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Vergewaltigungsprozess in FreiburgIsolation, Drogen, Flucht, Mord

Der Prozess gegen Hussein K., den Flüchtling, der eine Studentin vergewaltigt und ermordet haben soll, beginnt. Es bleibt teilweise bei Vermutungen.

Mit Fußfesseln ins Gericht: Hussein K. Foto: dpa

Freiburg taz | Es war ein Verbrechen, das nicht nur Freiburg bewegt. Am Dienstagmorgen, schon eine Stunde vor Prozessbeginn zieht sich eine lange Schlange von Zuschauern, Journalisten und Fernsehteams durch die Fußgängerzone. Eine Straßenecke weiter wird ein weiteres Mal Politik mit dem Tod von Maria L. gemacht. Dort protestiert die AfD, und die Linkspartei stellt sich ihnen entgegen. Johlen und Pfiffe sind noch im Gerichtssaal zu hören.

Angeklagt ist Hussein K. aus Afghanistan, der 2015 als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Deutschland gekommen war. Er soll Maria L. in der Nacht zum 16. Oktober 2016 misshandelt, vergewaltigt und und dann bewusstlos in das Flüsschen Dreisam gelegt haben. Dort ertrank die junge Frau.

Der Tod der Studentin hat ganz Deutschland bewegt. Dass ein junger Mann aus Afghanistan als mutmaßlicher Täter ermittelt wurde, galt für viele als Beweis dafür, dass die Flüchtlingspolitik außer Kontrolle geraten war.

Der Weg von Hussein K. aus Afghanistan zeigt jedoch eher, wie überfordert die Dublin-Staaten bereits 2013 mit der wachsenden Zahl an Flüchtlingen waren. Damals kam Hussein K. als Flüchtling nach Griechenland. Vor dem Freiburger Gericht berichtet er, wie er in überfüllten Flüchtlingscamps abgewiesen wird. Ohne Geld und ohne Arbeit muss er sich selbst mit Betteln und Diebstahl durchschlagen. Auf Korfu begeht er sein erstes Gewaltverbrechen. Er stürzt eine junge Frau eine metertiefe Klippe hinab. Er wird zu 10 Jahren Haft verurteilt, doch da die griechischen Gefängnisse überfüllt sind, wird er 2015 im Rahmen einer Amnestie vorzeitig entlassen. Über die Balkanroute reist Hussein K. nach Deutschland.

Doch die deutschen Behörden konnten 2015 nicht wissen, wen sie da vor sich hatten. Hussein K. verbirgt sein wahres Alter, weil er weiß, dass minderjährige Flüchtlinge in Deutschland Vergünstigungen haben. Aber vor allem hatten die griechischen Behörden seine Fingerabdrücke nicht in das europäische Datenaustauschsystem eingespeist.

Drogen spielen früh eine Rolle

Hussein K. tritt in Jeans und einem weinroten Sweatshirt vor das Gericht. Er will aussagen, ein Dolmetscher übersetzt. Nur über seine Erlebnisse in der Koranschule in Afghanistan und seine sexuelle Entwicklung soll die Öffentlichkeit nichts erfahren. Für diesen Teil seiner Aussage und auch am Ende des Prozesses wird die Öffentlichkeit ausgeschlossen.

So bleibt es bei Vermutungen über Gewalterfahrungen und sexuellen Missbrauch in Afghanistan. Die vorsitzende Richterin Schenk erwähnt nur, dass Hussein K. gegenüber dem psychologischen Sachverständigen, der ihn untersuchte, von seiner Zeit „in der Hand des Mullahs“ gesprochen hat.

Bei einem Teil des Publikums sorgt das für hörbare Enttäuschung. Auch, dass das Alter des Angeklagten weiter unklar bleibt, führt zu teils höhnischem Gelächter. Ist Hussein K. noch 19 Jahre alt oder schon 20? Das klärt Hussein K. nicht auf, es ist aber bedeutsam, wenn es um das Strafmaß geht.

Trotzdem erfährt man viel über eine ärmliche Jugend in Afghanistan mit drei Geschwistern und das Leben eines Außenseiters. „Ich habe keine Freunde gehabt“, sagt Hussein K. Drogen spielen in seinem Leben früh eine Rolle. Schon als Kind raucht er das erste Mal Haschisch, als 14-Jähriger macht er erste Erfahrungen mit Heroin. Als der Vater, Soldat in der afghanischen Armee im Kampf gegen die Taliban fällt, bringt Hussein K. die Familie mit Müllsammeln durch. Dann gehen sie in den Iran, wo sie beim ältesten Bruder leben. Hussein K. nimmt schwere Schmerzmittel. Die Familie schickt ihn 2013 nach Europa, er sagt: wegen seiner Medikamentenabhängigkeit.

