piwik no script img

Verhaftungswelle in der TürkeiEin Machtkampf zwischen Islamisten

37 regierungsnahe Personen werden verhaftet, darunter drei Ministersöhne. Es geht um Korruption – und Erdogans Streit mit der Gülen-Gemeinde.

Selbst aus dem berühmten Topkapi-Palast sollen wertvolle Ausstellungsstücke verscherbelt worden sein. Bild: imago/Arco Images

ISTANBUL taz | Am Dienstagmorgen um fünf Uhr früh ist in Istanbul eine Nachrichtenbombe geplatzt, die die Regierung und die herrschende AK-Partei bis ins Mark erschüttern wird. In einer von Staatsanwaltschaft und Sonderpolizei sorgfältig vorbereiteten und geheim gehaltenen Aktion wurden in Istanbul und Ankara insgesamt 37 Personen festgenommen, die allesamt in den angeblich größten Korruptionsskandal seit Amtsantritt von Ministerpräsident Tayyip Erdogan vor 10 Jahren verwickelt sein sollen.

Die Namen der Verhafteten lesen sich wie ein Who’s who der mit der Regierung eng verbundenen Baulöwen des Landes. Außerdem wurden drei Söhne amtierender Minister verhaftet.

Offiziell hatten sich bis Dienstagnachmittag weder die Staatsanwaltschaft noch die Regierung geäußert. Die Nachrichten, die aus dem Umfeld der Ermittlungen heraussickerten, haben es allerdings in sich.

Rund eine Milliarde Dollar sollen bei Bauvorhaben in Istanbul verschoben worden sein. Verwickelt darin sei die staatliche Volksbank, deren Manager ebenfalls verhaftet wurden, und der AKP-Bezirksbürgermeister des Istanbuler Stadtviertels Fatih, in dessen Zuständigkeit die gesamte Altstadt und die wichtigsten Museen des Landes liegen. Angeblich wurden auch historische Artefakte aus dem alten Sultanspalast Topkapi verschoben.

Der eigentliche Knüller an der ganzen Geschichte ist aber nicht die Korruptionsaffäre als solche, sondern der sich dahinter verbergende Machtkampf zwischen Erdogan und der einflussreichsten islamischen Sekte der Türkei, der Gülen-Gemeinde.

Baris Guler, der Sohn des Innenministers wird abgeführt. Bild: dpa

Jahrelang hat die Gülen-Gemeinde, die Millionen von Anhängern hat, hunderte Schulen in der Türkei, Europa, Asien, den USA und Afrika betreibt und das größte Medienkonglomerat in der Türkei kontrolliert, die AKP bei ihrem Aufstieg im letzten Jahrzehnt unterstützt. Mit Hilfe der Gülen-Anhänger in Justiz und Polizei war es der AKP gelungen, das Militär zu entmachten, bis es dann nach der Wahl 2011 zum Konflikt zwischen der AKP und der Gülen-Gemeinde kam.

Den Anfang machte eine ebenfalls spektakuläre Justizaktion im Februar 2012. Sonderstaatsanwälte der Antiterrorabteilung, die der Gülen-Gemeinde nahe stehen, wollten Geheimdienstchef Hakan Fidan, der im Auftrag von Erdogan mit PKK-Chef Abdullah Öcalan verhandelte, wegen Kollaboration mit Terroristen festnehmen. Offenbar gab und gibt es zwischen Regierung und Gülen-Gemeinde eine heftige Auseinandersetzung über den Umgang mit der kurdischen Frage.

Gülen-Bewegung schlägt zurück

Erdogan intervenierte, erklärte den Geheimdienstchef für immun und begann umgehend damit, Gülen nahe stehende Personen aus Staatsanwaltschaft und Polizeiführung zu versetzen oder ganz abzuschieben. In einem weiteren Schritt sollte dann der Gülen Bewegung ihre wichtigste Quelle für finanziellen und menschlichen Nachschub abgeschnitten werden. Erdogan kündigte an, dass ein Teil der Gülen-Schulen geschlossen wird.

Jetzt hat die Gülen-Bewegung zurückgeschlagen. Nicht zufällig erschienen die ersten Nachrichten über die Operation in der Gülen-Zeitung Zaman. Der leitende Staatsanwalt der Operation, Zekeria Öz, ist ein Gülen-Mann, der im Ergenekon-Verfahren gegen das Militär die meisten Generäle verhaften ließ.

