Versicherung in Österreich: Geld für den Super-GAU
L‘Amie bietet eine Police für atomare Unfälle an. Sie kostet bis zu 100.000 Euro. Die Anti-Atom-Bewegung hält diese Summe für einen schlechten Witz.
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Während Österreich selbst zwar nie ein Atomkraftwerk in Betrieb nahm, sind in den Nachbarländern die Reaktoren oft nicht weit. Zum Beispiel die osteuropäischen Meiler Dukovany, Bohunice, Mochovce und Temelín. Aber auch ein Unfall in einem AKW in Deutschland oder der Schweiz würde Österreich erheblich treffen. Die Online-Tochter des österreichischen Versicherungsmaklers Intergal verspricht: Geht ein Reaktor in der Nähe hoch, erhalte der Kunde den Betrag „einfach und unbürokratisch“, wie es heißt, also „ohne den sonst üblichen und langwierigen Schadenermittlungsprozess“.
Man nutze ein simples Kriterium, erklärt das Unternehmen: Ausgezahlt werde bei einem Störfall der höchsten Kategorie der internationalen Skala Ines, nämlich Ines 7. Also nur bei solchen Katastrophen wie in Tschernobyl und Fukushima. Bei einem Störfall der Kategorie Ines 6, der nach offizieller Skala bereits eine „bedeutende Freisetzung radioaktiver Stoffe“ mit sich bringt, geht der Versicherte noch leer aus. Für welche Reaktoren die Police gilt, wird bei Vertragsabschluss je nach Wohnsitz des Versicherungsnehmers definiert.
Die in Österreich starke Anti-Atom-Bewegung hält das Angebot für einen schlechten Scherz. Das Schadensvolumen der Fukushima-Katastrophe werde auf 100 Milliarden Euro geschätzt, sagt Reinhard Uhrig, Atomexperte der Umweltorganisation Global 2000 in Wien. Und ein möglicher Unfall in Frankreich sei 2013 vom staatlichen Institut de Radioprotection et de Sûreté Nucléaire IRSN sogar auf 430 Milliarden Euro geschätzt worden. Uhrigs Fazit: „Das kann keine Versicherung der Welt stemmen.“
Verharmlosung des atomaren Risikos
Heinz Stockinger von der Salzburger Plattform gegen Atomgefahren nennt die neue Versicherung „eine Abzocke vonseiten des Versicherungsmaklers“. Zumal die Absicherung auf einige grenznahe AKWs beschränkt sei. Hingegen weiß man spätestens seit Tschernobyl, dass ein Atomunfall auch noch in mehr als tausend Kilometer Entfernung Strahlenschäden hinterlassen kann.
Die Salzburger Umweltorganisation hält das Angebot daher „für eine bewusste Verharmlosung des atomaren Risikos“. Es suggeriere, dass allenfalls aus der nächsten Nähe Gefahr drohe und dass die Schäden durch eine private Versicherung abdeckbar seien. Wer wirklich etwas zur finanziellen Absicherung gegen atomare Risiken tun wolle, der müsse für eine drastische Erhöhung der Atomhaftpflicht der Atomanlagenbetreiber und der Zulieferfirmen eintreten.
Reinhard Uhrig, Global 2000
So fordert auch Global 2000 ein EU-weites Haftungssystem mit einer realistischen Versicherungssumme. Rechtliche Basis für eine Anhebung der Deckungssummen wäre der Euratom-Vertrag, in dem es in Artikel 98 heißt: „Die Mitgliedstaaten treffen alle Maßnahmen, die erforderlich sind, um den Abschluss von Versicherungsverträgen zur Deckung der Gefahren auf dem Kerngebiet zu erleichtern.“
Doch der Versicherer aus Linz zieht das Thema lieber von der anderen Seite auf. Nicht die Anlagenbetreiber sollen sich versichern, sondern die Bürger sollen es selbst tun. Mit dem im Schadensfall fließenden Geld, so heißt es, ließen sich nämlich die „finanziellen Folgen“ der Katastrophe „abfedern“. Als da sind: „Kosten für Dekontamination von Gärten, Häusern, Fahrzeugen etc., Kosten für die Verlagerung des Wohnsitzes ins Ausland, der Anstieg der Lebenserhaltungskosten, Wertverlust von Immobilien, Jobverlust sowie Kosten für bauliche Maßnahmen“.
In Linz versichert man: Das Angebot ist ernst gemeint. Als junger Online-Anbieter sei man gänzlich unpolitisch, man sichere lediglich ein bestehendes Risiko ab. Eines, das kein Umweltverband hätte eingängiger darstellen können.
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