Verhandlungen zum Paragraf 219a: Steiniger Weg zu straffreien Infos
Zwei Ärztinnen stehen wegen Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen vor Gericht. Von der GroKo ist zu Paragraf 219a noch nichts zu hören.
„Schwangerschaftsabbruch, operativ oder medikamentös mit Mifegyne“ steht auf der Webseite der beiden Ärztinnen. Die Staatsanwaltschaft sieht darin eine nach Paragraf 219 a verbotene „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ und hat Szász und Nicklaus angeklagt. Einschüchtern lassen will Szász sich aber nicht: „Wir kämpfen für einen Freispruch.“
Auch die Gießener Ärztin Kristina Hänel, die aus denselben Gründen bereits im November 2017 zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt wurde, sollte bald wieder vor Gericht stehen. Ihre Berufungsverhandlung am Gießener Landgericht war schon für nächste Woche festgesetzt – doch am Montag hob das Gericht den Termin überraschend auf. Wegen des hohen öffentlichen Interesses sei der Saal zu klein, so die Begründung. Einen neuen Termin gibt es noch nicht.
Hänel fühlt sich im Recht, aber anders als noch im November will sie keinen Freispruch mehr. „Mit dem aktuellen Wortlaut des Paragrafen 219 a ist ein Freispruch eigentlich gar nicht möglich“, sagt Hänel. „Deswegen will ich zum Bundesverfassungsgericht.“
Auslöser einer Debatte
Sie könnte dafür den Weg durch die Instanzen gehen. Aber das würde viel Zeit und Geld kosten. „Wir werden wahrscheinlich das Gericht anregen, das Verfahren auszusetzen und den Fall dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen“, sagt Hänels Anwalt Karlheinz Merkel. „Ich denke, wir haben gute Aussichten, dass Karlsruhe sagt: Zumindest die Ärzte müssen von der Bestrafung ausgenommen werden.“
Hänels Fall hat eine politische und gesellschaftliche Debatte ausgelöst. Um „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche, wie es der Name des Paragrafen suggeriert, geht es dabei nur am Rande. Vielmehr ist die Frage, ob Ärzt*innen überhaupt öffentlich darüber informieren dürfen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen – oder ob ungewollt Schwangere diese Information hinter verschlossenen Türen erhalten sollen, etwa in Beratungsstellen. Hänels Ziel ist klar: „Ich will Rechtssicherheit für Ärztinnen und Ärzte, und ich will Informationsfreiheit für Frauen“, sagt sie.
Kristina Hänel, Ärztin
Angezeigt wurden Szász, Nicklaus und Hänel von denselben beiden Männern: Der eine betreibt eine Webseite namens „Babycaust“, auf der er Abtreibungen mit dem Holocaust gleichsetzt. Der andere erklärte im taz-Interview, das Anzeigen von Ärzt*innen sei „halt so mein Hobby“. Gerade hat er Szász wieder angezeigt – weil sie in einem Interview gesagt hat, dass in ihrer Praxis Abtreibungen durchgeführt werden.
Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland noch immer ein Tabu – und das ist auch gewollt. Paragraf 219 a soll dem Gesetzgeber zufolge „verhindern, dass der Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit als etwas Normales dargestellt und kommerzialisiert wird“.
Die Debatte bewegt etwas
Nora Szász sagt: „Das ist nichts, womit man sich medizinisch profilieren kann.“ Die Folge: Die Zahl der Ärzt*innen, die den Eingriff durchführen, ist gering, und sie sinkt. Gerade mal 1.200 Mediziner*innen sind es nach taz-Recherchen deutschlandweit. Der RBB-Sendung „Kontraste“ zufolge sind das 40 Prozent weniger als 2003.
Doch seit der Debatte über den Paragrafen bewegt sich etwas. Zum Beispiel an der Berliner Charité. Dort organisiert die Gruppe Medical Students for Choice (MSFC) sogenannte Papaya-Workshops. Dabei zeigen Gynäkologinnen ehrenamtlich den Eingriff an den uterusähnlich geformten Früchten und erläutern interessierten Studierenden die verschiedenen Methoden des Abbruchs. Denn das, kritisieren die Studierenden, komme an der Uni kaum vor.
