Verschwörungs-Theoretiker auf dem Land: Mit dem Aluhut gegen „Manipulation“
Nach Absage einer dubiosen Band war das Ebstorfer Tierschutz Open Air ein Festival der Andeutungen. Ein Besuch vor Ort
Das Tierschutz Open Air findet zum zweiten Mal in Ebstorf statt, einem 5.300-EinwohnerInnen-Ort in Niedersachsen, organisiert vom Tierschutzzentrum Lüneburger Heide. Um die 15 Stände stehen auf dem Dorfplatz um die Eisbude herum: KaninchenretterInnen, Arche Noah Kreta e.V., Hunderettung auf Sardinien, die Albert Schweitzer Stiftung, ein Imkerverein, ein Katzenverein.
Die meisten Leute hier wissen wahrscheinlich nichts über den Shitstorm, den das Festival in den sozialen Medien ausgelöst hat. „Wenn Holocaustleugnen unter freie Meinungsäußerung fällt“, hatte der Blog Indyvegan in Voraussicht auf das Open Air getitelt. Hintergrund ist der geplante und dann doch abgesagte Auftritt der Band Vita Vision. Die Musikgruppe war kürzlich mit einem Song über Chemtrails in die Öffentlichkeit gestolpert, der über 200.000 Klicks bei Youtube hat – allerdings wohl hauptsächlich, weil Jan Böhmermann sich bei Facebook darüber lustig gemacht hat.
Absichtlich versprühte Chemikalien
Die Chemtrails-Theorie ist eine der populärsten Verschwörungstheorien. Ihre AnhängerInnen halten Kondensstreifen, die Flugzeuge am Himmel hinterlassen, für absichtlich versprühte Chemikalien, mittels derer die Eliten der Welt Kontrolle über das Klima und die Menschen ausüben. AnhängerInnen der Theorie beobachten
den Himmel und posten ihre Interpretationen auf Verschwörungs-Blogs mit Namen wie „Galaxiengesundheitsrat“, „Auf-dem-Weg-in-die-Freiheit“, „Schluss-mit-Lügen“ oder „Gandhi-Auftrag.de“. Dort tauschen sie sich auch über Geräte und Praktiken aus, die helfen sollen, Chemtrails und giftige Wolkenschleier aufzulösen: Sogenannte Chembuster aus Alu-Rohren – am besten nach Feng-Shui-Längenmaß bemessen –, Acrylharz, Bergkristallen und Kupferdraht-Spiralen, ganz selbstverständlich „Galaxy-Spiralen“ genannt. Bei Google Shopping zum Beispiel kosten Chembuster bis zu 4.599 Euro. Geht aber auch billiger: Essig soll auch helfen. Eine Userin schreibt auf einem Blog: „Meine Freundin verkippt immer eine Flasche Essig auf der Straße, wenn ihr das Wetter manipuliert vorkommt.“ Andere tränken gleich ihre Vorhänge mit Essig.
„Chemtrails – wer hat uns das angetan / Chemtrails – wer, sag mir, wer verdient daran?“, fragt die Frontsängerin von Vita Vision, Zeyneb Ummsitta, im Refrain des von Böhmermann verspotteten Liedes. Im Video sieht man Bilder von Marionettenspielern, die Strippen vor internationalen Bankgebäuden ziehen, während im Hintergrund die US-Flagge weht. Auf einem Bankgebäude prangt ein Auge im Dreieck: je nach Auslegung ein Symbol für Illuminati- oder Freimaurer-Verschwörungstheorien. Neben dem Bankgebäude sieht man im Video Totenköpfe und ein hungerndes Kind. Die restlichen Minuten des Videos füllen Kondensstreifen am abendrotgetränkten Himmel.
