Verpflegung für Bedürftige: Rangeleien ums Essen
Zu Zia Gabriele Hüttinger und ihre Bremer "Suppenengel" kommen pro Mahlzeit rund 100 bedürftige Menschen. Der Bedarf nach HelferInnen für die Initiative wächst
![](https://taz.de/picture/178936/14/Suppenengel_HB_dpa.jpg)
Auch Engel müssen Pause machen. Da trifft es sich gut, dass zu Weihnachten auch andere ihr Herz für die Ärmsten entdecken. „Da müssen wir nicht auch noch mitmischen“, erklärt Zia Gabriele Hüttinger, die die mittlerweile als Verein organisierten Bremer Suppenengel einst ins Leben gerufen hat. Seit über 15 Jahren sorgt Hüttinger mit ihren MitarbeiterInnen und ehrenamtlichen HelferInnen dafür, dass die Bremer Obdachlosen und Bedürftigen viermal in der Woche warm essen können. Was ja nicht nur in extremen Wintern überlebensnotwendig ist.
Am Anfang war Hüttinger allein. Als die Hartz-IV-Empfängerin im Winter 1997 in den Nachrichten von der Diskussion darüber hörte, ob in Deutschland die Bahnhöfe im Winter nachts für Obdachlose geöffnet werden sollten, kam sie auf die Idee, selbst etwas zu tun. Über eine Talknacht im Radio machte sie ihr Vorhaben öffentlich, Suppe an die Obdachlosen zu verteilen. Ein Hörer meldete sich, der Hüttinger spontan mit 500 Mark unterstützen wollte.
Noch in der gleichen Nacht ging sie in die Innenstadt und suchte das Gespräch mit einem Wohnungslosen, um sich zu verabreden. Zum vereinbarten Termin kam sie zu spät, da waren viele der Wohnungslosen schon wieder gegangen. Hüttinger merkte, dass sie dorthin musste, wo sich die Hilfebedürftigen aufhielten und entwickelte eine feste Route, von der Domsheide über die Sögestraße zum Wäldchen am Wall bis zum Hauptbahnhof.
Schon bald wurde sie von immer mehr Menschen erwartet, die ihr schon bald den Spitznamen „Suppenengel“ verliehen.
Mittlerweile sind es manchmal mehr als 100 Bedürftige, die bei den Suppenengeln essen, Schätzungen zufolge gibt es in Bremen rund 3.000 Menschen ohne Wohnung. Die Bremer Suppenengel-Initiative für Obdachlose und Bedürftige e. V., so der vollständige Name des Vereins, ist inzwischen ein rund 30-köpfiges Team, einige Injobber sind auch dabei, viele helfen ehrenamtlich. Gekocht wird seit fünf Jahren in der Neustädter St.-Jacobi-Gemeinde im Kirchweg, sechs Leute werden täglich in der Küche gebraucht. Regelmäßig werden auch Schlafsäcke und Kleidung verteilt, auch Hilfe bei Amtsgängen oder Informationen über andere Hilfsangebote gehören zum Angebot der Engel.
Bedarf gibt es allerdings trotzdem immer wieder: Nicht nur Lebensmittelspenden oder Küchenhilfen werden gebraucht, sondern auch DolmetscherInnen. Immer mehr französischsprachige Flüchtlinge aus Afrika kommen zu der Verteilstelle am Hauptbahnhof, Hüttinger selbst spricht aber nur Deutsch und Englisch. „Neulich standen wir am Bahnhof und hatten kein Essen mehr“, erzählt sie. „Ich wollte einer Frau, die weder Deutsch noch Englisch sprach, signalisieren, dass nichts mehr da sei. Sie muss aber meine Geste so verstanden haben, dass sie abhauen soll.“ Ein anderer sei mit dem Mülleimer weggelaufen. „Sowas will ich nie wieder erleben. Diese Menschen sollen genauso in die Mitte geholt werden wie alle anderen.“
Hüttinger merkte, dass sie an ihre Grenzen kam. Um in Zukunft solche Situationen zu vermeiden, wandte sie sich an die Öffentlichkeit – mit Erfolg: Zehn Menschen haben sich mittlerweile gemeldet, die als Dolmetscher helfen wollen.
Aber Französisch ist nicht die einzige Sprache, die auf der Straße gesprochen wird: „Für Russisch und Polnisch habe ich schon jemanden, aber mir fehlen Menschen, die Bulgarisch und Rumänisch übersetzen können“, berichtet Hüttinger. Ein Bedarf mit zunehmender Tendenz – und mit Konfliktpotenzial: Unter den Ärmsten gebe es teils heftige Konkurrenz, sogar Rangeleien bei der Essensvergabe seien vorgekommen. „Das ist ein Pulverfass“, sagt Hüttinger.
Ab dem 7. Januar sind die Supnengel wieder unterwegs. Bis dahin machen sie Pause, dank der Wohltätigkeit anderer Vereine und Institutionen, die sich zwischen den Jahren um bedürftige Menschen kümmern. Aber danach werden sie wieder gebraucht und fahren viermal die Woche auf ihren Transporträdern Essen aus. Kein leichter Job übrigens – weshalb Hüttinger auch FahrerInnen immer gut gebrauchen kann. „Das ist ein kostenloses Fitnessprogramm“, scherzt sie.
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