Verfassungsschutz brandmarkt AfD-Kritik: Linke Täter gebastelt
Nach einem Anschlag auf einen LKW gibt es keinen Verdächtigen. Der Verfassungsschutz schiebt die Schuld trotzdem einer AfD-kritischen Kampagne zu.
Fragen ergeben sich damit indes an das Landesamt für Verfassungsschutz. Denn das hatte in seinem Jahresbericht für 2017 die Tat bereits einer antifaschistischen Kampagne konkret zugeordnet. Deren AktivistInnen fühlen sich diffamiert und prüfen rechtliche Schritte.
In der Nacht auf den 27. Dezember 2017 hatten Unbekannte auf dem Gelände des „Betonwerks Thielen“ im Stadtteil Gröpelingen einen Lastwagen angezündet, der völlig ausbrannte. Der Fall wurde von der Staatsanwaltschaft als versuchtes Tötungsdelikt eingeordnet, weil in einem nebenstehenden LKW ein Fahrer schlief. Er war von den Geräuschen aufgewacht und hatte sich in Sicherheit gebracht.
Der 38-Jährige litt noch Monate später unter den Folgen. Er wurde entlassen. Die Polizei schätzte den Sachschaden auf 200.000 Euro. Die Staatsanwaltschaft lobte eine Belohnung von 3.000 Euro zur Ergreifung der Täter aus, zudem bot die Alternative für Deutschland (AfD) nach eigenen Aussagen weitere 25.000 Euro Belohnung – vergeblich, wie sich nun herausstellte. Da der oder die Täter unbekannt blieben, könne die Staatsanwaltschaft folglich auch nicht definitiv sagen, ob die Tat einen linksextremistischen Hintergrund habe, erklärte Passade.
Ungewöhnliche Bekennerschreiben
Ende Dezember 2017 war einen Tag nach der Tat auf dem Internetportal „Indymedia“ ein Bekennerschreiben aufgetaucht, in dem es hieß, die Firma bestehe aus NPD-Mitgliedern und habe der Bremer AfD für den Bundestagswahlkampf ihre Logistik zur Verfügung gestellt.
Tatsächlich war der Firmengründer an der Gründung der NPD beteiligt, wurde ihr erster Bundesvorsitzender und verließ 1967 die Partei. Im September 2017 hatte der jetzige Firmeninhaber Friedrich-Carl Thielen der AfD erlaubt, das Gelände für ein Wahlkampffahrzeug zu nutzen.
Sprecher der Nika-Kampagne
Ungewöhnlich war ein zweites Bekennerschreiben, das drei Monate später veröffentlicht wurde. Darin reflektieren der oder die Verfasser, dass bei der Aktion der schlafende Fahrer hätte ums Leben kommen können. „Die fatale Auswirkung unserer Aktion hat uns intensiv beschäftigt. Sprachlosigkeit und Zweifel blieben zurück“. Mit einem schlafenden Fahrer habe man nicht gerechnet. „Wir möchten nicht, dass andere Militante dieselbe Erfahrung machen müssen. Es darf nicht passieren, dass Unbeteiligte zu Schaden kommen.“
Bei beiden Bekennerschreiben ist der gleiche Autor namens „161“ angegeben – ein Zahlencode, der für „AFA“ also unbestimmt für „Antifa“ steht. Der oder die Verfasser blieben somit anonym, sie gaben keinen Hinweis auf eine Verbindung zu einer konkreten Gruppe.
Dennoch schrieb das Landesamt für Verfassungsschutz die Tat ganz direkt der linken Kampagne „Nationalismus ist keine Alternative“ („Nika“) zu. In seinem Jahresbericht für 2017 führt das Amt unter dem Titel „‚Militante Aktionen‘ im Rahmen der Nika-Kampagne“ den Brandanschlag auf. Dieser stehe „im Zusammenhang mit der Kampagne“.
Für Beobachter der linken Szene ist diese Schuldzuschreibung verwunderlich. Denn „Nationalismus ist keine Alternative“ ist eine bundesweite Kampagne, die sich gegen die „autoritäre Formierung“, den erstarkenden Nationalismus und Rassismus richtet. Deren AktivistInnen werben dafür, sich zu beteiligen, veranstalten offene Treffen, streben nach Bündnissen auch außerhalb der linken Szene, organisieren regulär angemeldete Demonstrationen, Pressesprecher treten vor die Kamera.
