Versuchter Anschlag auf Synagoge: „Vor einer Woche noch unvorstellbar“
Nach einem versuchten Brandanschlag auf eine Synagoge in der Brunnenstraße in Berlin-Mitte äußern Jüdinnen und Juden Ängste vor weiteren Attacken.
Um 3.45 Uhr am Mittwoch hätten sich zwei Vermummte zu Fuß genähert und zwei mit brennbarer Flüssigkeit gefüllte brennende Flaschen in Richtung des Gebäudes geworden, teilte die Pressestelle der Polizei mit. Die Flaschen seien bei dem Aufschlag auf dem Gehweg zerbrochen, das Feuer dabei weitestgehend ausgegangen. Der Objektschutz habe den Rest gelöscht. Die Absuche der Umgebung durch alarmierte Einsatzkräfte sei erfolglos verlaufen.
Sichtbare Spuren auf dem Bürgersteig haben die Molotowcocktails nicht hinterlassen, aber innerliche Spuren. Anna Segal, Geschäftsführerin von Kahal Adass Jisroel (KAJ), spricht sie am Mittwochmittag in die Mikrofone. Seit dem Anschlag der Hamas auf Israel und dem sich zuspitzenden Nahostkonflikt habe sich das Leben der jüdischen Community in Berlin einschneidend verändert. „Wir fühlen uns als wandelnde Zielscheiben“, sagt Segal. Die „neue Realität“ wecke schlimme Erinnerungen an die Nazizeit. „Wenn du aus dem Haus gehst, schaust du, ob es Schmierereien an der Haustür gibt.“
Auch die Kinder trauten sich nicht mehr, erkennbar jüdisch auf die Straße zu gehen. „Unsere Kinder wachsen selbstbewusst jüdisch und gläubig auf“, sagt Segal. Aber der ältere Sohn habe den jüngeren Bruder aus eigenem Antrieb aufgefordert, seine Kippa in der Öffentlichkeit zu verstecken. Noch vor einer Woche hätte sie nicht geglaubt, dass es dazu komme, sagt Segal.
Linkspartei kommt mit Blumen
Auch Pasha Luybarsky, Vorsitzender der KAJ, hält mit seinen Sorgen nicht hinter dem Berg, als er von einer Delegation der Linkspartei nach seinem Befinden gefragt wird. Die Bundesvorsitzende der Linken, Janine Wissler, sowie die Bundestagsabgeordnete Martina Renner und Maximilian Schirmer, Landesvorstand Berlin, sind an diesem Mittag zum Ort des Geschehens gekommen, um ihre Betroffenheit zu bekunden. Auch einen Blumenstrauß haben sie mitgebracht. Die Geschäftsführerin Anne Segal nimmt das Gebinde erfreut entgegen. Vor dem Gebäude sind es an diesem Mittag die einzigen Blumen.
Auch das gehört zu den bedrückenden Momenten der letzten Woche. Dass in Berlin kaum Menschen auf die Idee kommen, ihre Solidarität mit Israel durch das Ablegen von Blumen vor jüdischen oder israelischen Einrichtungen zu bekunden. Nach den islamistischen Anschlägen in Paris 2015, bei denen über 100 Menschen ums Leben kamen und Hunderte verletzt wurden, war das anders. Berge von Blumen türmten sich da meterlang vor der Französischen Botschaft am Pariser Platz.
Ob sie wegen des versuchten Anschlags schon Genaueres wüssten, fragt Janine Wissler Segal und Luybarsky am Mittwoch. Die verneinen. Der Wachschutz sei aber sofort zur Stelle gewesen und auch die Polizei sei sofort gekommen, sagt Segal. Noch während die Polizei tätig gewesen sei, habe es aber einen zweiten Angriff gegeben. Ein Mann mit Palästinensertuch sei mit einem E-Roller durch die Absperrung gefahren, habe den Roller zu Boden geworfen und etwas aus seiner Tasche gezogen. Er sei sofort festgenommen worden.
Die Polizei bestätigte den Vorfall in ihrer Presserklärung. Der 30-Jährige habe bei seiner Festnahme Widerstand geleistet und volksverhetzende sowie israelfeindliche Parolen gerufen. Nach einer Identitätsfeststellung sei er noch vor Ort entlassen worden.
Wachschutz allein reicht nicht
„Wir sind sehr beunruhigt und sehr verängstigt“, berichtet Segal der Delegation der Linken. Bei jedem Schrei oder Tumult auf der Straße schrecke man hoch. Sie käme gerade aus dem Innenausschuss des Bundestags, erzählt die Linken-Abgeordnete Renner. Was man noch für den Schutz der jüdischen Community tun könne?
Sie seien relativ gut geschützt, sagt der Vorsitzende der KAJ, Luybarsky. Aber es gebe eine Sicherheitslücke, was den Schutz des Gebäudes angehe. Der aktuelle Fall habe das gezeigt. Der Objektschutz sei nicht trainiert, Attentäter abzuwehren. Man werde das weitergeben an den Berliner Innenpolitiker Niklas Schrader, sagt Renner.
Bevor er mit Anna Segal und der Linken-Delegation in die Synagoge verschwindet, sagt Luybarsky noch das: „Wir bekommen viel an Teilnahme.“ Die jüdische Schule bleibe offen. „Wir lassen uns nicht einschüchtern, wir möchten in Deutschland offen jüdisch leben.“
Am Dienstagabend hatten massive Polizeikräfte das Holocaust-Mahnmal in der Nähe des Brandenburger Tors vor möglichen Übergriffen bewahrt. Die zuständige Stiftung für das Denkmal für die ermordeten Juden Europas teilte mit, man habe sich nach propalästinensischen Demonstrationen im Umfeld des Stelenfeldes ausreichend geschützt gesehen.
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