„Zeyneb Ummsitta ist dem neurechten Spektrum zuzuordnen“, schreibt das Blog Indyvegan. Auf ihrer Facebookseite verlinkt Ummsitta diverse rechtsradikale Seiten und solche aus dem Reichsbürger-Spektrum, den Verschwörungskanal KenFM, Beiträge über die angeblich gleichgeschaltete Medienlandschaft und antisemitische Inhalte über eine angebliche Steuerung des Finanzwesens durch Juden.
Nun sind Ummsitta und ihre Band Vita Vision an diesem Sonntag aber nicht nach Ebstorf gekommen. Wegen des Shitstorms hat die Band abgesagt. Die Organisatorin Monika Kielmann hatte daraufhin eine Stellungnahme des Tierschutzzentrums bei Facebook veröffentlicht: „Wir bedauern dies zutiefst und sind über solche Machenschaften entsetzt!“, schrieb sie. Es könne nicht angehen, dass Druck auf das Festival ausgeübt werde, nur weil „die Band sich erdreistet hat, ihre persönliche Meinung in einem Lied zum Ausdruck zu bringen“.
„Wir hätten sie gerne hier gehabt“, bestätigt eine der Mitveranstalterinnen, die Lose für eine Tombola verkauft. Sie sieht aus wie Ende dreißig, hat glatte schwarze Haare, viele kleine Ohrringe und einen Nasenstecker. Um den Hals trägt sie einen silbernen Anhänger irgendwo zwischen Gothic und völkischen Symbolen. Wie alle Mitglieder des Orga-Teams trägt sie ein schwarzes T-Shirt mit dem weißem Aufdruck: „Nicht mit uns!“.
„Wir hatten im Vorfeld einige Schwierigkeiten wegen Diffamierungen im Internet“, erklärt sie. Ein anonymes Blog habe der Band unterstellt, rechts zu sein – aber das sei alles überhaupt nicht belegt. Mit dem Shirt wolle man sich davon abgrenzen. Wovon jetzt genau – von dem Blog oder von dem Vorwurf? „Ich finde, der Spruch passt generell ganz gut zu uns“, sagt sie. Ein kleiner Button steckt an den T-Shirts, „Gegen rechts“, steht da drauf. Aber man muss schon ziemlich nah rankommen, um das lesen zu können. Und dann kann man den Slogan vom T-Shirt ja auch noch als Kommentar zu dem auf dem Button lesen.
Nudelsieb auf dem Kopf
Und was ist jetzt mit der Band? Bevor die Schwarzhaarige antworten kann, funkt die Hauptveranstalterin dazwischen. „Es gibt kein Problem mit der Band“, stellt Monika Kielmann in aggressivem Tonfall klar. „Und die ist auch nicht rechts.“ Dann dreht sie sich weg.
Kielmann, kurze graue Haare, Brille, Jeans und „Nicht-mit-uns“-T-Shirt, steigt mit ihrer Partnerin Bea Müller, auch vom Tierschutzzentrum Lüneburger Heide, auf die Bühne. Kielmann trägt einen Aluhut, der in der Szne zum Schutz vor Strahlung und Gedankenkontrolle durch böse Mächte propagiert wird. Ihre Partnerin hat sich mit einem Nudelsieb auf dem Kopf beholfen. Kielmann, die bei Facebook „Moki“ heißt, hat sich eine Kette aus Maulkörben um den Hals gehängt. Freie Meinungsäußerung? Heutzutage unmöglich – das denken viele, die sich von den „gleichgeschalteten Medien“ und den einflussreichen Eliten fremdgesteuert fühlen. Jemand versucht, ihnen einen Maulkorb zu verpassen – deshalb darf Vita Vision auch nicht spielen.
