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Verhandlungsführer über BVG-Streik„Wir erfahren nach wie vor große Solidarität“

Erstmals seit 2008 steht womöglich ein unbefristeter BVG-Streik bevor. Verdi-Verhandlungsführer Jeremy Arndt sieht den Senat in der Verantwortung.

Die BVG-Beschäftigten sind zum Streik bereit, falls die Schlichtung keinen Fortschritt bringt Foto: Michel Winde/dpa

taz: Herr Arndt, vergangenen Freitag sind die Verhandlungen zwischen der BVG und Verdi gescheitert, am Mittwoch startet die Urabstimmung. Wie wahrscheinlich ist es, dass es eine Schlichtung geben wird und ein unbefristeter Streik noch abgewendet werden kann?

Jeremy Arndt: Die Gespräche mit der BVG zur Schlichtung laufen. Wir gehen davon aus, dass in den nächsten Tagen erst einmal eine Schlichtungsvereinbarung steht. Dann müssen die Schlichter noch benannt werden. Was die Schlichtung letztendlich bringt – das wird das Verfahren zeigen.

taz: Ändert das etwas an den Warnstreiks, die für Mittwoch und Donnerstag angekündigt sind? Während einer Schlichtung gilt ja üblicherweise eine Friedenspflicht, in der auf Streiks verzichtet wird.

Arndt: Da noch keine Schlichtungsvereinbarung steht, ändert das erst einmal nichts an den Warnstreiks. Die finden wie geplant statt.

Jeremy Arndt

Jeremy Arndt ist Verhandlungsführer der Gewerkschaft Verdi und Leiter des Verkehrsbereichs für Berlin und Brandenburg.

taz: Wäre es nicht ein Zeichen von Kompromissbereitschaft, darauf zu verzichten?

Arndt: Die Schlichtung hat die Arbeitgeberseite ins Spiel gebracht. Die BVG hat in der letzten Woche kein neues Angebot vorgebracht – wir haben dann die Verhandlungen gemeinsam für gescheitert erklärt. Die Streiks sind die logische Konsequenz aus dem Verhalten der Arbeitgeber.

taz: Die BVG spricht von einem Angebot von 17,2 Prozent mehr Lohn über zwei Jahre. Gerade im Vergleich zu anderen Tarifverhandlungen, die gerade laufen, klingt das erst einmal nach viel Geld. Warum ist das nicht verhandlungsfähig für Verdi?

Arndt: Das wäre ja nur bis zum Ende der Laufzeit. Wir haben seit Ende 2021 keine Lohnrunde mehr gehabt. Somit mag sich das zwar in Zahlen nach viel anhören, gleicht aber nicht den Reallohnverlust der letzten Jahre aus. Auch im bundesweiten Vergleich würden wir nach den Tarifrunden der anderen Bundesländer wieder deutlich im hinteren Feld liegen.

Arbeitskampf bei der BVG

Schlichtung Wenn sich BVG und Verdi auf ein Verfahren einigen, könnte die Schlichtung im Tarifstreit schon nächste Woche beginnen. Beide Seiten benennen Schlichter:innen, die dann einen Kompromiss erarbeiten. Streiks sind für die Dauer der Schlichtung ausgeschlossen; eine Pflicht, das Ergebnis zu akzeptieren, gibt es aber nicht.

Streik Verdis Ultimatum ist am 21. März abgelaufen. Ab Mittwoch und bis zum 4. April können Mitglieder über einen unbefristeten Streik abstimmen. Nötig ist ein Quorum in der Urabstimmung von mindestens 75 Prozent. Die Warnstreiks am Mittwoch und Donnerstag finden weiterhin statt. Der letzte unbefristete Streik 2008 zog sich über 3 Monate. (wah)

taz: Wie groß ist da noch die Differenz zwischen dem tatsächlichen Aufholbedarf und dem Reallohnverlust?

