Verkehrswende in der Großstadt: Diese eine Insel wird niemals untergehen
Als Radfahrerin hat man es nicht leicht. Von allen Seiten wird man angehupt und angepöbelt. Wie geht das, die Wut in etwas Produktives umwandeln?

W ie immer fahre ich hinter dem Park schräg rechts auf den Bürgersteig. Aber aus hundert Meter Entfernung leuchten mich zwei neongelbe Jacken an. Reflexartig ziehe ich direkt wieder runter auf die Straße. Mit Fahrradhelm und Block schreiben die Polizisten Radfahrer:innen auf, die es wagen, über den Kiesweg zu fahren.
Der Ort dieser Verkehrskontrolle ist, um es nett auszudrücken, lächerlich. Neben den Steinplatten für Fußgänger:innen verläuft ein breiter Rollsplittstreifen, auf dem mindestens drei Räder nebeneinander fahren können, ohne Spaziergänger:innen zu belästigen. Außerdem liegt die Straße hinter einem Luxushotel, hier läuft also ohnehin niemand lang. Hier wird mit abgedunkelten Scheiben vorgefahren.
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Auf Höhe der Verkehrskontrolle halte ich an der Ampel. Ich werfe den beiden Frauen, deren Daten gerade aufgeschrieben werden, einen solidarischen Blick zu. Mir wird heiß unter der Lederjacke, obwohl mein Name hier gerade nicht aufgenommen wird. Ich überlege, ob ich etwas rüberpöbeln soll, als die eine Frau ihr Rad neben mich schiebt. Über ihr Gesicht zieht sich ein Grinsen, als hätte sie gerade ein Eis geschenkt bekommen. Die geföhnten Haare schmiegen sich um ihr Gesicht, ihr Teint strahlt gesund. „25 Euro“, sagt sie mit sanfter Stimme und lächelt weiter. „25 Euro.“ Sie gleitet davon, und wenn da ein Funken Ärger war, dann ist er nach drei Tritten in die Pedale vergessen, da bin ich mir sicher.
Ich wäre gerne ein bisschen mehr wie sie. Als ich neulich einen Strafzettel verpasst bekommen habe, weil ich durch eine Seitenstraße gurkend die Orientierung verloren hatte und kurz auf mein Handy schaute, regte ich mich bei jeder Person in meinem Umfeld mindestens einmal über diese gnaaaaadenlose Ungerechtigkeit auf. Der Ärger hat mich locker zwei Stunden und den Energiegehalt von drei Snickers gekostet – und der Strafzettel ist noch nicht mal in meinem Briefkasten angekommen.
Und die Frau? Hat die Situation einfach weggelächelt. Sollte ich das nicht auch so machen?
Verkehrswende erzwingen
Ich ahne, das wird schwer, als ich mich während der Weiterfahrt mehrfach beim lauten Schnauben und Kopfschütteln erwische. Könnte ich meine negative Energie stattdessen in etwas Produktives investieren?
Es gibt da diese Mittelinsel, handtuchbreit liegt sie zwischen einer sechsspurigen, stark befahrenen Straße. Jedes Mal hoffe ich, dass meine Bremsen nicht versagen, wenn ich hier halten muss. Seit Monaten will ich mich dafür einsetzen, dass diese Stelle sicherer wird. Durch einen Zebrastreifen, eine Ampel oder sogar eine Fahrradbrücke. (Jaja, ich weiß, Berlin ist nicht Kopenhagen, aber ich träume so gerne.) Wenigstens ein paar Poller?
Also nehme ich meinen Ärger über all die Ungerechtigkeiten, denen Fahrradfahrer:innen ausgesetzt sind, während sie sich durch den Gegenwind quälen, angehupt und aufgeschrieben werden, und beginne mit dem Projekt sichere Mittelinsel. Ich fotografiere, wie eine Mutter mit ihrem Lastenrad auch diagonal kaum auf die Insel passt. Oder wie sich die Radfahrer:innen morgens zur Rushhour in der Mitte der Straße fast übereinanderstapeln. Ich schreibe den Abgeordneten meines Bezirks, ob wir da nicht etwas machen können, für mehr Sicherheit. Eine kleine Revolution starten? Wenigstens eine Petition?
Hoffentlich treffe ich die Grinsefrau bald wieder auf dem Weg zur Arbeit, dann lache ich zurück. Sie hat mich motiviert, nur anders.
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