Perspektiven auf Informationen zum Schwangerschaftsabbruch. Interviews des Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V. (AKF) mit Ärztinnen und interessierten Frauen:
Empfohlener externer Inhalt
Das ändert sich nun: „In der aktuellen Revision der Lehrinhalte zum Thema Schwangerschaftsabbruch hat die Charité (…) dem Aspekt der ethischen und rechtlichen Implikationen ein größeres Gewicht als zuvor gegeben“, heißt es aus der Pressestelle der Charité. Das Engagement seitens der Studierenden betrachte man dabei „als zusätzlichen Impulsgeber“. MSFC-Mitgründerin Alicia Baier ist zufrieden – vorerst: „Uns ist wichtig, dass auch die medizinischen Aspekte mehr in den Fokus rücken“, sagt sie.
Rund 30 Verbände fordern mittlerweile die Abschaffung des Paragrafen, darunter die Evangelischen Frauen in Deutschland, die Arbeiterwohlfahrt und der Sozialverband. Er sei „Ausdruck eines haarsträubenden Frauenbildes und gehört ersatzlos gestrichen“, erklärte auch DGB-Vize Elke Hannack. Ende Juni schloss sich der Frauenrat der Forderung an – zu dem Dachverband gehören auch konservative Frauenorganisationen wie etwa die Frauen-Union, die sich im Februar explizit für die Beibehaltung ausgesprochen hatte.
Stille im Bundestag
Ende Mai stellte Berlin, das auch im Bundesrat auf eine Abschaffung des Paragrafen 219 a drängt, als bundesweit zweite Stadt nach Hamburg eine Liste mit Ärztinnen und Ärzten ins Netz, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Bremen und die Region Hannover arbeiten ebenfalls an solchen Listen.
An einem Ort jedoch herrscht auffällige Stille: im Bundestag. Und das, obwohl das Ende des Paragrafen noch Anfang des Jahres fast schon beschlossene Sache war. SPD, Linke und Grüne wollten ihn streichen, die FDP ihn reformieren. Zwar war die Union strikt gegen jede Änderung – doch die parlamentarische Mehrheit war da.
Dann aber stieg die SPD in die Regierungskoalition ein, ihr Gesetzentwurf liegt seitdem auf Eis. Die Bundeskanzlerin versprach einen Regierungsvorschlag. An dem arbeiten nun Justizministerin Katarina Barley, Frauenministerin Franziska Giffey (beide SPD), Gesundheitsminister Jens Spahn und Kanzleramtschef Helge Braun (beide CDU). Das Thema indes scheint in der Prioritätenliste nicht besonders weit oben zu stehen, schon gar nicht vor der ins Haus stehenden Bayernwahl.
Die SPD hatte der Union seinerzeit ein Ultimatum gesetzt: Eine Lösung bis zum Herbst, sonst wolle man mit den „reformwilligen“ Fraktionen zusammenarbeiten. „Wir erwarten im Oktober den von Merkel zugesagten Vorschlag“, bekräftigt nun Johannes Fechner, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Mindestens müsse der Tatbestand derart reduziert werden, dass nur noch reißerische Werbung unter Strafe steht, sagt Fechner. „Noch besser wäre es, Paragraf 219 a ganz zu streichen.“
SPD und FDP auf Kompromisskurs
Die SPD ist auf Kompromisskurs – genau wie die FDP. Linke und Grüne allerdings widersprechen: „Aufklärung und Informationen zum Thema Schwangerschaftsabbruch zu kriminalisieren, ist nicht zeitgemäß“, sagt Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch.
Und auch Ulle Schauws von den Grünen sagt: „Wir nehmen die SPD beim Wort und erwarten, dass sie nach der Sommerpause den Weg für eine Abstimmung ohne Koalitionszwang freimacht.“ Die Union will sich aktuell nicht zu Paragraf 219 a äußern. Abgeordnete haben aber immer wieder betont, eine Streichung keinesfalls mittragen zu wollen.
Kristina Hänel hat die Hoffnung auf den parlamentarischen Prozess fast schon aufgegeben. Sie fürchtet, dass ein Kompromiss die Lage vielleicht sogar schlechter macht, und drängt auf eine Abschaffung oder zumindest gravierende Änderung. „Wenn die Politik das nicht schafft, dann soll sie bitte bloß nicht rumpfuschen und mich den juristischen Weg gehen lassen“, sagt die Ärztin.
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