Verschwörungstheorie aus der Uni?: Schwurbeln und Schweigen
Eine pseudowissenschaftliche Arbeit des Hamburger Nanophysikers Roland Wiesendanger über die Entstehung von Covid-19 sorgt weiter für Empörung.
In dem am vorigen Donnerstag verbreiteten Text kommt Wiesendanger zu der Einschätzung, dass zahlreiche von ihm zusammengetragene Indizien für einen Laborunfall am virologischen Institut im chinesischen Wuhan als Auslöser der Pandemie sprächen. Damit fährt der Wissenschaftler der Weltgesundheitsorganisation in die Parade, die nach einer Vor-Ort-Visite in Wuhan zum genau gegenteiligen Ergebnis gekommen war.
Für seine These legte Wiesendanger laut Uni-Pressemitteilung „keine hochwissenschaftlichen Beweise“, sondern nur „zahlreiche und schwerwiegende Indizien“ vor. Diese „Indizien“ bestehen im Wesentlichen aus Youtube-Videos, Zeitungsartikeln und recht freihändigen Gedankenspielen des Professors, was Wiesendanger als „interdisziplinären Ansatz“ preist. Mit fachlicher Expertise kann er auch kaum aufwarten: Die liegt nicht im medizinischen Bereich, sondern in der Rastertunnelmikroskopie.
Die sogenannte Studie verfehlt alle wissenschaftlichen Standards. Publiziert wurde das deutschsprachige Dokument auf dem sozialen Netzwerk Researchgate. Eine inhaltliche Prüfung der Arbeiten durch andere Expert*innen, das sogenannte Peer-Review, wie es für in Fachmagazinen publizierte Studien Standard ist, gibt es hier nicht.
Irritiert vom Vorgehen der Uni zeigen sich Hamburgs Bürgerschaftsfraktionen. „Diese Arbeit entspricht nicht den hohen wissenschaftlichen Standards, die wir von der Universität gewohnt sind“, sagt die Grünen-Abgeordnete Miriam Block. Die Linken-Politikerin Stephanie Rose ordnet das Papier politisch ein: „Ohne vorher durch ein peer review gegangen zu sein, äußert sich der Physiker anschlussfähig an Verschwörungsideologen wie Xavier Naidoo.“
Der Asta wittert antiasiatischen Rassismus
Auch der Uni-Asta beklagt, die Veröffentlichung spiele Verschwörungstheoretiker*innen in die Hände und schüre antiasiatischen Rassismus. Tatsächlich weisen einige der von Wiesendanger verwendeten Quellen in diese Richtung. So taucht – wie die taz berichtete – als Quelle die strikt antikommunistische Zeitschrift Epoch Times auf, hinter der Falun Gong, eine von Exilchinesen geführte und in China als Sekte verbotene Glaubensgemeinschaft, steht.
Selbst von seinen Uni-Kolleg*innen bekommt der Physikprofessor volle Breitseite. Das Dekanat der Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften, der auch Wiesendanger angehört, betont, es handele sich bei dessen Thesen um einen „nichtwissenschaftlichen Aufsatz oder eine Meinungsäußerung“, von der sich die Fakultät „distanziere“. Die Coronavirus Structural Task Force der Uni, die genau zu den von Wiesendanger nun behandelten Themen forscht, lässt wissen: „Diese Studie ist gar keine, sondern eine reichlich verworrene Medienrecherche“ – um sie anschließend auch inhaltlich komplett zu zerreißen.
Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) scheut klare Worte und beruft sich dabei – zu Recht – auf die Freiheit von Forschung und Lehre. „Wissenschaftsfreiheit ist ein unverrückbares Gut. Gleichwohl gilt für alle Form wissenschaftlicher Forschung, dass bei unklarer oder unsicherer Datenlage Zurückhaltung in der Bewertung angebracht ist“, geht ihr Sprecher auf vorsichtige Distanz.
Welche Reaktionen er auslösen könnte, sei ihm bewusst gewesen, erklärt Wiesendanger stolz. Sein Ziel, „eine breite öffentliche Debatte“ seiner Theorien anzuzetteln, hat er erreicht. So haben zahlreiche Medien vom Hamburger Abendblatt über den NDR bis zur Bild die schwach abgesicherten Thesen zunächst fast kritiklos verbreitet. Inzwischen sind sie zurückgerudert.
Heute Hamburg, morgen die ganze Welt
Anders als die Uni und Wiesendanger selbst: Die Uni-Homepage verbreitet die umstrittene Presserklärung mit Wiesendangers wirren Behauptungen nach wie vor auf der Startseite ihres Presseportals. Doch der Nanophysiker will mehr: „Wir werden die Studie jetzt zeitnah in vielen anderen Sprachen zur Verfügung stellen.“ Seine Erkenntnisse müssten unter der Bevölkerung vieler Länder thematisiert werden, meint der Professor.
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