In einer ersten Reaktion drohte Ministerpräsident Tayyip Erdogan den Gülen-Leuten bei einem Auftritt in der Provinz: „Wer in schmutzigen Bündnissen mit dunklen Mächten eine Operation durchführen will, dem werden wir das nicht erlauben. Die Türkei ist keine Bananenrepublik.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • T
    Tanna

    Hallo Gastist,

     

    ich bin der Tanna und schreib Dir mal was! Um deine letzte Frage zu beantworten: Nein, das reicht nicht.

     

    Bitte, nicht falsch verstehen. Ich will nichts Böses! Auch wenn es den Anschein macht, aber: anscheinend kennst Du Dich sehr gut aus in den

    Begriffsdefinitionen rund um den Islam. Das möchte ich gleich mal ausnutzen und mich bei Dir schlau machen:

     

    1. bitte nenne mir doch mal den Begriff, des christlichen Fanatismus. Steckt darin auch die Vorsilbe der Religionsbezeichnung? Wenn nicht, warum nicht? Warum sagt man nicht Fundamentalist und gut ist. Warum unbedingt Islamist?

     

    Gibt es unter den Juden keine Fanatiker? Heissen die dann Judisten oder wie?

     

    2. Kennst Du den Islam so gut, als dass Du urteilen könntest, dass es in allen Punkten so ist, wie Du es niedergeschrieben hast?

     

    3. Kannst Du deinen letzten Punkt auch auf die anderen Reliogionen zuordnen? (Potential zu Fanatismus und Gewaltbereitschaft). Etwa zu den Buddhisten?

     

    3. Hast Du eine Ahnung, was gerade die Buddhisten mit den Moslems in Myanmar machen? Bitte informieren. Dann den letzten Punkt überdenken.

     

    Ich selbst bin Moslem. Ich lebe nach den Vorschriften des Islam und bin perfekt in die deutsche Gesellschaft integriert (man muss ja kein Alkohol trinken, um integriert zu sein, oder?)

    Ich selbst habe und hatte noch nie das Potential zur Gewaltbereitschaft.

     

    Deshalb ist es nicht ganz fair, wenn man mit Begriffen um sich wirft, die nicht zutreffend sind.

    • G
      Gastist
      @Tanna:

      Hallo Tanna,

       

      ich verstehe das Problem nicht. Die deutsche Grammatik kennt nun mal –ismus und –ist als Suffixe, die verschiedene Bedeutungen haben. Bei Buddhismus/Buddhist verweisen die Suffixe auf Religion/Lehrtradition, bei Islamismus/Islamist auf ein politisches Konzept. So funktioniert Sprache, die sich historisch auflädt und nicht logisch aufbaut, nun einmal. Und der Begriff Islamismus ist hinreichend definiert. Es gibt Islamismus und es gibt - definitionsgemäß - Islamisten. Niemand behauptet, Sie, Tanna, seien so ein Mensch. Niemand behauptet, alle Moslems sind Islamisten. Aber diejenigen, die die Religion des Islam für politische, undemokratische Motive instrumentalisieren, SIND Islamisten. So verstehe ich zumindest den Artikel.

       

      Mit der Gewissheit, dass es niemals reichen wird – frohe Weihnachten!

      • T
        tim
        @Gastist:

        es ist nun mal bezeichnend, dass der begriff derart inflationär verwendet wird und jeder, der islamische werte vertitt und fest in der religion verwurzelt ist, so er denn politisch aktiv wird - unabhängig davon, ob eine theokratische ordnung angestrebt wird - als islamist bezeichnet wird. aber schöne erklärung...

  • T
    Tanna

    Hallo Herr Gottschlich. Ich habe da ein Problem mit den politischen Begrifflichkeiten. Könnten Sie mich bitte mal aufklären. Am Besten pro Tag ein Begriff. Wie wärs, wenn wir huete mit dem Begriff "islamist" anfangen? Was ist das? Ist das ein Begriff, den Leute wie Sie es sich ausgedacht haben, um eine bestimmte Gruppierung, wann immer es in den Kram passt, ins schlechte Licht zu rücken?

    Wie auch in diesem Artikel?

    Gibt es auch ein Paar Wörter in euren Schubläden wie z Bsp. Christist, Israelist?

    Ich kann mich meinem Vorredner anschliessen. Bitte aufpassen mit den Begriffen.

