Verjährungsfristen bei sexueller Gewalt: Länger Zeit für eine Anzeige

Der Missbrauchsbeauftragte Rörig fordert längere Verjährungsfristen bei sexueller Gewalt. Sie aufzuheben, halten Rechtsexperten für schwierig.

Puppe zur Beruhigung: in der Kinderschutzambulanz können Kinder auf Missbrauchsspuren untersucht werden. Bild: dpa

BERLIN taz | 20, 30 oder 35 Jahre? Wie viele Jahre soll die Verjährungsfrist bei sexueller Gewalt an Kindern dauern? Sollte sie möglicherweise ganz aufgehoben werden?

So ist das seit Januar in der Schweiz. Tatjana Hörnle macht eine abwiegelnde Handbewegung. „In Deutschland ist das nicht so einfach“, sagt die Strafrechtsprofessorin an der Berliner Humboldt-Universität. Dann müssten Verjährungsfristen auch bei anderen „schweren Delikten gegen Personen“ aufgehoben werden, etwa bei schwerer Gewalt in Beziehungen und beim Menschenhandel, findet sie.

Tatjana Hörnle sitzt am Mittwoch im Familienministerium in Berlin neben Johannes-Wilhelm Rörig, dem Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. Rörig reichen die Verjährungsfristen bei Kindesmissbrauch von 5 bis zu 20 Jahren, so wie sie jetzt gelten, nicht aus. Und das Gesetz zur Stärkung der Opferrechte (StORMG) – ein Ergebnis des Runden Tischs sexueller Missbrauch, das demnächst in Kraft tritt – sieht lediglich eine Verlängerung zivilrechtlicher Fristen vor. Schadenersatzansprüche für körperlich und seelisch erlittene Gewalt, etwa für Therapien und medizinische Hilfsmittel, können künftig 30 statt bislang 3 Jahre lang erstritten werden. Was also tun?

Rörig hat sich Expertise geholt, bei Tatjana Hörnle. Die Juristin kennt sich aus mit Rechtsphilosophie und Rechtsvergleichen. Sie weiß, dass Verjährungsfristen sein müssen, „um den Rechtsfrieden zu wahren“. Aber das habe zur Folge, dass Opferinteressen vielfach keine Rolle spielten. „Das muss sich ändern, hier muss der Rechtsfrieden aufgelöst werden“, sagt Hörnle.

Das klingt nach einer Kampfansage. Darüber wird zu reden sein. Rörig und Hörnle wollen das demnächst tun, am Donnerstag in einer Woche soll sich ein Hearing in Berlin mit Verjährungsfristen befassen.

Zeit bis zum 55. Geburtstag?

Und weil das mit den Verlängerungsfristen für Straftaten so kompliziert ist, muss woanders angesetzt werden. Zum Beispiel bei der sogenannten Ruhensregelung. Die besagt, ab welchem Zeitpunkt eine Verjährung einsetzt. Bei sexueller Gewalt an Kindern beginnt die Verjährung bislang mit dem 18. Geburtstag des Opfers. Mit dem StORMG wurde diese Frist allerdings auf das vollendete 21. Lebensjahr angehoben. Aber auch das reicht noch nicht, sagt Rörig. Und plädiert dafür, die Ruhensregelung auszuweiten: auf das 28. bis 35. Lebensjahr des Opfers.

Hintergrund: Viele Opfer können erst in der Mitte ihres Lebens über die Gewalterlebnisse in der Kindheit sprechen. Und: Viele befinden sich später nicht mehr in einem so starken Abhängigkeitsverhältnis von tatverdächtigen Familienangehörigen, wie sie das als junge Menschen sind.

In Österreich gibt es dieses Modell bereits seit drei Jahren. Dort beginnt die Verjährungsfrist erst ab dem 28. Geburtstag des Opfers. Wenn dies in Deutschland Praxis würde, könnte das in etwa so aussehen: Ein Opfer, das als 10-jähriges Kind missbraucht wurde, hätte nach dem Rörig-Vorstoß bis zum 55. Lebensjahr Zeit, die Tat anzuzeigen – wenn die Ruhensregelung ab dem 35. Geburtstag greifen und eine Verjährungsfrist von 20 Jahren bei schwerem Missbrauch (dazu zählen jede Art von Penetration und Mehrfachtaten) angesetzt würde.

Ein Risiko bliebe allerdings auch bei der Verlängerung der Fristen nach wie vor: In vielen Fällen dürfte es schwierig sein, den Missbrauch zu beweisen. Wer kann sich 20, 30 Jahre nach dem Missbrauch als Kind noch daran erinnern, zu welcher Uhrzeit der sexuelle Übergriff stattgefunden und welchen Pullover der Täter getragen hat? Das Prinzip der „vereinfachten Glaubwürdigkeit“ gilt hier nicht.

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