Verweigern Milch gibt es, wenn sie Freunde treffen, die eine Kuh haben. Elke und Olaf Fritzsche leben seit anderthalb Jahren ohne Plastikmüll: Waschen mit Kastanien
Aus Berlin Tobias Hausdorf (Text und Fotos)
Gläser reihen sich aneinander, gefüllt mit Nudeln, Reis und allerlei Hülsenfrüchten. Die Küche der Familie Fritzsche erinnert an einen Tante-Emma-Laden in den 50ern. Als hinter der Theke die Produkte noch in großen Krügen und Töpfen lagerten. Seit anderthalb Jahren leben die Fritzsches ohne Plastik- und Aluminiumverpackungen. „Das ist nicht immer leicht, aber wir haben unsere Müllproduktion enorm verringert“, sagt Olaf Fritzsche. Der Gelbe Sack müsse jetzt nur noch alle zwei Monate einmal abgeholt werden.
„Erdöl ist ein wertvoller Rohstoff, der sollte nicht als Einmalverpackung gleich wieder im Müll landen“, sagt der 53-Jährige. Fritzsche ist gelernter Elektriker, Hausmann und fertigt Möbel, Skulpturen und Bilder. „Plastik sollte so eingesetzt werden, dass man es möglichst lange benutzen kann“, sagt er. Eine Inspiration war dem Ehepaar das Buch „Plastikfreie Zone“ von Sandra Krautwaschl. Nach dem Lesen wollten auch die Fritzsches ihren ökologischen Fußabdruck verkleinern. Ihr Ziel: möglichst nachhaltig leben.
Sie essen, was das Gewächshaus und der Garten hergibt. Milch gibt es selten. Nur wenn sie bei einem Bekannten vorbeikommen, der Kühe hält. Die eigenen Hühner liefern Eier. Drei haben die Fritzsches: Henriette, Alma und Ottilie. Das Paar sammelt Kastanien als Waschmittelersatz, benutzt Seife statt Duschgel und Holzzahnbürsten. Die Zähne putzen sie sich mit Birkenzucker. Dieser sei ein natürlicher Bakterienschutz, sagen sie.
Eier im Stall
Über Konsumverhalten sagt Olaf Fritzsche: „Menschen sind Gewohnheitstiere. Mit neuer Routine und Struktur klappt auch der Mehraufwand einer plastikfreien Lebensweise.“
Die beiden sitzen in der Küche in ihrem Haus in Fredersdorf-Nord, im Osten von Berlin. Hier reiht sich Eigenheim an Eigenheim. Felder und Alleen durchziehen die Gegend. Die Fritzsches bewohnen ein orange gestrichenes Haus, welches sie zur Wende geerbt haben und selbst renovierten.
Mit den ersten Sonnenstrahlen öffnet der selbst gebaute Hühnerstall hinterm Haus dank Sensor automatisch die Tür. Dazu gibt es eine Solaranlage auf dem Dach. Im Bad hat Olaf Fritzsche eine Komposttoilette eingebaut. Diese Toilette, bei der Fäkalien und Urin getrennt werden, sorgt für Dünger für das angebaute Gewächshaus.
„Wir leben genauso preiswert oder teuer wie andere“ sagt Elke Fritzsche. „Vieles müssen wir nicht mehr kaufen, anderes holen wir eben aus dem Bioladen oder direkt bei regionalen Erzeugern.“ Sie sind keine Vegetarier, sondern holen sich Fleisch von der Farm nebenan. Denn ein Biolabel garantiert noch keine ökologische Herstellung, sagen sie. Elke Fritzsche ist Vermessungstechnikerin. Sie lehnt am selbst gebauten Kachelofen und knackt Nüsse aus dem eigenen Garten. Im Flur schnarcht einer ihrer Hunde.
Brot im Beutel
Die Eröffnung von „Original Unverpackt“ im vergangenen Jahr, dem ersten Supermarkt in Berlin ohne Einwegverpackungen, erleichtert ihr den Einkauf. Nach der Arbeit besucht Elke Fritzsche gerne das Geschäft. Hier bringt der Kunde seinen eigenen Behälter mit und bezahlt die Waren nach Gewicht.
„Man glaubt kaum, wie viele Produkte es nur in Plastik verpackt zu kaufen gibt“, sagt sie. „Dabei geht es doch nicht um die schöne Hülle, sondern den Inhalt.“ Die 52-Jährige lässt eine geknackte Nuss in den Korb auf ihrem Schoß fallen. Brötchen vom Bäcker können im konventionellen Supermarkt einfach in einen mitgebrachten Beutel gepackt werden, aber Milchprodukte oder Pasta gibt es kaum ohne unnötige Plastikhülle.
Auf Plastikverpackungen verzichten sie komplett. Auto, Fernseher, Computer und anderes aus Plastik wie Zahnzwischenraumbürste werden so lange wie möglich genutzt und repariert, statt neu gekauft. Wo sind die Grenzen? „Wenn jemand ein Geschenk mitbringt, das eine Plastikverpackung hat, dann wird ein Auge zugedrückt“, sagt Elke Fritzsche. „Wir wollen nicht missionieren“, sagt Olaf Fritzsche. Die Reaktionen auf ihre Lebensweise fallen unterschiedlich aus. Oft hören sie: „Wir finden gut, dass ihr das macht, aber für uns wäre das zu viel.“
Mit sich im Reinen
Viele kleine Lebensmittelerzeuger sind für die beiden das Gegenmodell zur konventionellen Landwirtschaft. Dazu kurze Transportwege und Share-Economy. Dabei werden Gebrauchsgüter gemeinsam gekauft oder verliehen.
Das Paar habe sich für ein ökologisch bewusstes Leben entschieden. Das Wissen darum, dass sie einen Beitrag zur Eindämmung des Klimawandels leisten, habe sie zufriedener und glücklich gemacht, sagen beide. „Wir sind mit uns im Reinen“, sagt Elke Fritzsche. „Wir schauen nicht weg.“
Doch kann man mit seinem persönlichem Verzicht auf Plastik wirklich etwas verändern? Zu sagen, dass der einzelne Boykott zwecklos ist, findet das Ehepaar zu einfach. „Damit weist man die Verantwortung von sich ab“, sagt Elke Fritzsche. „Wir sollten den Einfluss des einzelnen Menschen nicht unterschätzen.“ Olaf Fritzsche ergänzt, „Wird etwas nicht von den Menschen nachgefragt, wird es auch nicht produziert. Damit hat der Konsument Macht.“
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