    • G
      Gastist
      @Tanna:

      Hallo Tanna,

      ich bin zwar nicht Herr Gottschlich, schreib aber trotzdem mal was Begriffsdefinierendes:

      Islamisten sind Anhänger des islamischen Fundamentalismus, vulgo Islamismus. Islamismus hat folgende Kennzeichen:

      - Absolutsetzung des Islam als Lebens- und Staatsordnung

      - Gottes- statt Volkssouveränität als Legitimationsbasis

      - der Wunsch nach ganzheitlicher Durchdringung und Steuerung der Gesellschaft

      - homogene und identitäre Sozialordnung im Namen des Islam

      - Frontstellung gegen den demokratischen Verfassungsstaat

      - Potential zu Fanatismus und Gewaltbereitschaft.

       

      Reicht das für heute?

  • P.S.:

    Razzia der türkischen Polizei sorgt für Schockwelle an der Börse

     

    http://www.finanzen.net/nachricht/aktien/Razzia-der-tuerkischen-Polizei-sorgt-fuer-Schockwelle-an-der-Boerse-2974883

  • Danke für den informativen Artikel.

  • D
    Deniz Ö.

    Ein Machtkampf von "Islamisten".... Ich muss mich tagtäglich mit diesem Vorurteil auseinandersetzen, kaum offenbare ich meine Nationalität und meine Religion werde ich mit großen Augen angesehen... nein ich bin kein Islamist und wie leichtsinnig einige Redakteure mi dem Begriff umgehen finde ich auch sehr unangebracht (aber so ein Titel verkauft sich halt besser und bestätigt die Vorurteile einiger Leser gegenüber dem Islam, der ja ach so gewaltverherrlichend ist) . In wiefern hat sich dieser Redakteur eigentlich mit der Güllen -Bewegung auseinandergesetzt und kann behaupten das das Islamisten sind. Ich persönlich vergleiche die Güllen Bewegung mit humanitären und christlich geprägten Wohlfahrtsverbänden die ihr eigenes Leitbild verfolgen, wenn jemand etwas anderes behauptet muss mir auch tatkräftige Argumente bieten, diese bitte belegen und nicht mit Verschwörungstheorien versuchen zu untermauern. Ich gehöre keiner muslimischen Gemeinde oder des gleichen an nur finde ich man geht mit einigen Themen zu leicht-fältig um und steckt alle Menschen die einer Bewegung angehören direkt in eine Schublade(Islamiten/Extremisten/Sekte etc.) was ich echt nicht von der taz erwartet hätte. Mich würde mal ein objektiver Bericht über diese Bewegung interessieren am besten mal einige Menschen in unmittelbarer Nähe Interviewen (diese Bewegung ist in Deutschland echt überall vertreten und ich habe bis heute nichts negatives "extremistisches" von dieser Gruppierung gehört) Ein guter Reporter muss nur die Augen und Ohren offen halten und kann eventuell durch dieses Thema ein echt interessanten Artikel der in vielen Medien Anklang finden würde verfassen ....

    • G
      Gast
      @Deniz Ö.:

      Das Buch "Die Armee des Imam" von Ahmet Sik können Sie doch selbst ergoogeln. Die Gülen-Bewegung setzt sich für eine Aufhebung der Trennung von Staat und Religion ein, predigt die Scharia und hält im Kampf getötete Dschihadisten für Märtyrer. Was müsste denn Ihrer Meinung nach noch passieren, damit Gülen zu Recht als Islamist bezeichnet wird? Aber vielleicht sind das alles auch einfach Grundpfeiler der Religion des Islam.

      • D
        DENIZ
        @Gast:

        An Herrn Gast... Schonmal einen Menschen aus dieser Bewegung in natura gesehen oder mit ihm unterhalten ich vermute mal nicht... Ich ja... Bücher kann ich auch verfassen aber um etwas wissenschaftlich darzulegen muss ich qualitativ Forschen und genau das ist einer meiner Kritikpunkte Literatur gibt es viel aber wer sagt mir das was darin steht ist auch wahr.. Was halten Sie mal davon die Menschen zu befragen die aus dieser Bewegung kommen? Das gleiche Prinzip wie z.B. Hinter einer Volksgruppe hinterher zu ziehen bis man einen selber kennenlernt und ihm dann sagt : Hey du bist anders als die Anderen