In Bremen wird die Kampagne von der „Basisgruppe Antifaschismus“ und der „Antifaschistischen Gruppe Bremen“ getragen, die im bundesweiten kommunistischen „Ums Ganze“-Bündnis organisiert sind. Aufrufe etwa zu Blockaden von AfD-Parteitagen gehören zum Repertoire – nicht aber zu klandestinen militanten Aktionen wie Brandanschlägen.
Wie also kommt der Verfassungsschutz zu einer konkreten Schuldzuweisung, obwohl die Staatsanwaltschaft überhaupt keine Tatverdächtigen ermitteln konnte?
In Bremen, heißt es dazu in einer Antwort von Verfassungsschutz-Chef Dierk Schittkowski an die taz, habe die Kampagne „Nika“ „die Bekämpfung der Partei „Alternative für Deutschland“, die als „erste Klasse-Gegner“ betrachtet wird, und konkret die Beeinträchtigung und Störung ihrer Wahlkämpfe zum Ziel. „Seit Ausrufung der Kampagne gab es in diesem Zusammenhang bundesweit zahlreiche Sachbeschädigungen zu Ungunsten der Partei und ihrer Mitglieder sowie körperliche Angriffe auf Mitglieder.“
In Bremen hätten dem Nika-Aufruf folgend Angehörige der linksextremistischen Szene Wahlkampfveranstaltungen der AfD gestört und darüber hinaus Sachbeschädigungen, so an einem Auto und einer Wohnung von Parteimitgliedern, vorgenommen. „Vor diesem Hintergrund“, so Schittkowski, „reiht sich der Brandanschlag auf den auf dem Gelände der Firma Thielen abgestellten Lastwagen am 27. 12. 2017 in die „militanten Aktionen“ ein, die Linksextremisten gegen die AfD und ihre (vermeintlichen) Unterstützer begehen.“
Außerdem lieferten die beiden Bekennerschreiben „dem LfV weitere Anhaltspunkte dafür, den Brandanschlag im Zusammenhang mit der Nika-Kampagne zu sehen.“ Welche Anhaltspunkte damit gemeint sind, sagt Schittkowski nicht.
Gruppe sieht sich vom Verfassungsschutz diffamiert
Die AktivistInnen der Kampagne indes sehen sich durch das Landesamt für Verfassungsschutz diffamiert. „Die Anschuldigungen sind völlig haltlos“, erklärte ein Sprecher der Kampagne aus Bremen, der seinen Namen nicht in der Zeitung veröffentlicht sehen will. „Linke und antifaschistische Strukturen sollen dadurch vom Verfassungsschutz diskreditiert und geschwächt werden. In allem, was wir tun, agieren wir völlig legal.“ Die Kriminalisierung linker Strukturen durch den Verfassungsschutz sei allerdings „gängige Praxis“.
Wegen der Anschuldigungen des Verfassungsschutzes haben sich die AktivistInnen nun an die Bremer Anwältin Lea Voigt gewandt. „Wir prüfen, wie wir rechtlich gegen die falschen Anschuldigungen vorgehen können“, sagte Voigt. „Das Bremer Oberverwaltungsgericht hat erst kürzlich klar gestellt, dass öffentliche Behauptungen des Verfassungsschutzes von der Behörde erläutert und im Streitfall auch belegbar sein müssen. Geschieht dies nicht, verletzt die Verlautbarung die Grundrechte der Betroffenen.“
Die Anwältin verweist damit auf einen Beschluss vom Januar 2018, in dem das Gericht der linken Solidaritätsorganisation „Rote Hilfe e. V.“ darin Recht gab, im Bremer Verfassungsschutzbericht von 2016 nicht ohne weitere Erläuterung als „gewaltorientiert“ bezeichnet zu werden. Dies war laut Gericht ein ungerechtfertigter Eingriff in die allgemeinen Persönlichkeitsrechte der Organisation.
Voigt erklärte, die Einschätzungen des Verfassungsschutzberichtes würden von anderen Behörden und Organisationen oft eins zu eins übernommen. „Der aktuelle Fall zeigt, dass zunächst eine kritische Prüfung angezeigt wäre.“
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