Verkleinerung des Bundestags: Dunkelrote Ampel macht Druck
Linke, Grüne und FDP wollen den Bundestag über Wahlrechtsreform abstimmen lassen – kein einfaches Unterfangen.
BERLIN taz Oft kommt es nicht vor, dass Linke, Grüne und FDP gemeinsam Pressekonferenzen geben. Bei diesem Thema aber sind sie sich einig: der Wahlrechtsreform. Die drei Oppositionsparteien haben bereits im Oktober einen gemeinsamen Vorschlag vorgelegt, wie die weitere Ausdehnung des Bundestags bei der nächsten Wahl verhindert werden kann. Diesen Vorschlag wollen sie am Freitag kommender Woche im Bundestag endlich zur Abstimmung stellen.
„Die Zeit drängt, das Zeitfenster schließt sich“, sagte FDP-Geschäftsführer Marco Buschmann bei der Online-Konferenz am Mittwochvormittag. Denn ein Jahr vor der Bundestagswahl im Herbst 2021 sollten endlich auch die Spielregeln für diese Wahl feststehen. Da das Parlament nach der Sommerpause erst wieder im September zusammenkommt, wollen die drei Parteien das Thema Wahlrechtsreform also noch im Juli abräumen.
Linke, Grüne und FDP schlagen vor, die Zahl der Wahlkreise von derzeit 299 auf 250 zu verringern. Die Anzahl der Gesamtsitze soll leicht steigen auf 630. Das würde bedeuten, dass der Bundestag nicht mehr jeweils zur Hälfte aus Erst- und Zweitstimmen gewählt werden würde, sondern sich die Zusammensetzung zugunsten der Listenmandate, also der Zweitstimmen, mit 60 zu 40 leicht verändert. Der Vorschlag sei fair, weil er alle Parteien treffe, und stärke die parlamentarische Demokratie, so der Linken-Abgeordnete Friedrich Straetmanns.
Mehr als 800 Abgeordnete?
Gesetzentwürfe der Opposition werden aber normalerweise von der Regierungsmehrheit abgelehnt. Um dennoch die erforderliche Mehrheit im Parlament zu erzielen, schlagen die drei Parteien vor, den Fraktionszwang aufzuheben. Schließlich gingen bei diesem Thema auch Risse durch SPD und Union.
Dass eine Reform notwendig ist, sehen auch viele PolitikerInnen aus Union und SPD. Im Bundestag, dem regulär 598 Personen angehören sollen, sitzen derzeit 709 ParlamentarierInnen. Im nächsten Jahr könnten es über 800 sein. Dass das Parlament immer weiter wächst liegt an den Überhangmandaten. Erhält eine Partei mehr Direktmandate (Erststimmen) als ihr nach ihrem Zweitstimmenanteil zu stünde, werden die Sitze aller Fraktionen solange aufgestockt, bis die Verhältnisse wieder stimmen.
Von den Überhangmandaten profitiert insbesondere die CSU, die regelmäßig überproportional viele Direktmandate gewinnt. Sie ist daher besonders vehement gegen eine Reduzierung der Wahlkreise, wie sie der Vorschlag von Linken, Grünen und FDP vorsieht. Auch in der SPD gibt es Vorbehalte gegen eine Verringerung von Wahlkreisen.
Eine fraktionsübergreifende Arbeitsgruppe, geleitet von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, CDU, die einen Kompromiss erarbeiten sollte, scheiterte bereits im vergangenen April.
CSU: Alles soll bleiben wie bisher
Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Carsten Schneider, hatte zu Jahresbeginn eine Übergangslösung vorgeschlagen: Die Anzahl der Sitze des Bundestags solle bei 690 gekappt werden, danach sollten Überhangmandate nicht mehr ausgeglichen werden. Einen Vorschlag, den Britta Haßelmann, die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen „reichlich unambitioniert“ nannte.
Der SPD-Ansatz sieht zudem vor, dass Direktmandate dann nicht zugeteilt werden sollen, wenn die Zahl der Überhänge und Ausgleichsmandate die 690 übersteigt. Bezogen auf das Wahlergebnis 2017 hätten CDU und CSU dadurch auf mehrere Direktmandate verzichten müssen.
Dennoch steht die CDU dem Modell offener gegenüber, sogar Schäuble soll dem Ansatz einiges abgewinnen können. Nur die CSU sperrt sich kategorisch. Sie will, dass alles so bleibt wie bisher. Dass ihr Abgeordneter Michael Frieser kürzlich eine ähnliche Obergrenze forderte – aber ohne den Wegfall von Direktmandaten, nannte der Liberale Buschmann „bloße rhetorische Verschleierungstaktik“.
Wie geht es also weiter? Tatsächlich hat weder die SPD noch die Union einen ihrer Ansätze bislang in einen Gesetzentwurf formuliert. Der einzige Entwurf, der dem Parlament vorliegt, ist jener der drei Oppositionsparteien. Und die Uhr tickt, bereits in diesen Tagen beginnt die Phase, in der Wahlkreiskandidaten aufgestellt werden können.
Wenigstens eine Debatte
Voraussetzung dafür, dass es überhaupt zur Abstimmung kommt, ist allerdings, dass auch der Innenausschuss am kommenden Mittwoch grünes Licht gibt. Bislang hatten Union und SPD jedoch stets weiteren Beratungsbedarf angemeldet. Wie aus deren Reihen zu hören ist, wird das auch diesmal so sein.
Die Sozialdemokraten führen dazu inhaltliche und technische Gründe an. So seien nach deren Einschätzung 49 Wahlkreise weniger kaum ausreichend, um einen Bläh-Bundestag zu verhindern. „Dazu bräuchte es eher 100 weniger“, heißt es aus Fraktionskreisen – wofür es erst recht keine Mehrheit gebe. Zudem fehle bislang ein Konzept zum Neuzuschnitt aller Wahlkreise. Und der Union? Geht der Oppositionsvorschlag zu weit, und ist beim SPD-Ansatz gespalten.
Schmettert die Groko das Ansinnen der Opposition in der kommenden Woche ab, wollen Linke, Grüne und FDP das Thema trotzdem auf der Tagesordnung lassen. Dann nicht als Abstimmung, aber als Debatte. Denn, sagt Britta Haßelmann, „einer Debatte kann die Große Koalition nicht entgehen.“
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