In Freiburg kommt er schließlich in die Obhut einer deutsch-afghanischen Pflegefamilie. Er geht zwar zur Schule, aber noch immer dreht sich viel um Drogen und Alkohol. Für Hussein K. ist Deutschland trotz der Pflegefamilie und Erfolgen in der Schule eine Enttäuschung: „Wenn man von außen auf Deutschland schaut, sieht es aus, als könnte man alles bekommen. Aber hier merkt man, dass es gar keinen großen Unterschied gibt.“

Der Prozess wird fortgesetzt.

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5 Kommentare

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  • Wie soll man diesen Artikel verstehen?

     

    Es wirkt fast so, als solle Mitleid mit dem Täter aufgerufen worden sein. Sollen die gemutmaßte Kindheitserfahrungen seine Taten relativieren? Man soll nicht vergessen, dass wir es hier mit einem Serienmörder zu tun haben.

    • Benno Stieber , Autor des Artikels, taz-Korrespondent BaWü
      @korniger:

      Nein, es geht nicht um Mitleid. Wie in jedem Strafprozess geht es darum, Motive zu erforschen und Schuld nach zu weisen. Das macht das Freiburger Gericht vorbildlich und sehr gewissenhaft.

    • @korniger:

      Auch mit einem "Serienmörder" kann man Mitleid haben. Die Gesellschaft hat sich da allerdings sehr gewandelt. Eine Welle von Mitleid wie vor Jahrzehnten um Jürgen Bartsch wäre heute nicht mehr vorstellbar.

  • "Für Hussein K. ist Deutschland trotz der Pflegefamilie und Erfolgen in der Schule eine Enttäuschung: „Wenn man von außen auf Deutschland schaut, sieht es aus, als könnte man alles bekommen. Aber hier merkt man, dass es gar keinen großen Unterschied gibt.“'

     

    Dysfunktionale soziale Gefüge, voller Doppelmoral und (sexualisierter) Gewalt gibt es tatsächlich auf der ganzen Welt. Ich glaube nicht, dass sich die Koranschule, die dieser junge Mörder besucht hat, grundsätzlich von der Domspatzenvorschule Etterzhausen oder dem Klosterinternat Ettal unterschied. Im vorliegenden Fall hat der Täter zu mindestens angedeutet, wo er die Kopplung von Sexualität, Hasst und Gewalt erlernt hat. Bei anderen Sexualmorden bleibt der Zusammenhang oft im Dunklen, wird die Tat dem "Trieb" zugeschrieben und dabei impliziert, dass dieser grundsätzlich bei jedem Mann den Hang zu sexueller Gewalt einschließt. Eine verbreitete Vorannahme, die meiner Ansicht nach dringend auf breiter Basis reflektiert werden sollte.

    Ein sexuell missbrauchter Junge wird durch die Tat in doppelter Hinsicht entwertet. Einmal indem er Opfer sexueller Gewalt wird, dann, weil er zum Objekt männlicher Sexualität wird. Einer destruktiven Energie, der eine dumpfe Triebhaftigkeit zugeschrieben wird. "Sexualabladestelle": eine Rolle, die nicht nur in traditionellen Gesellschaften für Mädchen und Frauen vorgesehen ist. Dass sie die Sexualität des Mannes aushalten müssen, gilt als Beweis der weiblichen Unterlegenheit und Minderwertigkeit. Ein missbrauchter Junge wird damit von seinem Täter quasi zum "Mädchen" gemacht. Eine Degradierung, die wohl die meisten Jungen auf der Welt schwer verkraften würden.

     

    Was auch immer aus Hussein K. wird: er hat eine äußerst schlechte Prognose. Wie fast alle Männer, die erlebte Gewalt gegen andere richten. In dem Moment, wo sie es tun, sind sie als Mensch bereits endgültig gescheitert.

    • @Angelika Oetken:

      So tief greifend und nachvollziehbar dargestellt ich ihren Kommentar finde: Ich weiss nicht, wie statistische "Weitergabequote" der Gewalt von misshandelten Männern ist. So verständlich der Wechsel vom Opfererleben zum Ausüben eigener Taten ansatzweise ist - die Entscheidung liegt beim Täter und ist zwar wahrscheinlich und nicht absolut zwangsläufig. Und zwischen einem Missbrauch und Gewaltausübung bis zum Töten und Inkaufnehmen eines Todes ist nochmal ein Schritt, der wohl in einer Sozialisation nicht mehr revidierbar ist.