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Vergewaltigungsfall bei Thüringer PolizeiProzess gegen Polizisten vertagt

Zwei Beamte sollen während eines Einsatzes eine Frau vergewaltigt haben. Wegen Corona verzögert sich der Prozess – kommen die Beschuldigten frei?

Das Landgericht Erfurt – hier sollte der Prozess am Dienstag starten Foto: arifoto UG/dpa

LEIPZIG taz | Es ist eine ganz normale Verkehrskontrolle, in die Nikola G.* und ihr Lebensgefährte am 28. September 2019 geraten. In der Nähe von Gotha, einer thüringischen Kleinstadt westlich von Erfurt, halten Polizisten die gebürtige Polin und ihren Begleiter auf ihrem Heimweg im Auto an, um ihre Identität festzustellen. Doch etwas stimmt nicht: Nikola G. hat einen gefälschten Pass. Da sie nur gebrochen Deutsch spricht, kann sie sich den Beamten nicht erklären.

Die zwei jungen Polizisten der Polizeiinspektion Gotha entscheiden sich, das Paar in Gewahrsam zu nehmen und mit ihnen zu deren gemeinsamer Wohnung im nahe gelegenen Dorf Marlishausen im Wipfratal zu fahren. Der Beamte Maximilian O. ist zu diesem Zeitpunkt 23 Jahre alt, Gurjan J. 27. Beide sind erst wenige Jahre im Polizeidienst.

Heute sitzen die beiden Männer in Untersuchungshaft. Der Vorwurf: gemeinschaftlicher sexueller Missbrauch einer behördlich Verwahrten, sexueller Missbrauch unter Ausnutzung einer Amtsstellung und gemeinschaftliche Vergewaltigung im besonders schweren Fall.

Von der Staatsanwaltschaft Erfurt heißt es, die Beamten hätten die Wohnung von Nikola G. durchsuchen wollen, um einen Hinweis auf ihre Identität zu finden. Ihr Partner sei dabei von einem weiteren Polizisten im Streifenwagen festgehalten worden. Nikola G. und die beiden Beamten seien daher lediglich zu dritt in der Wohnung gewesen.

Einer der Polizisten filmt die Tat

Dort sollen Maximilian O. und Gurjan J. die 33-jährige Polin nacheinander vergewaltigt haben. Sie sollen gegen den Willen der Geschädigten “ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss“ vollzogen haben. So steht es in einem Schreiben der Staatsanwaltschaft. Beide Polizisten hätten zwar ihre Waffengürtel und schusssicheren Westen abgelegt, bei der Tat aber ihre Dienstwaffen bei sich geführt.

Am nächsten Tag erstattet Nikola G. Anzeige bei der Polizei. Staatsanwaltschaft und interne Ermittler der Landespolizeidirektion Thüringen werden eingeschaltet. Anfang Oktober, nur wenige Tage nach der Tat, rücken Beamte aus, um ihre beschuldigten Kollegen festzunehmen. Einer der beiden versucht dabei zu fliehen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun gegen einen weiteren Polizisten: Er soll Maximilian O. und Gurjan J. gewarnt haben.

Im Laufe der Ermittlungen werden immer mehr Details bekannt. So soll Maximilian O. die Tat mit seinem Handy gefilmt und vor dem Kollegen, der im Streifenwagen mit Nikola G.s Lebensgefährten saß, damit geprahlt haben. Anschließend soll er die SIM-Karte entfernt und das Handy in einen Bach geworfen haben. Wie der Spiegel berichtet, behauptet dieser jedoch, die Frau auf dem Video nicht erkannt zu haben. Die Ermittlungen gegen ihn hat die Staatsanwaltschaft eingestellt.

Das Handy von Maximilian O. können Ermittler später bergen. Staatsanwalt Hannes Grünseisen dementiert jedoch, dass die gelöschten Videos wiederhergestellt werden konnten. Man wisse demnach nicht, ob tatsächlich ein Video gemacht wurde.

Den Beschuldigten droht bis zu 15 Jahre Haft

Die Beschuldigten geben zu, Geschlechtsverkehr mit Nikola G. gehabt zu haben – bestreiten jedoch eine Vergewaltigung. Sie behaupten, Nikola G. hätte den Sex initiiert und verweisen auf ihre Tätigkeit als Sexarbeiterin. Schon während der ersten Kontrolle hätte sie demnach ihre Brust entblößt und ihnen in den Schritt gefasst. Sie soll gehofft haben, die Polizisten würden sie gehen lassen, wenn sie ihnen sexuell zu Diensten stünde.

An diesem Dienstag sollte der Prozess gegen Maximilian O. und Gurjan J. am Landgericht Erfurt beginnen. Doch die Verhandlung ist wegen der Corona-Pandemie verschoben. In wenigen Tagen läuft indes die gesetzlich festgelegte sechsmonatige Frist ab, laut der Personen ohne Prozess in Untersuchungshaft gehalten werden dürfen.

Kommen die mutmaßlichen Täter also bald auf freien Fuß? Beide sind nicht vorbestraft. Einer der beiden hat bereits selbstständig Haftüberprüfung beantragt. Udo Tietjen, Richter am Landgericht Erfurt, sagte der taz, man müsse das Programm derzeit “auf das Allernötigste zurückfahren“ – was das sei, werde im Einzelfall entschieden. Neuer Termin für den Prozessauftakt ist der 5. Mai – sofern der Justizapparat bis dahin wieder normal läuft. Den beiden Polizisten droht eine Haftstrafe zwischen drei und fünfzehn Jahren. Nikola G. tritt als Nebenklägerin auf.

Die Akte soll nun dem Oberlandesgericht Thüringen zur Haftprüfung vorgelegt werden. Richter Tietjen sagt, Corona könne eventuell als Grund zur Verschiebung des Prozessbeginns akzeptiert werden. Er hoffe, dass die Richter die besonderen Umstände berücksichtigen. Eine klare Regelung gibt es dafür jedoch nicht. So bleibt bis zur Prüfung unklar, ob die beiden Beschuldigten schon bald auf freien Fuß kommen.

*Name geändert

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2 Kommentare

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  • "Der Sitzungsbetrieb wird nunmehr für alle bis zum 30.04.2020 terminierten Verhandlungen (Hauptverhandlungen, mündliche Verhandlungen, Erörterungstermine, Anhörungstermine usw.) weitgehend ausgesetzt. Nur in den Fällen, die eine nicht aufschiebbare richterliche Handlung erfordern (beispielsweise in Haftsachen oder Unterbringungen, einstweiligen Anordnungen, aber auch in Gewaltschutzangelegenheiten oder in Fällen einer Kindeswohlgefährdung), ist eine Aufgabenerledigung sicher gewährleistet."

    Quelle: www.thueringen.de/..._erfurt/index.aspx

    Demnach sollte die Verhandlung doch eingentlich stattfinden, ist sowas nicht eine Gewaltschutzangelegenheit?

  • 9G
    99140 (Profil gelöscht)

    Angesichts der nun zahlreich in die Öffentlich dringenden Verfehlungen und Straftaten durch Polizeibeamte und die scheinbar unabdingbr dazugehörende Verschleierung durch die Polizeien, wäre es ratsam diesen Prozess nicht platzen zu lassen.



    In der Bevölkerung rumort es bereits, angesichts der offenen Verhöhnung des Rechtsstaates durch die Polizeien und Staatsanwaltschaften, in den Fällen in denen gegen Polizistinnen ermittelt wird.