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Versuchte Anschläge in GöttingenExplosives in Plastiktüten

Unbekannte deponieren in Göttingen drei fast baugleiche Sprengsätze, die nicht detonieren. Die Polizei vermutet einen politischen Hintergrund.

An der Rückseite des Göttinger Bahnhofs, das Foto zeigt den Haupteingang, ist die erste Tasche gefunden worden. Bild: Imago/Streiflicht-Pressefoto

GÖTTINGEN taz | In Göttingen haben Unbekannte zum Jahreswechsel auch außerhalb des üblichen Silvesterfeuerwerks gezündelt. In den vergangen Tagen wurden in der Stadt drei Spreng- bzw. Brandsätze entdeckt. Die Polizei vermutet einen politischen Hintergrund. Auch ein – zwischenzeitlich wieder gelöschtes – Bekennerschreiben im Internet legt diesen Verdacht nahe.

Alle drei Sprengsätze sollen mehr oder weniger baugleich unter anderem aus Gaskartuschen zusammengebastelt und in Plastiktüten versteckt gewesen sein. Sie seien zwar entzündet worden, aber nicht detoniert, hieß es. Die erste Tasche war bereits am ersten Weihnachtstag an der Rückseite des Göttinger Bahnhofs gefunden worden – dort residiert auch die Bundespolizei.

Weitere Sprengsätze entdeckten Beamte später im Eingangsbereich des Hauptzollamtes sowie in einem Mülleimer am örtlichen Verwaltungsgericht. Zu den Anschlägen bekannte sich auf dem Internetportal Indymedia Linksunten eine Gruppe „Flora und Fauna“.

Es habe sich um eine „Reaktion auf gewalttätige Übergriffe seitens der Bullen auf die Demo vom Samstag 21.12.2013 in Hamburg“ gehandelt. An dem Tag war es bei einer Demonstration gegen die drohende Räumung des Kulturzentrums „Rote Flora“ in der Hansestadt zu schweren Straßenschlachten gekommen.

Flüchtlinge und Gentrifizierung

Gleichzeitig wollten die vermeintlichen Urheber des Anschlags laut Bekennerschreiben „auf die spezielle Lage der Lampedusa Flüchtlinge in Hamburg, die Situation von in Deutschland lebenden Papierlosen und weltweit, die Beteiligung der Behörden und Institutionen an Abschiebe- und Kriegseinsätzen, die zunehmende Stadtumstrukturierung (Gentrifizierung) zum Nachteil für das Soziale“ hinweisen.

Die Polizei hat eine spezielle Ermittlungsgruppe eingerichtet und Verfahren gegen unbekannt wegen Herbeiführen von Sprengstoffexplosionen eingeleitet. Die Täter hätten neben Sachschäden auch schwere Verletzungen Unbeteiligter billigend in Kauf genommen, sagte der Göttinger Kripochef Volker Warnecke.

Die Ermittler vermuten Parallelen zu einem Brandanschlag auf das Amtsgericht vor zwei Jahren. Damals hatten Unbekannte zusammengebundene Butangasflaschen explodieren lassen und den Schriftzug „Nazis morden – der Staat schiebt ab!“ an das Gerichtsgebäude gesprüht.

Zudem waren zwischen 2006 und 2008 in Göttingen insgesamt 19 Autos in Brand gesetzt worden, darunter auch Dienstwagen der Bundespolizei. Dabei entstand ein Sachschaden in Höhe von 350.000 Euro. Die Polizei machte damals eine „linksextremistische Gruppierung“ für die Brandanschläge verantwortlich, konnte aber keine Verantwortlichen ermitteln.

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4 Kommentare

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  • Wat für eene Unsinn!

     

    Natürlich kann da nichts "detonieren"; es ist ja auch keine detonationsfähige Substanz in Gaskartuschen enthalten. Detonationsfähige Substanzen sind in der Positivliste zum SprengG aufgeführt; vorab: "Propan/Butan" gehören nicht dazu...

     

    Das gibt maximal eine schnöde Verpuffung, die Dosen platzen schlicht wegen der Drucksteigerung; mehr nicht.

     

    Glück auf!

     

    Karl

    • S
      Sebastian
      @KarlM:

      Ersten stellt das Patzen der Dosen schon eine Gefahr wegen möglicher Splitter dar.

       

      Hinzu kommt dass die entweichende Gasmenge durch den Sauerstoff der Umgebungsluft in Sekundenbruchteilen verbrennt, das ist eine Explosion.

       

      Dass dies zu schweren Verletzungen führen kann liegt auf der Hand, hie rien Beispiel:

      http://steiermark.orf.at/news/stories/2623247/

      • @Sebastian:

        Das ist Unfug. Aufgrund des extrem homogenen Dosenmaterials bleibt es üblicherweise beim Aufreißen und "Splitter" haben wegen des geringen Platzdrucks auch keine wirksame Flugweite die über die Brandausdehnung hinausgeht. Erfahrungsgemäß geht auch die Splitterdichte hier gegen 0.

         

        Ohne gründliche Durchmischung deflagriert die aufsteigende Gaswolke von außen nach innen. Eine Stoßwelle welche die Verbrennungsgase überholt kann sich so nicht ausbilden, also bleibt bei einer oszillierenden Deflagration.

         

        Und die Verletzungen im Link dürften primär auf herumfliegende Teile des brenneden Holzstoßes zurückzuführen sein.

         

        Grundsätzlich bleibt festzustellen: Eine "boiling liquid" Deflagration ist kein harmloser Vorgang, wirkungsmäßig ist die Hauptgefahr aber die thermische Strahlung vom rasch aufsteigendne Feuerbällchen, viel mehr ist da nicht hinter.

         

        Glück auf!

         

        Karl

  • GS
    gnadenloser Spötter

    "Die Polizei machte damals eine „linksextremistische Gruppierung“ für die Brandanschläge verantwortlich, konnte aber keine Verantwortlichen ermitteln."

     

    Wie auch? Die sind mit dem "Kampf gegen Rechts" voll ausgelastet.