Beide haben ihre Hände zur Merkelschen Raute verschränkt. Zwischen ihnen steht eine als Biene verkleidete Frau, deren Kostüm mit allerlei Kram behängt ist. Goldene Flügel, Plastikblumen, eine Quietsch-Ente, ein Plastikkanister und anderer Krimskrams hängen daran. Sie trägt ein Gedicht vor. Es geht um Internetterroristen, digitale Diktatoren, anonyme Denunzianten, unwahre Andichtung, Internetmobboholics. Sie fragt, ob sie jetzt gleich im Verdacht stehe, eine rechtsradikale Killerbiene zu sein. Auf einer Bierbank vor der Bühne, wo höchstens 15 ZuhörerInnen sitzen, fragt eine Frau ihre Nachbarin leise „Was wollen die denn jetzt damit sagen?“
Es gehe um Tierschützer und -retter, reimt die Biene weiter, um solche, „die es wagen, etwas zu tun und etwas zu sagen“. „Ich weiß, wer dahinter steckt“, sagt sie bedeutungsschwanger. Ratlose Gesichter auf den Bänken. Die Organisatorinnen grinsen. „Ich darf doch hier unzensiert zum Ausdruck bringen, was ich möchte“, fährt die Biene fort. Dann schwafelt sie über die Arche Noah, und darüber, ob Noah dieses Mal wohl besser überlegen würde, wen er vor der Sintflut rettet. Dann sagen die drei noch im Chor, dass sie keine mediengesteuerten Marionetten sein wollen. „Wir schaffen das“, kichern sie ins Mikrofon.
Die meisten Leute wirken ziemlich ratlos. Ohnehin scheinen viele eher zufällig hier zu sein. Sie stehen an der Schlange für den Eisladen, der eindeutig die Dorfattraktion ist, sitzen kaffeetrinkend auf den Bänken oder unter den Sonnenschirmen des Gastronomiebetriebs.
Nur eine Familie fällt optisch aus dem Rahmen: Eine kleine Frau mit rotblonden Haaren und schwarzer Sonnenbrille mit weißem Rand steht in der Mitte des Platzes neben ihrem Mann und ihrem Sohn. Die beiden Männer sind fast identisch gekleidet: Schwarzes Shirt, blaue Jeans, schwarze Schuhe. Der Sohn trägt eine schwarze Sonnenbrille, alle drei gucken verbissen. Die Männer stehen breitbeinig da und verschränken die Arme vor der Brust. Sie mustern alle Gäste und haben alles im Blick – stundenlang. Die Sonnenbrillen nehmen sie nicht ab. Auf dem rechten Arm der Frau ist ein Hundetattoo, auf dem linken ist in Schwarz und Rot „Böhse Onkelz“ tätowiert. Man denkt an abendliche Dorfversammlungen in Sachsen, Bautzen, Heidenau, Clausnitz, Kaltland.
Auf der Bühne interviewt Bea Müller einen Imker. Er ist um die 70, hat zottelige Haare und wahrscheinlich noch nie was von Vita Vision oder Chemtrails gehört. Er spricht über das Bienensterben. Dann kommt Musik vom Band. Erst „Imagine“ von John Lennon, dann eine Frauenstimme zu Gitarrenklängen. „Das kennen wir doch!“, sagt die Schwarzhaarige mit dem Gothic-Schmuck zu ihrer Sitznachbarin und stupst sie mit dem Ellenbogen an. Sie grinsen sich an.
„Schon seit hunderttausend Jahren werden wir manipuliert“, singt Zeyneb Ummsitta aus der Box. Man habe nur ein, zwei Lieder von Vita Vision in die Playlist aufgenommen, erklärt die Schwarzhaarige. Den Chemtrails-Song natürlich nicht, da könnte man sich ja gleich den Kopf abhacken. Sie selbst sehe das aber nicht so kritisch. Sie möge die Texte der Band – sie interpretiere sie halt anders als die Internetblogs mit ihren anonymen Vorwürfen. Dann dreht sie sich wieder zu ihren Freunden. Aus der Box kommt noch ein Song von Vita Vision. Und dann noch einer. Und noch einer.
Lesen Sie mehr über Verschwörungstheorien in unserem Schwerpunkt in der taz.am wochenende Seite 44,45 oder hier
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