Vertreibung aus Sudan: Zeltreihen unter Olivenhainen
Wer im tunesischen Sfax landet, will meistens nach Europa übersetzen. Das weiß auch der Staat, die Küstenwache spürt ihre Boote immer wieder auf.
Täglich kommen Hunderte Menschen über die Wüstenlandschaft an der algerischen und libyschen Grenze an, schlagen sich bis in die Hafenstadt durch und warten auf die Überfahrt nach Lampedusa. Bis zu 20.000 Menschen harren derzeit in Lagern inmitten der Olivenhaine aus. Ihre Lebensumstände erinnern an ein Kriegsgebiet. Und täglich werden es mehr Menschen.
Denn seit dem Abkommen zwischen der Brüsseler EU-Kommission und dem Anfang Oktober wiedergewählten Präsidenten Kais Saied fängt die Küstenwache fast alle Boote auf ihrem Weg nach Lampedusa ab.
Die größte Flüchtlingskrise des südlichen Mittelmeers findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Um mit den Geflüchteten zu sprechen, benötigt man Hartnäckigkeit und eine Genehmigung des Innenministeriums in Tunis. Selbst Gesuche von Abgeordneten aus Brüssel und Berlin, diese zu besuchen, wurden bisher strikt abgelehnt.
Dieser Text stammt aus einer Sonderbeilage der taz Panter Stiftung zur Vertreibung aus Sudan. Sechs Journalist:innen aus Europa, Nordafrika und dem Nahen Osten hatte die Stiftung im Mai 2024 für einen Workshop nach Berlin eingeladen. Sie alle sind Expert:innen für das Thema, das die Wahlen in Europa bestimmt wie kein zweites: Migration. Mit den Teilnehmer:innen dieses Workshops und anderer Projekte der taz Panter Stiftung wurde die am 25. Oktober 2024 erschienene Sonderbeilage konzipiert. Sie soll ein Schlaglicht auf den vernachlässigten Sudankonflikt werfen – und zeigen, was er mit der Migrationspolitik Europas zu tun hat. Die Podiumsdiskussion der Workshopteilnehmer:innen Ende Mai in Berlin finden Sie hier, die im Rahmen des Workshops entstandenen Folgen des Panter-Podcasts „Freie Rede“ hier. Mit dem Workshop, der allein durch Spenden ermöglicht wurde, wollte die Stiftung Austausch und Vernetzung schaffen, um eine fundierte Berichterstattung über Migration zu stärken.
Eine unscheinbare Straße scheint ins Nicht zu führen
Links und rechts der verwaisten Landstraße nördlich von Sfax schleppen kleine Gruppen von Migranten Plastiktüten voller Lebensmittel in Richtung der Kleinstadt El Amra. Immer wieder suchen sie Schutz vor der stechenden Sonne unter den bis an die Straße heranreichenden endlosen Reihen von Olivenbäumen. Als Polizeipatrouillen in hohem Tempo vorbeirauschen, suchen sie Schutz hinter der Straßenböschung. Doch wo sind die Tausenden Migranten, vor denen in Sfax wieder und wieder gewarnt wird?
Eine unscheinbare Straße führt von der trubeligen Provinzmetropole El Amra scheinbar ins Nichts. Links und rechts stapelt sich der Müll, Frauen mit auf den Rücken getragenen Babys tauchen plötzlich auf. Nach mehreren Kurven sind es plötzlich Hunderte. Aus einer defekten Bewässerungsleitung sprudelt Wasser. Menschen stehen Schlange, um ihre mitgebrachten Wasserflaschen aufzufüllen, daneben waschen sich junge Männer mit Seife. Man ist angekommen am Flüchtlingslager „Kilometer 30“.
Aus Holzstöcken und Plastikfolie notdürftig zusammengebaute Zelte soweit das Auge reicht. Unter den penibel angelegten Reihen der Olivenbäume Matratzen, Kochgeschirr und schreiende Babys. „Ich schätze, wir sind 5.000 Menschen hier aus mindestens 20 Ländern“, sagt Abubakr Bangui. Darunter sind auch Sudaner:innen. Eine Böe wirbelt den Sandstaub auf, der alle Zelte bedeckt. Der Ingenieur aus Guinea-Bisseau trägt seine zweijährige Tochter im Arm und schaut besorgt nach seiner Frau Leoni. Die seit dem Römischen Reich hier angebauten Bäume wirken in der flachen Landschaft wie Blickfangmauern.
Am Morgen war sie wie die anderen Frauen des Lagers nach El Amra gegangen, um etwas zu essen zu ergattern. Als sie zusammen mit vier anderen Frau schwer bepackt hinter einer Biegung erscheint, ist dem 35-Jährigen die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. „Wir Männer müssen im Lager bleiben, die Frauen suchen nach Essen oder Geld“, sagt er. „Wenn mich die Polizei in El Amra auf der Straße erwischt, werde ich verhaftet und an der algerischen Grenze ausgesetzt.“ Doch die Frauen riskieren, ausgeraubt oder angegriffen zu werden, sie berichten von Schlägen und sexuellen Übergriffen.
„Kilometer 30“ ist eines von sechs Camps nahe Sfax
Laila Bangui breitet vor dem Zelt der Familie aus, was heute im Topf landet, der vor einem kleinen Gaskocher steht. „Meine Ausbeute wird von Monat zu Monat weniger, in Tunesien herrscht eine Wirtschaftskrise“, sagt die 30-Jährige. „Aber heute war ein guter Tag.“
Seit Sommer letzten Jahres lebt die Familie hier, dreimal wurde ihr Zelt von der Polizei zerstört. „Kilometer 30“ ist eines von sechs entlang der parallel zur Küstenstraße entstandenen Camps, das erste liegt bei Kilometer 25, das letzte bei Kilometer 38. Die Zahl bezeichnet die jeweilige Entfernung von Sfax und ist auf Steinen verzeichnet.
Seit Oktober haben die Banguis fünfmal versucht, mit dem Boot nach Lampedusa überzusetzen, und haben dafür insgesamt 2.500 Euro gezahlt. „Jedes Mal hat die tunesische Küstenwache das Boot aufgespürt, uns in den Hafen von Sfax gebracht und dann wortlos gehen lassen“, sagt Bangui. „Wir werden es auch ein sechstes Mal probieren.“
Kein Weg zurück
Doch derzeit hat kaum jemand in dem selbst organisierten Lager Geld für die nächste Überfahrt. Seit einer Anordnung vom letzten Juni dürfen Tunesier Migranten:innen nicht mehr als Tagelöhner anstellen. Das Ersparte der Verwandten in der Heimat war bereits nach der ersten Überfahrt aufgebraucht. „Wir warten darauf, dass Tunesien die Boote wieder fahren lässt und die Preise sinken“, begründet Bangui ihr vergebliches Warten, ohne dass sich an der Lage etwas geändert hätte.
Nach Sonnenuntergang ist es im Lager stockdunkel. Um kleine Feuer sitzen Menschen und schweigen. Die Luft riecht nach Meerwasser. Es gebe trotz allem keinen Weg zurück, sagt einer am Feuer.
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