Arndt: Das vorliegende Angebot ist noch weit weg von unserer Forderung. Wir haben an einigen Punkten schon Offenheit signalisiert. Beim Grundlohn aber noch nicht, weil wir da einfach zu weit auseinanderliegen. Wo man sich am Ende trifft, ist ja Sache der Verhandlungen.

taz: Konkret bietet die BVG eine Steigerung des Monatslohns um 350 Euro innerhalb der kommenden zwei Jahre. Verdi fordert 750 Euro sofort. Das Unternehmen behauptet außerdem, es könne nicht mehr bieten, ohne die eigene Wirtschaftlichkeit zu gefährden. Wie erfolgversprechend ist da ein unbefristeter Streik?

Arndt: Es ist richtig, dass die BVG Schwierigkeiten hat, einen Tarifabschluss zu finanzieren. Aber das Unternehmen würde noch in eine deutlich größere Schieflage kommen, wenn es bei den Gehältern nichts tut. Sobald das Fahrpersonal erst einmal weg ist, ist es viel schwieriger, neue Fahrer zu finden. Und dementsprechend schwierig wird es, die geforderte Verkehrsleistung überhaupt auf die Straße zu bekommen.

taz: Sollte der Senat da in die Bresche springen und Finanzierungszusagen geben? Derzeit sieht es ja eher danach aus, als solle noch mehr an der BVG gespart werden.

Arndt: Der Eigner ist das Land Berlin und trägt damit eine Verantwortung. Die Arbeitsbedingungen müssen gut genug sein, dass auch in Zukunft ausreichend Personal da ist. Da müssen natürlich der Senat und der Vorstand klären, wo das Geld herkommt.

taz: Finanzsenator Stefan Evers (CDU) hat schon vor einigen Wochen gedroht: Sollte der Tarifabschluss zu hoch ausfallen, müsse die BVG ihr Angebot einschränken.

Arndt: Dafür, dass der Finanzsenator immer auf die Tarifautonomie pocht, ist es schon erstaunlich, dass er sich schon in so einer frühen Phase der Verhandlungen eingemischt hat. Das ist ein Spaltungsversuch zwischen der Stadtgesellschaft und den Beschäftigten.

taz: Haben Sie Bedenken, dass die Akzeptanz der Ber­li­ne­r:in­nen für einen unbefristeten Streik zu gering ist?

Arndt: Wir erfahren nach wie vor große Solidarität und Unterstützung aus der Stadtgesellschaft. Die ist nicht merklich abgebrochen an der Stelle. Dass ein Streik nicht allen gefällt, liegt in der Natur der Sache.

taz: Wäre ein unbefristeter Streik mit der Dauersperrung der A 100 noch zu verantworten? Immerhin fallen damit in einigen Stadtteilen Alternativen zum Angebot der BVG weg.

Arndt: Man kann den Beschäftigten nicht sagen, sie sollen auf ihre Grundrechte und bessere Arbeitsbedingungen verzichten, weil sie die Schäden durch marode Infrastruktur, die der Bund und Berlin selbst verursacht haben, jetzt ausbügeln sollen. Das funktioniert so nicht.

taz: Verdi befragt nach jeder Verhandlungsrunde die Beschäftigten auf den Betriebshöfen. Wie ist aktuell das Stimmungsbild?

Arndt: Die Stimmung ist sehr kämpferisch. Wir gehen jetzt in die Urabstimmung und haben keinerlei Zweifel, dass wir das Quorum erreichen.

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2 Kommentare

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  • Was für eine schräge Sicht auf den Tarifabschluss von 2021: Verdi hat damals eine Verkürzung der Arbeitszeit durchgesetzt, deswegen keine Reallohnerhöhung.



    30 Prozent Gehaltserhöhung gibt es nirgends in der Wirtschaft und bei den Menschen in Berlin, die die BVG finanzieren müssen. Das ist knallhartes Ausnutzen der Kontrolle über eine kritische Infrastruktur



    Und: Verdi will nur 12 Monate Laufzeit. Was werden wir dann im nächsten Jahr an "nicht verhandelbaren" Forderungen hören?

  • Kritische Infrastruktur muss besser bezahlt werden. Viel besser! Volle Solidarität von mir!