Verleihung des Deutschen Filmpreises: Wieder ein richtiges Fest
Bei der Gala zum 71. Deutschen Filmpreis räumen „Ich bin dein Mensch“ und „Tides“ ab. Doris Dörrie schießt ein Pfeilchen gegen #allesaufdentisch.
Aus den Tiefen verdrängter Erinnerungen schwappt bei einigen Menschen in schwachen Momenten zuweilen der Song „Geil“ von Bruce & Bongo an die Oberfläche: „Everybody’s geil, g-g-g-g-geil, Boris is geil, g-g-g-g-geil“.
So ein schwacher Moment deutete sich am Freitagabend an, als bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises im Berliner Palais am Funkturm eine Tänzergruppe in 90er-Jahre-Musical-Outfits um den Moderator Daniel Donskoy herumtanzte und mit ihm „Kino ist geil, Kino ist König“ sang. Dabei haben sie durchaus recht: Kino ist geil, g-g-g-g-geil. Nur kriegt man solchen Unterhaltungseinlagen, so satirisch sie auch gemeint sind, einfach den „Musik ist Trumpf“-Geruch nie ganz ausgetrieben.
Aber abgesehen von den ein bisschen zwischen Grips Theater und dessen Parodie schwankenden Showacts lief alles smooth beim 71. Kinofest, das dank 3G tatsächlich wieder ein richtiges Fest war, mit richtigen Leuten, richtigen Getränken, richtigem Applaus und Appellen in die richtige Richtung: Über Diversity rappte und sang Donskoy gemeinsam mit Eunique, später tauschten Donskoy und Sabin Tambrea Filmküsse. Ob es auch die richtigen Filme waren, die von den Akademiemitgliedern ausgezeichnet wurden, darüber herrschte wie üblich kein wirklicher Konsens.
Mit vier Preisen (Bester Film, Regie, Drehbuch, weibliche Hauptrolle) für die von Maria Schrader inszenierte und von Jan Schomburg geschriebene kluge Komödie „Ich bin dein Mensch“, in der eine Wissenschaftlerin mit einem tangotanzenden Androiden zusammenleben muss, obwohl ihr seine Perfektion mächtig auf den Zeiger geht, und mit der Lola in Silber und für Kamera und Schnitt für Dominic Grafs radikale Kästner-Adaption „Fabian“ traf es jedenfalls schöne Filme, die gemeinsam mehr Bandbreite boten, als es die nominierten Werke normalerweise tun.
Alle reinjagen ins Dunkel
Und das ist gerade am wichtigsten, siehe „Kino ist geil“: alle irgendwie reinjagen ins Dunkel der Spielstätte, egal welche Vorlieben vorherrschen. Er habe als Kind in den 70ern einen Hundert-D-Mark-Schein aus der Gaststätte seiner Eltern stibitzt, erzählte später der Gewinner der Lola für den besten Schauspieler, Oliver Masucci (für „Enfant Terrible“), in seiner Dankesrede, und habe die Moneten für Kino auf den Kopf gehauen, eine Vorstellung eins-fünfzig. Der Diebstahl war gut angelegt. Kein Mundraub, sondern Hirnraub.
Mit vier Lolas (Musik, Szenenbild, Maske, visuelle Effekte) wurde auch „Tides“, Tim Fehlbaums dystopischer Genrefilm, ausgezeichnet – alle berechtigt. Dass der Film trotz großer Bilder und Lorenz Dangels vielschichtigem Score dennoch nicht zündet, liegt an der einerseits zu dünnen, andererseits überfrachteten Story: Eine aus der Weltraumkolonie Kepler stammende Frau landet auf der Erde, die vor Jahrzehnten verlassen wurde, und findet dort wilde, Esperanto sprechende „Muds“ und eine sich als höherentwickelt bezeichnende Gruppe vor.
Zu „Planet der Affen“-, „Waterworld“-, „Mad Max“- und „Apocalypse 2024“-Motiven gesellt sich mit der Idee der Unfruchtbarkeit der Kepler-Frauen auch noch „Children of Men“-Thematik.
Laudatorin Doris Dörrie schoss ein Pfeilchen gegen #allesaufdentisch, und „Herr Bachmann“ erzählte beim Preis für den Besten Dokumentarfilm, dass es in seiner Ex-Schule jetzt eine Herr-Bachmann-AG gebe. Man vermisste den Mann mit der Strickmütze später bei der Party auf der Tanzfläche. Aber vermutlich wurde ihm einfach zu wenig ACDC aufgelegt.
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