Verschwinden des Lichtschalters: Dereguliert die Büroräume
Es ist nicht einfach, in zeitgenössischen Gebäuden das Licht auszuknipsen. Ein Lob auf den früheren Lichtschalter.
E s ist das Jahr 1884, als der britische Elektroingenieur John Henry Holmes eine bahnbrechende Neuerung erfindet: den Schnappschalter für elektrische Lampen. Zack, Licht an. Zack, Licht wieder aus. Im Gegensatz zu vorherigen Modellen wie dem Drehschalter minimiert der Schnappschalter sogenannte Zwischenstellungen, in denen es zum Funkenflug kommen kann. Holmes’ Erfindung wird zur Grundlage unzähliger Lichtschalter.
Rund 138 Jahre später stehe ich im Gebäude eines großen deutschen Zeitungsverlags und fühle mich wie ein Idiot. Einen Zeigefinger presse ich auf ein winziges Plastikrechteck, das wiederum Teil eines größeren silbergrauen Plastikrechtecks ist, mit einem Fuß stehe ich bereits im Flur, abfahrbereit, in Eile, den Türrahmen vorm Gesicht wie das sprichwörtliche Brett vorm Kopf, und alles nur, weil ich das Licht ausschalten möchte.
Statt nackter Lichtschalter sind in Bürogebäuden heute ganze Bedienpanels in die Wand eingelassen. „Jalousie“, steht dort, „Lüftung“ und eben: „Licht“. Diese Krone der Haussteuerungsschöpfung, sie kann alles abgestuft regulieren. So weit die Theorie. In der Praxis knipst sich das Licht meist selbst an, betritt man einen Raum, dem Bewegungsmelder sei Dank. Sensoren sind schon etwas Tolles, ist man versucht zu denken. Doch kaum hat man zu arbeiten begonnen, setzt sich urplötzlich die Jalousie in Bewegung und rattert mit Getöse am Fenster herunter. Warum, ist schleierhaft. Die Sonne ist nicht plötzlich hinter den Wolken hervorgekrochen und auch das Grau des Himmels hat sich um keine Nuance verändert. Aufgeschreckt hetzt man zum Steuerungspanel, um den Vorgang zu stoppen. Erster Knopfdruck: Ruckartig hält die Jalousie an. Zweiter Knopfdruck: Sie schiebt sich wieder empor, mit einer Langsamkeit, als wolle sie das Fenster nur widerwillig freigeben, und mit einem Radau, der jeden Fitzel des zuvor gefassten Gedankens restlos vernichtet.
Womit wir beim Kern des Problems wären: Die Steuerungspanels in zeitgenössischen Bürogebäuden verkomplizieren unseren Alltag unnötig. Sie sind die Verheißung einer (sensorgesteuerten) Zukunft, von der wir in der Realität noch weit entfernt sind. Denn nicht alles, was modern scheint, ist auch funktional. Viel zu oft führt der vorauseilende Gehorsam der Technik dazu, dass wir uns nicht weniger mit ihr herumschlagen müssen – sondern mehr.
Kein Wunder, dass man sich da bisweilen John Henry Holmes’ simplen Schalter zurückwünscht. Doch vom Wünschen löscht sich das Licht nicht – also drücke ich meinen Zeigefinger auf das winzige Plastikrechteck. Nichts passiert. In der Mitte des Knopfes erhebt sich ein kleiner Knubbel, der aussieht wie eine Status-LED, nur dass er nicht leuchten kann und in meine Fingerkuppe pikst, als wolle er darauf aufmerksam machen, dass nicht nur der Druckpunkt beschissen ist, sondern die komplette Haptik. Egal, ich drücke noch mal. Die Helligkeitsabstufungen sind so nuanciert, dass man die Veränderungen kaum wahrnimmt. Mit der Frequenz eines Presslufthammers penetriere ich mit meinem Finger das vermaledeite Panel, zehn Mal, zwanzig Mal. Endlich: Das Licht hat seine unterste Stufe erreicht, im Raum ist es nun dämmrig, draußen jedoch schon stockdunkel. Meine S-Bahn ist wohl ohne mich Richtung Innenstadt gerattert, denke ich, während mein Zeigefinger zu schmerzen beginnt. Ich halte den Knopf nun gedrückt. Gefühlte Stunden verstreichen, dann, plötzlich: Dunkelheit.
Für kurze Zeit fühle ich mich nicht mehr wie ein Idiot. Sondern stark, wie ein Bezwinger. Ja, fast wie ein Dompteur.
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