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Vergebt uns unsere Schuld

■ Goldene Zeiten für die Inkassobranche: Durch üppige Provisionen verdienen viele der Unternehmen "sehr gutes Geld". Nach Ansicht der Geldeintreiber schädigten nur die ständigen Veröffentlichungen das Image der Bra

Die Pleitewelle in Deutschland rollt weiter. Nach 22.344 Unternehmens-Insolvenzen 1995 und 25.530 im vergangenen Jahr werden für 1997 rund 28.500 Konkurse prognostiziert. Dazu ächzen rund zwei Millionen private Haushalte unter der Schuldenlast – allein in den neuen Bundesländern gelten 650.000 Privathaushalte als überschuldet. Gleichzeitig sinkt die Zahlungsmoral auf allen Seiten. Nicht nur private Konsumenten, Freiberufler und Handwerker, sondern auch Großunternehmen, Ämter und Behörden lassen sich Zeit bei der Bezahlung ihrer Rechnungen.

Goldene Zeiten also für die professionellen Schuldeneintreiber der deutschen Inkassobranche. Rund 550 Unternehmen sind in diesem traditionsreichen Wirtschaftszweig tätig, mehr als 350 sind im Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen zusammengeschlossen. Von Transparenz bei Angaben zu Umsatz und Ertrag halten die Geldeintreiber gar nichts. Verbandsgeschäftsführer Carsten Ohle aus Hamburg bittet um Verständnis, denn das Image der Branche sei noch immer schlecht und durch Veröffentlichungen in den letzten Jahren geschädigt. Inkassounternehmen, die ihre Bezahlung mit dem Auftraggeber frei vereinbaren können, lassen sich bei der Wahl ihrer Mittel einiges einfallen. In regelmäßigen Abständen wird von schlagkräftigen Schuldeneintreibern berichtet, die ihren Geldforderungen handgreiflich Nachdruck verleihen. Oder von schwarzen Männern, die im Auftrag eines Inkassodienstes Schuldner auf Schritt und Tritt verfolgen. Denn die üppigen Erfolgsprovisionen – bei der nachgerichtlichen Forderungseinziehung bis zu 50 Prozent des eingenommenen Betrages – lassen viele der Unternehmen, so Verbandsgeschäftsführer Ohle, „sehr gutes Geld“ verdienen. Für Forderungen, die bei den Gläubigern längst abgeschrieben sind, zahlen clevere Inkassounternehmen häufig nur drei bis fünf Prozent des Wertes – und können dann die eingetriebene Summe ganz für sich behalten. Mehr als 25 Milliarden Mark alter Forderungen schieben die Geldeintreiber vor sich her, Jahr für Jahr werden rund sieben Milliarden Mark schon verloren geglaubte Gelder bei säumigen Zahlern kassiert. Insgesamt wird sich die Branche in den kommenden Jahren weiter glänzend entwickeln. Dazu trägt sicherlich bei, daß eine wachsende Zahl von Unternehmen auf die eigene Mahnabteilung verzichten und den Forderungseinzug „outsourcen“, also Externe damit beauftragen. Der Bundesverband verspricht Interessenten vielsagend: „Die vorgerichtlichen Erfolgsquoten der Inkassobranche liegen bei über 50 Prozent. Das ist nicht zuletzt auf psychologische Kenntnisse zurückzuführen, wie man Schuldner auf angemessene Art und Weise zum Zahlen bewegt.“

Nach Briefen, Telefonaten und Hausbesuchen bleibt allerdings auch den Eintreibungsprofis nichts anderes übrig, als den gerichtlichen Weg einzuschlagen – und der kann dauern. Auch wenn ein vollstreckbarer Titel vorliegt, muß der zuständige Gerichtsvollzieher erst einmal Zeit haben, um den Schuldner aufzusuchen. Ende des Jahres 1996 lagen noch 70.000 unbearbeitete Vollstreckungstitel vor. Gerade für neugegründete junge Unternehmen, die nur über eine geringe finanzielle Substanz verfügen, droht schnell die Gefahr eines Engpasses. Wenn bei einem Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 720.000 Mark die Kunden im Durchschnitt erst nach sechs Wochen bezahlen, wird dauerhaft ein Kapital von 84.000 Mark gebunden. Und wenn dieses nicht aus Eigenmitteln finanziert werden kann, errechnet sich eine Fremdkapitalbelastung von rund 10.000 Mark im Jahr. Bei Forderungsausfällen ist die Rechnung noch dramatischer: Bei einer Umsatzrendite von zwei bis drei Prozent muß ein Unternehmen schon den 30- bis 50fachen Umsatz erzielen, um diesen Ausfall auszugleichen.

Den Gesamtschaden für die deutsche Volkswirtschaft infolge der Pleitewelle beziffert der Bundesverband der Inkassounternehmen auf 62 Milliarden Mark. Diese Kosten werden auf indirektem Wege den Verbrauchern wieder in Rechnung gestellt. Ulf Giebel, Präsident des Inkasso-Bundesverbandes: „Kollegen in den USA haben ermittelt, daß dort jeder Vierpersonenhaushalt pro Jahr umgerechnet 1.800 Mark mehr als nötig bezahlt – für die Schulden anderer, da die Anbieter ihre Forderungsausfälle mit höheren Preisen ausgleichen.“ taz

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