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Verkleinerung des BundestagesLinke klagt gegen Wahlrechtsreform

Die Linkspartei hält die Abschaffung der Grundmandatsklausel für verfassungswidrig. Jetzt geht sie dagegen vor.

Gysi stellte an einem plastischen Beispiel – sich selbst – dar, warum eine Klage gute Chancen hat Foto: Carsten Koall/dpa

Berlin taz | Die Linkspartei hat angekündigt, gegen die gerade erst in Kraft getretene Wahlrechtsreform vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen. „Wir halten das Gesetz in Teilen für verfassungswidrig“, so der Linken-Vorsitzende Martin Schirdewan am Freitag in der Berliner Bundespressekonferenz. Die Co-Vorsitzende Janine Wissler sieht in der Reform „einen Angriff auf die Demokratie“.

Die Linke will vor allem gegen die Abschaffung der sogenannten Grundmandatsklausel vorgehen, die bislang sicherstellte, dass direkt gewählte Abgeordnete auch dann in den Bundestag einziehen, wenn ihre Partei die Fünf-Prozent-Hürde verfehlt.

Mit der Wahlrechtsreform verfallen solche Erststimmen-Mandate künftig, falls eine Partei weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen erreicht. Die Linkspartei wäre derzeit direkt davon betroffen: 2021 zog sie dank dreier Direktmandate als Fraktion in den Bundestag ein, obwohl sie nur 4,9 Prozent der Zweitstimmen erreichte und damit knapp unter der Sperrklausel von 5 Prozent lag.

„Gesicht und Stimme“ für die Klage soll der ehemalige Partei- und Fraktionschef Gregor Gysi sein. Gysi, der im Nebenberuf auch Rechtsanwalt ist, will sich in Kürze zusammen mit einem Verfassungsrechtler an die Ausfertigung der Klageschrift setzen.

Gysi sieht gute Chancen, auch für sich selbst

Gysi machte an einem plastischen Beispiel deutlich – sich selbst nämlich – warum er gute Chancen für eine Klage sieht. Würde ein parteiunabhäniger Kandidat in einem Wahlkreis antreten und das Direktmandat erringen, wäre sein Einzug in den Bundestag gesichert. Vorausgesetzt, dass seine Partei den Wahlkampf nicht finanziert. „1949 ist das letzte Mal jemand auf diesem Weg gewählt worden, aber ich würde mir das trotzdem zutrauen“, sagte Gysi selbstbewusst. Der Linken-Politiker gewinnt seit mehreren Jahren das Direktmandat im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick, auch seine Nebeneinkünfte sind beachtlich.

Als Kandidat der Linkspartei würde Gysi sein Mandat dagegen nicht antreten können, wenn seine Partei nicht den nötigen Zweitstimmenanteil von 5 Prozent erhielte. „Dass nicht die Wäh­le­r:in­nen entscheiden, ob jemand in den Bundestag einzieht, sondern die Art der Aufstellung, ist offensichtlich verfassungswidrig“, ist sich Gysi sicher.

Dabei wollte die Ampel-Regierung gerade mit der Streichung der Grundmandatsklausel dafür sorgen, dass die Reform verfassungsfest ist. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Katja Mast, hatte sich im März auf die zur Anhörung geladenen Ex­per­t:in­nen berufen und behauptet, man habe „die eindeutige Rückmeldung erhalten, dass die Grundmandatsklausel systemwidrig ist“.

Tatsächlich hatten nur wenige Ex­per­t:in­nen die Grundmandatsklausel verfassungsrechtlich für problematisch gehalten, wie eine taz-Recherche zeigte. Die Mehrheit hatte sich auf Nachfrage kurz vor der Abstimmung im Bundestag für eine Beibehaltung der Grundmandatsklausel ausgesprochen.

Die Sitze wurden von 736 auf 630 reduziert

Auch die bayerische Landesregierung und die CSU haben bereits Klagen gegen das neue Wahlrecht in Karlsruhe eingereicht. Die CSU, die in Bayern traditionell viele Wahlkreise direkt gewinnt, wäre ebenfalls nicht im Bundestag vertreten, falls sie bundesweit nicht auf fünf Prozent der Wäh­le­r:in­nen­stim­men käme. Man sei miteinander in Kontakt, so die Linken-Vorsitzenden.

