piwik no script img

Vergabe des Gasnetzes in BerlinGericht stoppt Senat

Die landeseigene Berlin Energie war gar nicht teilnahmeberechtigt, die Bewertung der Angebote zweifelhaft, meint das Landgericht.

Die Gasag siegt vor Gericht. Bild: dpa

Der Senat steht vor den Scherben seiner Vergabeverfahren für das Gas- und das Stromnetz. Die 16. Zivilkammer des Landgerichts hat am Dienstag wegen großer Zweifel am Vergabeverfahren und der abschließenden Bewertung der Angebote die Entscheidung gekippt, den Gasnetzbetrieb an die landeseigene Berlin Energie zu vergeben. Damit steht auch die Stromnetz-Vergabe in Frage, die der Senat nächsten Dienstag diskutieren wollte. Geklagt hatte der unterlegene Konkurrent Gasag. Die Richter lehnten es allerdings ab, sie anstelle von Berlin Energie als erneuten Betreiber zu benennen.

Peter Scholz brauchte als Vorsitzender Richter nur einige Sätze, um Saal 2709 an der Littenstraße zum Raunen zu bringen. Ihn und seine Kollegen hatte demnach stark beschäftigt, ob die Berlin Energie überhaupt in dem Vergabeverfahren um das Gasnetz mitbieten durfte. Dazu habe man „allergrößte Bedenken“. Denn das Energiewirtschaftsgesetz gibt nach seiner Auslegung vor, dass sich Landesunternehmen zwar beteiligen können, aber ein sogenannter Eigenbetrieb sein müssen, etwa eine GmbH in Landesbesitz. Doch selbst auf der Internetseite von Berlin Energie steht: Man sei „ein rechtlich unselbständiger, abgesonderter Teil der Berliner Verwaltung“. Scholz sprach von einem „Platzhalter“.

Das war nicht mehr zu toppen, auch wenn noch eineinviertel Stunden Ausführungen von Scholz, dem Gasag-Anwalt und der Anwältin des Senats zu weiteren Kritikpunkten folgten. Denn es hieß im Klartext zum einen schon vor dem Urteil: Berlin Energie hätte gar nicht mitmachen, noch viel weniger den Zuschlag erhalten dürfen. Und bedeutete zum anderen eine Klatsche für die vom designierten neuen Regierungschef Michael Müller (SPD) geführte Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die für die Bewerbung verantwortlich ist.

Doch auch die Finanzverwaltung von Ulrich Nußbaum, der am Donnerstag zusammen mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) aus dem Amt scheidet, kam schlecht weg. Die Richter vermochten kein Finanzkonzept zu erkennen, hinterfragten zudem die Bewertung der Angebote von Berlin Energie und der Gasag in der Schlussauswahl Anfang Juni. Da hatte die Gasag 299 von 315 möglichen Punkten bekommen, Berlin Energie aber 311. Aus der CDU kam schon damals Unverständnis, dass die Finanzverwaltung als auswählende Stelle die Angaben nicht stärker prüfte.

Das galt besonders für den Zeitraum, in dem die Bewerber auf einen Schaden zu reagieren versprachen: Die Gasag hatte 30 Minuten zugesagt, Berlin Energie gab 25 Minuten an – und erhielt dafür mehr Punkte. Für Richter Scholz war aus dem Verfahren nicht nachvollziehbar, wie diese schnellere Zeit erreicht werden sollte.

Im überfüllten Saal 2709 verfolgt auch der Grünen-Abgeordnete und Energieexperte Michael Schäfer die zweifelnden Worte des Richters und twitterte: „Müller vermasselt Bewerbung, Nussbaum das Vergabeverfahren.“ Und weiter: „Nußbaum muss zurücktreten.“ Das sah auch CDU-Generalsekretär Kai Wegner so: „Stünde sein Weggang nicht unmittelbar bevor, müsste er wohl zurücktreten.“ Die Anwältin des Senats mühte sich vergeblich, die Sichtweise der Kammer zu ändern: Hätte man aus Berlin Energie schon bei der Bewerbung eine GmbH gemacht, dann wäre das als Vorfestlegung aufgefasst worden. Und was die Bewertung der Angebote anging, so stand aus ihrer Sicht dem Land „ganz klar ein Bewertungsspielraum zu“.

Richter Scholz ging nicht davon aus, dass sein Urteil die Sache klärt, erwartete vielmehr weitere Verfahren am Oberlandesgericht und am Bundesgerichtshof. „Sie werden in Jahren denken müssen“, sagte er.

Dieser ungeklärte Zustand soll nicht dazu führen, dass mittelbar kein Gas mehr aus der Leitung kommt. „Der Kunde hat erstmal kein Problem“, sagte Gasag-Sprecher Rainer Knauber vor dem Saal, „wir arbeiten an einer Interimslösung, damit der Betrieb sicher gestellt ist.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!