Versorgung unbegeleiteter Minderjähriger: Container statt Turnhalle
Hamburgs Jugendnotdienst ist durch eine hohe Zahl junger Geflüchteter gefordert. Nun wurden Container aufgestellt und Personalstandards gelockert.
Im Jahr 2022 seien mehr unbegleitete junge Ausländer (UMA), wie sie offiziell heißen, aus aller Welt nach Hamburg gekommen als im Flüchtlingsjahr 2015, begann Schlotzhauer ihren Bericht. Das sei für die gesamte Jugendhilfe eine „Herausforderung“, die man nur gemeinsam bewältigen könne.
Jugendhilfe-Abteilungsleiter Lars Schulhoff warf mehrere Kurven an die Wand, die den Anstieg illustrierten. In Hamburg betreibt der stadteigene Landesbetrieb Erziehung und Beratung (LEB) die „Erstaufnahme“ (EA) an der Feuerbergstraße, wo die jungen Menschen bei ihrer Ankunft in Obhut genommen werden. Oft kämen sie auch nachts, in der Regel seinen sie 15 oder 16 Jahre alt. Dort sollen sie zwei bis drei Wochen bleiben, bevor sie in eine „Erstversorgungseinrichtung“ (EVE) des LEB kommen, von wo sie nach mehreren Monaten in eine „Anschlusshilfe“ der normalen Jugendhilfe kommen sollen – also Jugendwohnungen oder betreutes Wohnen in den eigenen vier Wänden.
Im Wohncontainer zu viert in einem Zimmer
Doch weil die Kurve seit März 2022 so stark anstieg, mussten die jungen Menschen länger im KJND bleiben. Waren im Januar 2022 noch 110 UMA neu nach Hamburg gekommen, waren es, Stand 31. Juli, schon 166 und am 31. Dezember gar 380. Dem standen zum Jahresende beim LEB nur 219 Plätze in EAs und EVEs gegenüber. Wie die taz schon im September berichtete, wurde schließlich die KJND-eigene Turnhalle mit Betten belegt.
Seit diesem Januar ist das immerhin vorbei. Der LEB stellte auf dem KNJD-Gelände Wohncontainer mit Platz für 54 Flüchtlinge auf, untergebracht in Stockbetten zu viert in einem Zimmer. An der Stader Straße sowie am Pulverhofsweg wurden zwei neue EVEs errichtet. Und wie die taz berichtete, übernahm kurz vor Weihnachten mit „Sternipark“ auch erstmals seit Jahren wieder ein freier Träger die Aufgabe, eine Erstaufnahme zu betreiben – in Bahrenfeld mit 48 Plätzen.
Darüber hinaus versuche man, die Stufe der EVE zu überspringen und die jungen Menschen direkt in Jugendwohnungen freier Träger unterzubringen, erläuterte Lars Schulhoff. Doch hier ist die Kurve flach, denn das Angebot der Plätze dort hatte sich zuletzt kaum erhöht. Darum hat die Sozialbehörde nun in der „Vertragskommission“ mit den freien Trägern etwas ausgehandelt: Die jungen, unbegleiteten Flüchtlinge dürfen in Jugendwohnungen zusätzlich zur bewilligten Platzzahl aufgenommen werden. Das geht laut Schulhoff aus einem „Duldungsschreiben“ der Behörde hervor. Zudem darf in der Betreuung der UMA vom sonstigen „Fachkräftegebot“ abgewichen werden, das nur Sozialarbeiter vorsieht.
Im LEB gebe es jetzt „Multiprofessionsteams“ unter Einbeziehung von „Sprach- und Kulturmittlern“ sowie Erziehern. Auch freie Träger, die UMAs aufnehmen, dürfen nach einer Einzelfallprüfung weitere Fachkräfte, die nicht Sozialpädagogen sind, „mit einstellen“, sagte Senatorin Schlotzhauer.
Ihre Behörde rechnet damit, dass der hohe Zustrom in nächster Zeit anhält. Auf die Frage der Linken, ob es vielleicht ein Fehler war, vor zwölf Jahren in der Stadt vorhandene UMA-Plätze bei freien Trägern abzubauen, sagte sie, es sei gewiss „politisch nicht unplausibel, eine gewisse Anzahl Leerkapazitäten vorzuhalten“.
Altersfeststellung im UKE
Aus den Behördenfolien ging auch hervor, dass ein Anteil der UMA aus der Erstaufnahme weggeschickt wird, wenn sie nach Knochenuntersuchungen im Uniklinikum Eppendorf (UKE) älter als 18 Jahre scheinen. Bis dies geklärt sei, blieben sie in Obhut, sagte Schulhoff.
Die Jugendpolitikerin Sabine Boeddinghaus von der Linken, die das Thema gern schon viel früher im Ausschuss auf der Tagesordnung gehabt hätte, zog als Resumée: „Die Stadt tut das Allernötigtse, um Plätze zu schaffen, aber es fehlt, sich einmal grundsätzlich mit dem Hilfesystem auseinanderzusetzen.“ Der zentrale KNJD gilt als zu groß, selbst Stimmen bei den Grünen fordern eine Dezentralisierung.
Ver.di-Sekretär Domenico Perroni nennt das Duldungsschreiben einen „Offenbarungseid“. Der Stadt gelinge es nicht mehr, zu ihren Konditionen ausreichend Sozialpädagogen zu gewinnen. Ihm seien sogar Fälle bekannt, wo erfahrenen Sozialarbeitern, die neu beim KJND anfingen, diese Berufserfahrung bei der Entgeldeinstufung vom Personalamt nicht anerkannt wurde.
„Hier wird jetzt auf eine Billiglösung zurückgegriffen“, sagt der Gewerkschaftssekretär. Statt für diese wichtige Aufgabe tiefer in die Tasche zu greifen, würden lieber Studierende, Leiharbeiter und Sprach- und Kulturmittler eingesetzt. Letzteres sei kein geschützter Begriff. Es sei bekannt, dass Hamburg seine Mitarbeiter schlechter als das Umland bezahle. „Beim KJND schlägt das doppelt durch.“
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