Schirdewan macht deutlich, dass seine Partei eine Wahlrechtsreform nicht grundsätzlich ablehne und auch die Verkleinerung des Bundestags für notwendig halte. Noch vor vier Jahren hatte die Linke gemeinsam mit den damaligen Oppositionsparteien Grüne und FDP einen Vorschlag vorgelegt, der eine Reduzierung der Wahlkreise und eine Begrenzung der Parlamentssitze auf 630 vorsah.

Auch das jetzt geltende Wahlgesetz sieht vor, die Zahl der Sitze von derzeit 736 auf 630 reduzieren. Die Ampelfraktionen hatte sie im Frühjahr gegen die Stimmen der Opposition beschlossen. Nach der Unterzeichnung durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wurde sie Dienstag im Bundesgesetzblatt veröffentlicht, ist damit in Kraft und würde für die nächste Bundestagswahl gelten. Wären die Klagen von Linken und CSU allerdings erfolgreich, wäre wohl auch die Wahlrechtsreform nichtig.

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4 Kommentare

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  • die Ampel beschädigt das demokratische Selbstverständnis der Einwohner dieses Landes.



    Vertreter, die direkt gewählt wurden sind bedeutungslos und finden keine Repräsentation in der politischen Ordnung. Das ist eine Schande. Gleichzeitig sehe ich das Risiko gerade in den ostdeutschen Bundesländern, in Zukunft besonders viele AfD Politiker vertreten zu sehen. Das gefällt mir nicht. Dennoch halte ich es für falsch das System so zu ändern, dass direkt gewählt Politiker nicht repräsentiert sein werden. Wir haben ein Problem. Dies ist nicht die richtige Lösung dafür. Viel mehr wird dadurch die regressive Haltung und die Wut der Bürger dieses Landes noch gefördert. All dies um den Bundestag zu schrumpfen? Ist es das wirklich wert?



    Man spart etwas Geld, ein wirklich geringer Wert. Den Bürgern ist es weniger wichtig wie viele Abgeordnete im Bundestag sitzen. Viel mehr wollen wir eine funktionierende und effektive Regierung. Das hat mit der Zahl der Abgeordneten im Bundestag nichts zu tun, sondern mit der nicht funktionierenden Koalition.

  • Es ist das gute Recht der Linke, hier zu klagen.



    Neben verfassungsrechtlichen Bedenken ist die nackte Existenzangst Grund für den Schritt.



    Der innerparteiliche Zwist ist alles Andere als beigelegt.



    Mehrere FraktionsmitgliederInnen wollen wohl lieber mit Finanzierung im Rücken und der Bühne des Bundestags weiterhin für Ihre Zukunft und evtl. eine neue Partei arbeiten.



    Es sieht nicht so aus, als könne sich die Linke davon nochmal erholen.

  • Vorschlag: Nur der die direkt gewählte Abgeordnete zieht in den Bundestag ein. Mit absoluter Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Bei Bedarf mit Stichwahl. Und nur ein Abgeordneter je Wahlkreis. Bei unveränderter Anzahl der Wahlkreise.

    • @Rechenfix:

      Dieser " Vorschlag" bedeutet die Abkehr vom Verhältniswahlrecht.



      Er ist eine Entwertung der Wähler und Wählerinnen.



      Bei einem Extremfall von 49% zu 51% wären die Stimmen der "VerliererInnen" völlig wertlos.



      Das wären auf die Wahlberechtigten in Deutschland hochgerechnet 30 Millionen " wertlose" Stimmen.



      Ihren Vorschlag halte ich als Demokrat für abwegig.



      Wie an anderen Ländern zu sehen ist, etabliert sich in der Folge ein Zweiparteien System.



      Ich halte hingegen Vielfalt für einen demokratischen Gewinn.



      Angesichts der Abkehr von der Demokratie durch viele BürgerInnen, auch hierzulande, würde dies die negative Entwicklung beschleunigen.