Vermeintliches Heilmittel gegen Corona: Der Zaubertrank aus Madagaskar
Das Kräutergebräu CVO soll gegen Covid-19 helfen. Mehrere afrikanische Regierungen zeigen sich interessiert. Die WHO reagiert verhalten.
Entwickelt vom Forschungsinstitut IMRA in Madagaskars Hauptstadt Antananarivo, handelt es sich bei CVO um einen Artemisia-Tee. Wie Militärarzt Oberst Willy Ratovondrainy im Fernsehen ausführte, soll das Getränk nicht die Krankheit heilen, sondern das Immunsystem stärken.
Artemisia ist in der Medizin bekannt. Das Pflanzenextrakt Artemisinin wird zur Malariaheilung verwendet. Seit Langem gehört es zur traditionellen chinesischen Medizin. Für die entsprechende Forschung erhielt die Wissenschaftlerin Youyou Tu im Jahr 2015 als erste Chinesin den Nobelpreis für Medizin. In Madagaskar wurde Artemisia 1975 eingeführt und wird seitdem weiter erforscht. CVO kombiniert Artemisinin mit Pflanzenölen, die in der traditionellen madegassischen Medizin zur Stärkung des Immunsystems verwendet werden.
Seit dem TV-Auftritt des Präsidenten verteilt Madagaskars Armee CVO kostenlos in Antananarivo sowie in den vom Coronavirus befallenen Regionen Fianarantsoa und Toamasina, vor allem in den Schulen. Einmal täglich soll man es trinken, eine Woche lang, bei Covid-19-Symptomen länger. Vergangene Woche rief der Präsident die Bauern Madagaskars auf, massenhaft Artemisia anzupflanzen. Sie könnten damit zehnmal so viel verdienen als mit Reis.
Beliebte Kräuterextrakte
Madagaskars Bevölkerung ist zwar klar, dass dahinter wirtschaftliche Interessen der Regierung stehen, aber CVO kommt trotzdem gut an. Sich mit Kräuterextrakten zu stärken, ist in Madagaskar mit seiner weltweit einmalig reichen tropischen Pflanzenwelt nichts Neues, und die Zutaten von CVO sind allen Madegassen geläufig. „Wir haben ja nichts zu verlieren“, sagt eine lokale Mitarbeiterin eines Hilfswerks. Ihre Schwester trinke zwar kein CVO, erzählt sie, wohl aber ein anderes traditionelles madegassisches Kräutergebräu.
Die Angst vor dem Coronavirus ist in Madagaskar wenig ausgeprägt. Bisher gibt es keinen gemeldeten Todesfall und nur etwas über 150 registrierte Infektionsfälle. An Malaria starben dagegen im vergangenen Jahr 600 Menschen.
Während sich die Forschung nach einer Covid-19-Therapie in den reichen Ländern über Jahre hinziehen dürfte, sind viele Regierungen in Afrika neugierig auf das, was Madagaskar da macht. Tansanias Präsident John Magufuli schickte ein Flugzeug nach Madagaskar, um CVO abzuholen. Von Senegal über Äquatorialguinea bis zur Demokratischen Republik Kongo reichen die präsidialen Bestellungen des „Zaubertranks“.
Für Präsident Rajoelina ist CVO auch eine diplomatische Waffe. Per Videokonferenz mit 15 afrikanischen Staatschefs, unter anderem aus Ägypten, Südafrika, Mali und Ruanda, forderte er am 30. April, Afrika müsse angesichts der Pandemie „aufwachen“. Am nächsten Tag schon landete auf Madagaskar ein Sonderflug aus Guinea-Bissau, um eine CVO-Ladung für alle 15 Staaten Westafrikas abzuholen. „Ein Sieg für Madagaskar“, jubelte Rajoelina. „Wir stiften diesen Sieg allen Covid-19-Kranken, allen Madegassen und allen Kranken Afrikas.“
Skepsis auch in Madagaskar
Die Weltgesundheitsorganisation äußert sich indes zurückhaltend zu CVO. Gewisse pflanzliche Mittel könnten Covid-19-Symptome lindern, erklärt sie, aber es gebe „keinen Beweis, dass sie die Krankheit verhindern oder heilen können“. WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus aus Äthiopien warnt, es gebe bei der Forschung „keine Abkürzung“.
Gesundheitsministerium
Auch in Madagaskar selbst ist CVO nicht unumstritten. Berichten zufolge war Madagaskars Nationale Medizinische Akademie zunächst gegen die CVO-Entwicklung durch das Forschungsinstitut IMRA, wurde aber vom Präsidenten auf Linie gebracht. Die Mediziner sagen jetzt diplomatisch: „Da Covid Organics kein Medikament ist, sondern ein traditionelles Heilmittel, widersetzt sich die Medizinische Akademie nicht seiner Anwendung in Form eines Getränks.“
Auf Kritik und Skepsis hat Georges Ratrimoarivony aus Madagakars Gesundheitsministerium eine Antwort parat: Auf sozialen Netzwerken sagt er, an westliche Medien gerichtet: „Unser Präsident hat im madegassischen Fernsehen eine Lösung für die Madegassen angeboten. Er drängt sie euch nicht auf und schlägt sie euch nicht vor. Es ist nicht euer Problem. Bei uns gibt es derzeit keine Toten und wir müssen niemanden künstlich beatmen. Zählt eure Toten – wir zählen unsere.“
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