Verfassungsreform in Russland: Putin forever
Die wichtigste Änderung ist eine Verlängerung der Amtszeit des derzeitigen Staatspräsidenten. Das sehen einige mit sehr gemischten Gefühlen.
D ie Klinikleiterin Iwana Fjodorowna war aus dem Häuschen. Mitte der Woche hatte Russlands Staatschef Wladimir Putin überraschend angekündigt, dass er der Nation als Präsident noch erhalten bleiben möchte. Auch nach dem Ende der Amtszeit, die 2024 ausläuft.
Wie immer sagte er es nicht konkret. Doch die Möglichkeit besteht, dass der Kremlchef noch einmal zwei Durchgänge auf der „Galeere“, wie Putin seine Arbeit gelegentlich beschreibt, auf sich nimmt. Vorausgesetzt, alle Institutionen stimmen dem zu. Daran zweifelt niemand.
Fjodorowna hatte Putins Verheißung die Sprache verschlagen. „Keine Entwicklung mehr bis mindestens 2036“, meinte sie. Das sei das Ende, schon jetzt gingen gut ausgebildete junge Leute scharenweise ins Ausland. Fjodorowna stammt nicht aus Moskau. Die Eltern sind Rentner und leben in der Provinz. „Sie waren begeistert von Putins Auftritt in der Duma diese Woche.“ Fjodorowna ist übrigens nicht ihr richtiger Name. Sie soll der Klinik erhalten bleiben.
Dass Eltern und ältere Bürger Anhänger Putins sind, ist nicht selten. Meist sind sie auch Rentenbezieher, deren Pensionsanpassungen mit der am 22. April angesetzten Abstimmung über Änderungen der Verfassung von 1993 auch im Grundgesetz festgeschrieben werden.
Erinnerungen auffrischen
Im Umbruch nach dem Kommunismus gab es häufiger Verzögerungen bei Rentenzahlungen. Viele Russen haben das nicht vergessen. Putin und die Kremlpartei frischen die Erinnerungen daran gerne auf.
Der Kreml geht davon aus, dass rund 75 Prozent der Wähler den Änderungen zustimmen. Dazu gehört auch die Annullierung der bisherigen Fristen für den Präsidenten. Ab 2024 könnte die Zählung wieder bei null anfangen. Es sind auch nur noch zwei Durchgänge erlaubt.
Im Januar hatte Putin das Volk mit der Ankündigung der Verfassungsänderung und Auswechslung der Regierung überrascht. Danach vernebelten Vorschläge zur Verfassung das Verständnis der Bürger. Auch das schien geplant zu sein. Am Vorabend der Parlamentsabstimmung soll es Putin dann nicht mehr ausgehalten haben.
Er wollte endlich wissen, woran er ist, meinen Beobachter. Auch wollte er Gerüchten ein Ende bereiten, vier Jahre vor dem Fristende 2024 sei er eine „lahme Ente“. Der Analyst Kyrill Rogow glaubt, der Kremlchef habe sich gescheut, den „Coup“ öffentlich anzukündigen, und sich vor Großdemonstrationen gefürchtet. Nirgends kam es jedoch dazu. Nur wenige Demonstranten wurden in Sankt Petersburg, Tula und Jekaterinburg vorübergehend festgesetzt.
Sowjetische Dauerwelle
Der Stab schaltete die hochverdiente Kosmonautin Walentina Tereschkowa ein. 1963 war sie im All. Die 83-jährige Politikerin hatte schon Putins Vorgängern seit den 1960er Jahren Treue geschworen.
Auch äußerlich hält sie sich an die Mode jener Zeit: sowjetische Dauerwelle für Buchhalterinnen der 1960er Jahre. Sie forderte die Abgeordneten auf, die Fristen für den Präsidenten zu annullieren.
Kaum gesagt, stand auch schon Wladimir Wladimirowitsch in der Duma. Dieses Schauspiel gilt als Beweis, dass diese Übung vorher einstudiert worden war. Das kokette Herumeiern des Kremlchefs war jedoch eine an Zynismus nicht zu überbietende Live-Einlage.
Auch der Duma-Vorsitzende Wjatscheslaw Wolodin soll hier nicht vergessen werden. Vor längerer Zeit hatte er sich schon mit der Glaubensformel verewigt: Putin ist Russland; kein Putin, kein Russland. Diesmal aktualisierte Wolodin das Bekenntnis: „Weder Öl noch Gas bieten verlässliche Vorteile. Sie fallen im Preis. Unser Vorteil ist Putin, ihn müssen wir verteidigen“.
Die Regionalparlamente mussten den Änderungen auch noch zustimmen. Nur zwei Prozent der Abgeordneten lehnten den Vorschlag ab. In der Moskauer Duma machte die Abgeordnete Darja Beseda von sich reden. Sie trug ein T-Shirt mit der Aufschrift „Annullieren“, wurde aber daran gehindert, ihre 50 Vorschläge zur Grundgesetzkorrektur vorzutragen. Darunter die Festschreibung eines Mausoleumsbaus für Wladimir Putin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“