punktabzug.
Bochum liegt, zumindest was die finanziellen Probleme betrifft, im Mittelfeld der Tabelle: „Eine bilanzielle Überschuldung ist hier kein Einzelfall. Kumuliert über alle Klubs, belief sich das negative Eigenkapital zum 30. Juni 2011 auf – 45,3 Millionen Euro, durchschnittlich damit auf ca. 2,5 Millionen Euro“, sagt Mark Strauß vom Centrum für Bilanzierung und Prüfung an der Uni Saarbrücken, das die Zahlen von Profiklubs in ganz Europa analysiert.
„Bedrohlich ist die Lage nicht. Sehr unschön wäre es allerdings, wenn wir in die Dritte Liga absteigen würden, aber das ist für mich kein Thema“, sagt Hans-Peter Villis ernst und schenkt Kaffee ein. Der Ökonom aus der Nachbarstadt Castrop-Rauxel gilt als bodenständig und sachlich.
VfL-Fan ist er „seit Jahrzehnten“. Sein Vater war Bergmann: „Aufsichtshauer aufm Pütt.“ Villis hat in der Energiebranche Karriere gemacht – eine Aufsteigerbiografie. 2007 wurde er Konzernchef der Energie Baden-Württemberg AG (EnBW), des drittgrößten Energiekonzerns des Landes – Jahresumsatz 2011: fast 19 Milliarden Euro. Der VfL hat im vergangenen Geschäftsjahr 27,37 Millionen Euro umgesetzt.
Er wirkt und klingt nicht wie ein kühler Atommanager. Wirtschaftlich gesehen, ist Villis die Champions League gewohnt. Auf diese Kontakte hofft man in Bochum. Zu seiner Zeit bei EnBW flossen Sponsorengelder an den VfB Stuttgart und den KSC. Auch der VfL bekam damals per „Premiumpartnerschaft“ Geld aus Karlsruhe. Als Villis 2010 in den VfL-Aufsichtsrat berufen wurde, endete die finanzielle Unterstützung – „aus Compliance-Gründen“. Private und berufliche Interessen sollen nicht vermischt werden, heißt das.
Villis erzählt von einem milliardenschweren Gasdeal, den er kurz vor Ende seiner EnBW-Zeit noch eingetütet hat. Wenn er über Geld spricht, treffen sein Ruhrgebietsdialekt, sein Herkunftsbewusstsein auf distanzierte, wirtschaftliche Sachlichkeit: „Gute Geschäfte basieren nicht auf kalten Beziehungen, da kann gerade der Fußball auch eine Brücke sein.“
Demnächst will Villis mit VW-Chef Martin Winterkorn sprechen. Er hofft, dass sich der Autokonzern über den regionalen Vertragshändler, der bereits zum Bochumer Sponsorenpool zählt, stärker engagieren wird. Große Deals sind aber in den Niederungen der Zweiten Liga nicht zu erwarten. „In unseren VIP-Lounges werden keine Geschäfte gemacht, aber man kann dort Kontakte pflegen und intensivieren.“ Damit man für potenzielle Geldgeber attraktiver wird, muss es aber sportlich deutlich besser laufen, dass weiß auch der neue Aufsichtsratsvorsitzende.
Machst mit dem Doppelpass
jeden Gegner nass,
du und dein VfL
In den folgenden Wochen tut sich in dieser Richtung wenig: Ein Punkt beim FC St. Pauli. Am 16. November meldet Drittligist Alemannia Aachen Insolvenz an. Zwei Tage später endlich mal drei Punkte zu Hause - gegen Sandhausen, den Tabellenletzten. Das 5:2 wollen nur 9.795 Zuschauer sehen. Der Klub hat mit einen Schnitt von 13.500 Besuchern kalkuliert. Wieder Geld, das fehlen wird. Danach setzt es Niederlagen gegen Köln, den FSV Frankfurt und Union Berlin. Es mehren sich Gerüchte, dass Ligakonkurrent Duisburg bald zahlungsunfähig ist.
Die WAZ attestiert Bochums Sportmanager Jens Todt, der den sportlichen Strukturwandel einleiten sollte, nach dem Spiel in Berlin eine „verheerende Bilanz“. Das Fazit des Kommentars: „Statt Aufbruch Absturz, statt Optimismus Angst.“
Dein Grubengold
hat uns wieder hochgeholt
Am 10. Dezember kommt die Nachricht, dass Opel 2016 das Werk in Bochum schließen wird. 4.100 Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel. Einen Tag später meldet ThyssenKrupp in Essen einen Verlust von fünf Milliarden Euro. Würden sich alle Arbeitslosen Bochums zum Heimspielbesuch entschließen, wäre das Stadion fast bis auf den letzten Platz besetzt.
Bochum, ich komm aus dir!
Bochum, ich häng an dir!
Glück auf!
Sportlich läuft es besser. Bochum gewinnt die letzten beiden Spiele vor der Winterpause gegen Dresden und Paderborn. Die Fans singen: „Der VfL ist wieder da.“ Ein Spiel steht noch an in diesem Jahr. Es ist das Achtelfinale im DFB-Pokal. Der Gegner ist am Mittwoch Zweitligakonkurrent TSV 1860 München. Erreichen die Bochumer die nächste Runde, winken im besten Fall Mehreinnahmen von fast einer Million Euro. Geld, das man dringend braucht. Es ist ein Endspiel.