Vergangenheitsbewältigung: „Es war ein Schock“
Jennifer Teege entdeckte vor wenigen Jahren, dass sie Enkelin des berüchtigten KZ-Kommandanten Amon Göth ist. Sie hat darüber ein Buch geschrieben.
taz: Mit 38 Jahren fanden Sie in der Bücherei zufällig ein Buch über Ihre leibliche Mutter Monika Göth und Ihren Großvater, den KZ-Kommandanten Amon Göth. War das ein Schock?
Jennifer Teege: Das war der Initialschock, überhaupt ein Buch zu finden, eine Biographie über meine Mutter. Auf einmal so viel Wissen über die Familie. Durch das Aufwachsen im Kinderheim und die Adoption hatte ich ja ganz viele Lücken. Mit dem Buch hatte ich einen Schlüssel, der mir Fragen beantworten konnte. Das war sehr, sehr wichtig für mich.
Was wussten Sie bis dahin über Ihren Großvater, der auch „Schlächter von Plaszów“ genannt wurde?
Ich hatte den Film „Schindlers Liste“ gesehen. Ich hatte ein grobes Bild. Aber dass das mein Großvater ist, habe ich erst richtig verstanden, als ich das Buch von A bis Z gelesen hatte. Für mich sind das zwei Dinge: Es war sehr schwierig, die Tatsache zu verarbeiten, diesen Großvater zu haben. Aber erstmal war es noch viel überraschender, dass es dieses Buch über meine Mutter gibt, und ich weiß nichts davon.
Als Sie begriffen, wer Amon Göth war, sind Sie erstmal in ein tiefes Loch gefallen. Und dann?
Es waren viele kleine Schritte. Nach der Phase der Untätigkeit habe ich mit Hilfe einer Therapie angefangen, mich mit diesen Dingen auseinanderzusetzen. Das war ja alles in der Sprachlosigkeit, und diese Sprachlosigkeit ist eben ein Familienthema, sowohl in der Adoptivfamilie als auch in der leiblichen. Es durch das Reden freizusetzen, das hat mir sehr viel gebracht. Ich wollte es nicht in mir vergraben. Ich hatte auch den Wunsch, meine Mutter zu kontaktieren.
Vorher sind Sie nach Krakau und zur Gedenkstätte des KZ Plaszów gereist.
Ja, das war ein Jahr, nachdem ich das Buch gefunden hatte. Nachdem ich so tief eingetaucht war in die ganze Dramatik dieser Geschichte, musste ich einen Weg finden, auch wieder loslassen zu können, meinen Alltag neu zu bewältigen. Allein dort hinzufahren und die Blumen abzulegen, war für mich der passende Weg, der auch die Opfer würdigt. Und es war wichtig, vor Ort zu sehen, dass die Geschichte nicht, wie es sich für mich anfühlte, vorgestern passiert ist, sondern dass da eine zeitliche Distanz ist.
In Ihrem Buch nimmt Ihre Großmutter einen großen Raum ein. Sie hatten sie als Kind sehr geliebt und erfuhren nun, mit wem sie gelebt und dass sie Göth stets verteidigt hatte. Wie sind Sie damit umgegangen?
Ich war enttäuscht. Ich hatte das Gefühl, nun wird mir das auch noch genommen. Dann habe ich mich aber auch mit ihr auseinandergesetzt und mich gefragt, hätte ich auch so mitlaufen können? Und der Schluss war, dass ich mich anders verhalten hätte als meine Großmutter und natürlich ihr Verhalten nicht gutheiße.
Hat das Ihre Gefühle ihr gegenüber verändert?
Das war ein langer Prozess. Trotz alledem war sie in meiner Kindheit gut zu mir, und meine Kindheit war schwierig. Da wächst einem eine Person, die es gut mit einem meint, besonders ans Herz. Ich hatte das Gefühl, ich darf gar nicht sagen, dass sie mir heute noch so nah ist. Inzwischen denke ich, dass ich mir diese Kinderliebe nicht nehmen lassen muss.
Haben Sie auch Kontakt zu anderen Nazi-Nachkommen gesucht?
Nein, das war kein Bedürfnis. Ich bin nicht typisch. Es sind viele Themen, die in meiner Geschichte vereint sind. Ich bin in einer Adoptivfamilie aufgewachsen, dazu meine dunkle Hautfarbe, das Studium in Israel. Ich bin mehr. Die Auseinandersetzung mit meinem Nazi-Großvater war geballt, aber ich wollte nicht mein Leben davon bestimmen lassen.
Anders als Ihre Mutter, die immer im Schatten ihres Vaters stand, der gehängt wurde, als sie 10 Monate alt war.
Ja. Obwohl er tot war, hat er noch lange auf sie gewirkt: Nicht nur, dass meine Großmutter ihn immer verteidigte. Meine Mutter hat auch lange gebraucht, um die Dimension seiner Taten zu erfassen. Verarbeitet hat sie das zum Teil in besagter Biographie, von der ich nichts wusste.
Hat Sie das Wissen um Ihre Herkunft verändert?
Ja. Die Dinge haben sich dadurch zusammen gefügt, und das Depressive ist seither weg. Ich fühle mich frei. Und es war erleichternd zu verstehen, dass meine Mutter aufgrund der Familienkonstellation nicht in der Lage war, mich großzuziehen. Dass sie mich zur Adoption freigegeben hat, lag nicht an mir. Ich hätte dieses Familiengeheimnis viel früher kennen müssen.
Und warum haben Sie ein weiteres Buch darüber verfasst?
Ich glaube, dass meine Geschichte eine erzählenswerte und in sich lehrreiche Geschichte ist. Auf der persönlichen Ebene soll es ermutigen, sich schwierigen Dingen zu stellen. Auf der gesellschaftlichen Ebene geht es darum, dass jeder eine Verantwortung hat, selber hinzugucken, wenn Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Der Holocaust ist natürlich ein herausragendes Beispiel, aber es geht weit über dieses Thema hinaus.
Sie haben enge israelische Freundinnen. Ist das Buch auch an sie, die Nachfahren der Opfer, gerichtet?
Diese Freundschaften sind entstanden, als ich mit Anfang 20 vier Jahre in Israel studierte. Nachdem ich erfahren hatte, wessen Enkelin ich bin, habe ich lange nicht gewagt, ihnen das mitzuteilen, habe den Kontakt vermieden. Sie haben es aber gut aufgenommen. Auch deshalb war es mir sehr wichtig, dass ich jetzt mit dem Buch kein marktschreierisches Spektakel veranstalte. Ich muss das Buch mit einem guten Gefühl meiner Freundin Noa und ihren Eltern geben können.
Buchvorstellung: 19. September 2013, 19.30 Uhr, Hamburg, Zentralbibliothek
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