: Verrückt, vertrackt, verhext
■ Der Drum'n'Bass-Star Roni Size beim West Port: Night Of The Big Drums
Ist das noch Jazz? Mit der Beantwortung dieser Frage halten es die Veranstalter des West Port ziemlich locker, und uns soll das natürlich recht sein. Denn so heben sie alle Jahre wieder Künstler ins Programm, die die Innovation außerhalb des Jazzclubs suchen. Nach dem Gastspiel von Goldie im letzten Jahr, das zwar etwas enttäuschend ausfiel, aber nichtsdestotrotz für Hamburg lange überfällig gewesen war, wird jetzt mit Roni Size ein weiterer Pate der britischen Drum'n'Bass-Familie beim Spektakel auf dem Deichtorplatz auftreten. „Night Of The Big Drums“ist das entsprechende Happening schick und schlagkräftig übertitelt, und mit Les Rhythmes Digitales sowie Bentley Rhythm Ace stehen zwei weitere aufregende Namen aus dem Großraum Elektronika im Programmheft.
Der Name Goldie darf im Zusammenhang mit Roni Size schon mal fallen, dagegen läßt sich nichts machen. Schließlich hat Goldie, der Berserker mit den blitzenden Beißern, dem gern mal als Single-Genre abgetanen Drum'n'Bass durch das Doppelalbum Timeless sein erstes Studio-Monument geliefert, und Size, sein Bruder im Geist aus Bristol, legt jetzt mit seinem Ensemble Reprazent New Forms vor, ein Werk, das es mit dem Zwei-Stunden-Opus problemlos aufnehmen kann.
Wie Size mit seinem Kompagnon DJ Krust die jazzy mit der dark side of Drum'n'Bass vereint, ist schon bewundernswert, und daß das Schlagwort New Forms Erinnerungen an die Terminologie des Jazz hervorruft, geht in Ordnung. Die locker eingestreuten elastischen Bass-Schlaufen sprechen eine deutliche Sprache, und einen Track nennen Reprazent „Mad Cat“, was ja auch einen klasse Titel für eine Bebop-Nummer abgegeben hätte – der dazugehörige Beat ist selbstredend supervertrackt. Verrückte Rhythmen spielen Reprazent.
Interessanter noch als ihr smarter Umgang mit Versatzstücken aus dem Jazz, durch den vielleicht auch die etwas ins Abseits geratenen Acid-Jazz-Heinis des Labels Talkin' Loud auf sie aufmerksam geworden sind, ist die Tatsache, daß Reprazent im abstrakten Genre des Drum'n'Bass eine Geschichte erzählen. Wobei sie viel Vokalarbeit, aber wenig Worte einsetzen. Narration ist hier weniger eine Frage der words per minute als eine der angeregten Assoziationen. Auch so gesehen muß noch einmal auf Goldie verwiesen werden.
130 Minuten ist Reprazents Mammutwerk lang, und es erscheint so geschlossen wie ein Album von Marvin Gaye – New Forms ist eine poetisch ausgeleuchtete Milieustudie über den Inner City Blues. Daß Reprazent für eine Nummer von Gaye den Songtitel „Let's Get It On“borgen, muß das als Hinweis auf die tiefe Verwurzelung dieser hypermodernen Musik im klassischen Soul verbucht werden. Immerhin nennt Roni Size seine Kunst „21. Century Soul“– und er darf das auch.
Bentley Rhythm Ace sind in Sachen Grundlagenforschung weniger seriös. Für sie ist Elektronika und alles, was irgendwie dazugehört, einfach eine große Spielwiese. Was wahrscheinlich auch daran liegt, daß ein Teil des Duos, nämlich Barry Island, aus einer ganz anderen Ecke kommt: Er machte früher bei der ein bißchen zu Recht vergessenen Band Pop Will Eat Itself den Rock-Spaddel. Mit seinem Kollegen Michael Barrywhoosh sampelt er jetzt - ziemlich gekonnt, wie man anerkennen muß - alle möglichen komischen Geräusche für die Tracks von Bentley Rhythm Ace. Die Inselaffen rufen für ihren Sample-Boogie humoristische Hexereien aus dem Sequenzer ab.
Gar nicht witzig will hingegen Jacques Lu Cont sein, der unter dem programmatischen Projektnamen Les Rhythmes Digitales die Trommelnacht im Zirkuszelt komplettiert. Das kleine Studio, in dem er seine formschönen Beat-Skulpturen modelliert, soll eingerichtet sein wie die Zellen in einer Nervenheilanstalt. Denn der niedliche französische Kauz hat angeblich viele Jahre in der Therapie verbracht. Kann man glauben, muß man aber nicht – plakative Promotion hat diese blümerant bleepende Kunst nämlich nicht nötig.
Christian Buß
West Port, Teil zwei:
Do, 10 Juli, 20 Uhr: Mehmet Ergin + Khaled. 23 Uhr: Rockers Hi-Fi + Kruder & Dorfmeister. Außerdem in der Musikhalle(!), 20 Uhr: Bobby McFerrin + Voices
Fr, 11. Juli, 20 Uhr: Celia Cruz + José Alberto „El Canario“Orcquesta. 23 Uhr: Roni Size + Bentley Rhythm Ace + Les Rhythmes Digitales
Sa, 12. Juli, 20 Uhr: Ray Charles
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