Verurteilter Bürgermeister von Istanbul: Nicht mehr zu stoppen
Der türkische Präsident Erdoğan kann Istanbuls Bürgermeister Imamoğlu an einer Kandidatur bei den Wahlen hindern. Dessen Aufstieg ist dennoch gewiss.
Ich bin noch jung, ich werde nicht verschwinden“, sagte der Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem Imamoğlu am Mittwochabend nach seiner Verurteilung vor einer begeisterten Menschenmenge. Genau das scheint der Albtraum des Dauerregenten und Autokraten Recep Tayyip Erdoğan zu sein. Wenn einer ihn bei den kommenden Präsidentschaftswahlen im Frühjahr besiegen kann, dann Imamoğlu.
Selbst wenn das Unrechtsurteil gegen ihn letztlich seine Kandidatur verhindern sollte, werden für Imamoğlu weitere Gelegenheiten folgen. Politisch ist der linksbürgerliche Republikaner das Gegenteil vom religiösen Traditionalisten Erdoğan. Doch als Redner, der die Massen begeistern kann, erinnert er an den Erdoğan vor 20 Jahren.
Während Erdoğan die Türkei in den letzten Jahren in das Lager der autoritären Regime geführt hat, steht Imamoğlu wie das gesamte Oppositionsbündnis für die Rückkehr zur Demokratie. Er will die Abschaffung des Präsidialsystems, das Erdoğan mit allen Mitteln durchgesetzt hat, um seine Macht abzusichern, und das Parlament wieder zu einem Ort politischer Entscheidungen machen.
So wie Erdoğan als ehemaliger Oberbürgermeister von Istanbul in den 90er Jahren seine schier unglaubliche politische Karriere begann, sieht es jetzt so aus, dass auch die politische Wende für die Türkei wieder von Istanbul ausgehen könnte.
Das Urteil gegen Imamoğlu ist alles andere als ein Schlusspunkt, mit dem Erdoğan seinen wichtigsten Rivalen ausschaltet. Es wird im Gegenteil den Beginn einer neuen Ära markieren, selbst wenn Imamoğlu im kommenden Frühjahr nicht kandidieren darf.
Für alle BürgerInnen, die die Autokratie ablehnen, ist klar: Die nächsten Wahlen sind die entscheidende Wegmarke für die Zukunft des Landes, und sie werden sich für jeden Kandidaten einsetzen, den die Opposition nominieren wird. Am liebsten für Imamoğlu selbst, zur Not aber auch für jeden anderen Oppositionellen, der gegen Erdoğan nominiert wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr