Verfassungssschutz-Gutachten: Halbwissen über die AfD
Der Verfassungsschutz hat Fakten über rechtsradikale Verstrickungen von AfD-Verbänden im Norden nicht berücksichtigt.
Mit der Einstufung hätten „die Altparteien und das Establishment“ gezeigt, dass sie „vor nichts mehr gegen eine konservative und patriotische Opposition zurückschrecken“, so Augustin. Nicht „Spalten und Reinigen“ sei jetzt geboten, warnt er.
Augustin gehört zu jenen Personen, die in dem jetzt bekannt gewordenen Gutachten des BfV zu der Bewertung als Prüffall geführt haben. Auf 443 Seiten wird dort bestätigt, dass sich die Parteistrukturen auch im Norden extrem rechts munitioniert und positioniert haben. Das Gutachten offenbart aber auch Leerstellen. Lange bekannte Belege für rechtsextreme Verbindungen zieht der Geheimdienst nicht heran.
Keinem der AfD-Landesverbände Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein attestiert das BfV eine moderate Ausrichtung.
Der Schweigemarsch der AfD nach einem tödlichen Messerstich in Chemnitz warf in Medien und Politik die Frage auf, ob diese Partei nicht mehr als rechtspopulistisch sei, und befeuerte die Debatte über eine Beobachtung der Partei.
Mandats- und Funktionsträger der AfD standen am 27. August 2018 mit rund 6.000 Demonstranten auf der Straße, darunter erkennbar viele organisierte Rechtsextreme und rechtsextreme Hooligans.
Hans-Georg Maaßen musste das Amt des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Zuge der Auseinandersetzung im November 2018 räumen.
Die „Junge Alternative“ beobachten die Landesämter von Verfassungsschutz in Niedersachsen und Bremen schon seit September 2018 – als erste Bundesländer.
Der AfD in Mecklenburg-Vorpommern um Augustin schreibt das Bundesamt völkisch-nationalistische Tendenzen zu. Oft wird Augustin zitiert, etwa aus einer Rede, in der er ausführte, „dass die deutschen Jünglinge hilflos mit ansehen, wie ein muslimischer Mob wie die Halbaffen über die Frauen und Freundinnen herfällt“. Verbindungen zu rechtsextremen Netzwerken wie der Identitären Bewegung (IB) finden Erwähnung.
Gewaltfantasien im Chat
Nicht thematisiert werden dagegen die Gewalt- und Vergewaltigungsfantasien gegen politische Gegner oder ein Foto von marschierenden SS-Männern in AfD-internen Chatgruppen. Kein Wort verliert das Gutachten darüber, dass ein AfD-Funktionär Beschuldigter in einem Terrorverfahren ist und der Landtagsabgeordnete Jens Holger Schneider Kontakte in die rechtsextreme Szene pflegte.
Der Parlamentarische Geschäftsführer Ralph Weber wird zwar etliche Male zitiert – aber dass er in seinem Bürgerbüro einen Rechtsextremen als Mitarbeiter beschäftigt hatte, bleibt unerwähnt. Auch dass Augustin bei der Kampagne „Merkel muss weg!“ in Hamburg als Redner auftrat, fehlt.
Verbandelt mit „Merkel muss weg!“
Der Hamburger AfD hält der Verfassungsschutz rechtsextreme Kontakte wie die des Fraktionsvorsitzenden Alexander Wolff vor. Dass jedoch Fraktionsvize Dirk Nockemann auf Facebook mit Thomas Gardlo vom „Orga-Team“ der Hamburger „Merkel muss weg!“-Demos in Kontakt steht, kommt im Gutachten nicht vor.
Überraschenderweise, denn der Hamburger Verfassungsschutz hatte sich selbst das Verdienst zugeschrieben, er habe durch seine Einschätzung des Orga-Teams als rechtsextrem den Zulauf zu den Demos eingedämmt.
Plakatieren mit Identitären
Aus Bremen greift das BfV nur einen Vorfall auf, der die Nähe des AfD-Jugendverbands Junge Alternative (JA) zu den Identitären belegt. Im Juni 2017 hatten der Bremer JA-Vorsitzende Robert Teske und sein Stellvertreter Marvin Mergard eine Demonstration der IB in Berlin besucht. Doch dass der IB-Regionalleiter Jonas Schick zeitweise Mitarbeiter im Büro der AfD in Bremen war, wird nicht angeführt
Auch nicht, dass der Landeschef und Bundestagsabgeordnete Frank Magnitz gemeinsam mit IB-Aktivisten Flugblätter am Rande einer Rede von Angela Merkel verteilte. Oder dass der Bürgerschaftsabgeordnete Alexander Tassis im Bundestagswahlkampf zusammen mit einem Mann plakatierte, der ein T-Shirt der Identitären trug. Das BfV betont allerdings eine völkisch-nationalistische Einstellung des Bremer Landesverbandes.
Nah dran an Holocaustleugnern
Der AfD in Schleswig-Holstein hält der Verfassungsschutz vor, sie biete Raum für Relativierungen des Nationalsozialismus. Die Kritik des AfD-Landesverbandes an der deutschen Erinnerungspolitik erinnere an „rechtsextremistische Motive“. Die Aussagen der ehemaligen Landesvorsitzenden Doris von Sayn-Wittgenstein könnten auf ein „ethnisch-biologisches Verständnis von Volk hindeuten“.
Unberücksichtigt bleiben ihre Kontakte ins rechtsextreme Milieu, etwa ihre Beziehungen zu dem von einer notorischen Holocaustleugnerin mitgegründeten Verein „Gedächtnisstätte“ oder ihr E-Mail-Verteiler, der von Freunden der Waffen-SS, Holocaustleugnern und Verfechtern einer Reichsideologie bis zum internationalen Rechtsextremismus reichte. Die taz hatte darüber Mitte Dezember 2018 berichtet.
Das Verfassungsschutz-Gutachten mag da schon weitgehend formuliert gewesen sein. Der Streit über den Stormarner AfD-Kreistagsabgeordneten Arnulf Fröhlich wegen seiner Teilnahme am Holocaustleugner-Kongress „Wahrheit macht frei“ war allerdings schon seit November bekannt – und taucht auch nicht auf.
Krieg gegen das „System“
Niedersachsens AfD bescheinigt das BfV in der Einwanderungs- und Asylpolitik eine „kompromisslosere“ Positionierung als „anderen Verbänden der AfD“. Mit Begriffen wie „Messer-Migration“ setze der Landtagsabgeordnete Stephan Bothe, Flüchtlinge und Migranten pauschal mit lebensgefährlichen Gewalttaten in Beziehung. Dem AfD-Kreisverband Osterholz wirft das Amt eine „völkische“ Sprechweise vor.
Ausgeblendet bleibt aber, dass der Diepholzer AfD-Kreisvorsitzende Andreas Illof einem rechtsextremen Orden angehörte, der ein Deutsches Reich anstrebt, dass die Landtagsfraktion die IB-Anhängerin Hildburg Meyer-Sande beschäftigt und dass der Bundestagsabgeordnete Wilhelm von Gottberg den Völkermord an den europäischen Juden als „Propaganda-Dampfwalze“ und „‚jüdische Wahrheit‘ über den Holocaust“ bezeichnete.
Der Kreisverband Salzgitter, der mit hetzerischen Posts auf Facebook und Twitter Schlagzeilen machte, kommt im Verfassungsschutz-Gutachten auch nicht vor. Nach dem Einzug der AfD in den Bundestag hatte es dort geheißen: „Die nächste Phase im Krieg gegen dieses widerwärtigste System, das je auf deutschem Boden existierte, nimmt nun ihren Anfang.“
Ein Geheimdienst ist ein Geheimdienst. Deshalb kann man das BfV schlecht fragen, ob die ausgewählten Leerstellen der Unkenntnis geschuldet sind. Vielleicht hat das Amt diese Fakten beim Zeitungslesen aber auch einfach übersehen.
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